Nachdem ich mich wieder einigermaßen gefangen hatte, rief ich mir ein Taxi und fuhr in Richtung Charité. Vielleicht würde ich am Bett meiner Freundin etwas Ruhe finden. Ich hatte die Hoffnung, dass ich mich in den vier Wänden des Krankenzimmers von allen anderen Gedanken distanzieren konnte. Sicher, ich würde mich erneut damit auseinandersetzen müssen, dass Catri, sämtlichen Fähigkeiten beraubt, einen einsamen Kampf ausfochte. Einsam, weil ich nicht für sie da war. Weil ich absolut nichts tat. Ich hatte Vorsätze gefasst, diese wollte ich umsetzen. Doch schon der Besuch ihrer Eltern am Morgen hatte mein Schiff gefährlich ins Wanken gebracht. Trotzdem hatte ich es wie auch immer geschafft und so stand ich vor der Stationstüre. Tief durchatmend bestätigte ich die Klingel. Während ich darauf wartete, dass mir geöffnet wurde, vibrierte mein Handy. Ich zog es aus der Manteltasche und sah, dass eine unbekannte Nummer versuchte, mich zu erreichen. Ich hatte keinen Nerv den Anruf zu beantworten und ließ es zurück in die Tasche gleiten. Nachdem das Vibrieren aufgehört hatte, schaltete ich mein Handy in den Flugmodus. Ich wollte jetzt nicht gestört werden. Zu erheblich raubte mir die ganze Situation die Kraft.
Kurz darauf öffnete sich die breite Flügeltüre und Schwester Melanie stand mir gegenüber. Mit einem freundlichen Lächeln begrüßte sie mich. Ich trat ein und lief in Richtung Catris Zimmer. Ich erwartete nicht, dass sich an ihrem Zustand etwas geändert hatte. Schließlich wollte man mir seitens der Ärzte sofort Bescheid geben, falls dies der Fall war. Dennoch stieg ,mit jedem Schritt den ich den Flur entlang, ging der Wunsch, dass sie das Bewusstsein zurückerlangt hätte. Dass sie mich mit einem Lächeln begrüßen würde. Natürlich war es reines Wunschdenken, aber konnte man das nicht verstehen? Und selbst wenn sie wach wäre, da waren so viele Fragen. Fragen auf die ich keine Antwort hatte. Und so entstand eine neue Frage in meinem Kopf. Hatte Catri Antworten?
Auch heute war die Türe zu ihrem Zimmer wieder geöffnet, sodass ich sie schon sehen konnte ohne das Zimmer überhaupt zu betreten. Ich blieb einen Moment im Türrahmen stehen und schaute mich zunächst um. Noch immer standen die Geräte um ihr Bett. Ob es mehr oder weniger im Vergleich zum Vortag waren, konnte ich nicht mit Bestimmtheit sagen. Ich hatte mich schlicht nicht lange genug hier aufgehalten, um dies beurteilen zu können. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass es in ihrem Zimmer piepste. Ich hatte es zuvor nicht bewusst wahrgenommen. Mein Blick schnellte auf einen der Monitore, der die Herzaktivität anzeigte. Im immer gleichen Rhythmus zeigte er Linien und Zacken. Ich fragte mich, ob die zuständige Pflegerin auch diesen Monitor erklärt hatte. Erinnern konnte ich mich nicht. Das Geräusch beruhigte etwas in mir, zeigte es doch, dass sie lebte. Dass ihr Herz noch immer schlug. Vorsichtig wagte ich einen Schritt in den Raum. Catri lag heute auf dem Rücken, den Oberkörper wieder leicht aufgerichtet. Der Verband um ihren Kopf saß etwas anders. Ich vermutete, dass er gewechselt wurde. Vorsichtig trat ich an das Bett heran um meine Freundin zum ersten Mal seit Tagen genauer zu betrachten.
Ihr Gesicht zeigte einige Schwellungen und Hämatome, zumindest in dem Bereich, der nicht von dem Kopfverband verdeckt wurde. Die Verkrustungen auf den Wangen vom geronnenen Blut waren verschwunden, ein paar Reste fanden sich in ihren Haaren, die hier und da aus dem weißen Mull heraushingen. Die Decke reichte ihr bis über die Brust und die Schultern wurden von einem Krankenhaushemd verdeckt. Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht, ob die Pflege ein paar Utensilien für sie brauchte. Ich würde Schwester Melanie danach fragen.
Sofort überkamen mich wieder Schuldgefühle. Was war ich nur für eine Freundin? Ließ meine Lebensgefährtin im Stich, brachte es nicht zu Stande, ein paar Sachen für sie zu packen. Um nicht erneut völlig im Selbstmitleid zu zerfließen, ließ ich meinen Blick weiterwandern. Neben ihrem Oberkörper lagen ihre Arme locker auf der Matratze. Vorsichtig streckte ich meine Hand aus, um die Kontur ihres linken Armes mit den Fingerspitzen nachzuziehen. Es war die erste Berührung seit Tagen. Während meine Finger behutsam ihre Haut liebkosten, suchte ich in ihrem Gesicht nach Regungen. Doch vergebens. Gewiss war mir klar gewesen, dass sie in tiefer Bewusstlosigkeit war. Ich hoffte dennoch inständig, dass sie trotz ihrer Verletzungen und dem künstlichen Schlaf spürte, dass ich da war. Dass ich mich endlich überwinden konnte ,hier zu sein und sie zu berühren.
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Bleib
RomanceWas passiert, wenn dein Leben vom einen auf den anderen Moment völlig aus den Fugen gerät? Der Antwort muss sich Margo Zander stellen. Die erfolgreiche Berliner Geschäftsfrau lebt seit fünf Jahren mit ihrer Lebensgefährtin Catri zusammen, bis ein sc...