Kapitel 44 - Akzeptanz

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Die Zeit bei Kaito schien wie im Flug zu vergehen

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Die Zeit bei Kaito schien wie im Flug zu vergehen. Der Januar war längst vorbei, das Neujahr weit in der Ferne, und nun neigte sich der nächste Monat dem Ende zu. Der Frühling war eingekehrt. Kaitos Erzählungen aus seiner Vergangenheit schienen immer weiter in die Ferne zu rücken. Er hatte das Thema seitdem nicht mehr angesprochen, doch an Yukine nagte es noch immer. Wenn auch deutlich weniger.

Einerseits konnte er nicht verstehen, wieso Kaito das alles mitgemacht hatte – die Schuld gab er ihm dabei keineswegs – und andererseits fehlte ihm jegliches Verständnis dafür, was Richard getan hatte. Was mit dem Mann passiert war, wusste Yukine nicht genau. Nur, dass er im Gefängnis saß und Kaito eine hohe Geldsumme als Entschädigung von ihm bekommen hatte. Als könnte Geld ihn nach alledem auch nur ansatzweise entschädigen.

Jede Narbe erzählte eine Geschichte, das wusste er. Nicht immer waren sie schlecht. Doch bei Kaito war er sich sicher, dass sie nichts Positives an sich hatten. Sie gehörten zu ihm, aber sie waren nichts, was er mit Stolz trug. Nicht wie bei einem Krieger – aber er war eindeutig ein Überlebender. Jemand, der zu vieles in seinem Leben hatte ertragen müssen.

Manchmal fragte er sich, was er tun würde, würde dieser Mann, dieser Abschaum, vor ihm stehen. Kaito würde er beschützen, das stand fest. Doch was, wenn die Finsternis über seinen Verstand brechen und er die Kontrolle verlieren sollte? Wie damals bei Aoi, den er als Kind beinahe …

Yukine schüttelte den Kopf. Es reichte, dass Naoki ihn in diesem Zustand gesehen hatte. Dass er es miterleben musste. Kaito sollte es nicht erfahren. Das war ein dunkles Geheimnis, das Yukine seit so vielen Jahren in sich trug. Manches musste man einfach für sich behalten. Es ging nicht anders. Dafür war ihre Beziehung noch zu jung. Vielleicht irgendwann, wenn überhaupt.

»Worüber denkst du nach?« Naokis Stimme holte ihn aus den Gedanken heraus. Er blinzelte, dann wandte er den Blick von den an ihnen vorbeiziehenden Bäumen ab. Sein Gegenüber musterte ihn fragend, gleichzeitig konnte Yukine Neugierde in den bernsteinfarbenen Augen sehen.

»An Vergangenes«, sagte er knapp, bevor er sich dazu entschied, wieder aus dem Zugfenster zu schauen und die Landschaft zu betrachten. »An unsere Kindheit.« Kaitos Kopf lehnte an seiner Schulter. Sie waren so früh losgefahren, um Yukines alten Freunde zu besuchen, dass der Rotschopf einfach wieder eingeschlafen war, kaum, dass der Zug sich in Bewegung gesetzt hatte.

Pawel und Ilona waren derweil weggezogen. Sie wohnten nicht mehr in Berlin, nicht einmal in der Nähe. Die beiden Fae hatte es ans andere Ende des Landes verschlagen. Dort, wo sie niemand kannte, da, wo sie in Ruhe für die nächsten Jahrzehnte leben konnten, ohne erkannt zu werden. Gut für die beiden Fae, schlecht für Yukine und Kaito.

Eigentlich hätte er seine alten Freunde schon viel früher besucht, doch das war nicht so einfach. Kaito hatte Urlaub nehmen müssen – nicht, dass es ein Problem für seinen Freund war. Dank seines Laptops konnte er die Arbeit mitnehmen. Doch mussten auch die beiden Fae Zeit finden. Gleichzeitig entschied Kaito, dass sie seinen Urlaub ebenfalls ausnutzen sollten.

Gesagt, getan. Sein rothaariger Partner hatte kurz darauf ein Hotel in Friedrichshafen gebucht, dazu auch noch die Tickets für die Fahrt dorthin und natürlich zurück. Yukine war noch nie im Süden dieses Landes gewesen. Das erste Mal waren er und Naoki einige Jahre vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges ganz im Norden, sehr nah an Dänemark. Beim zweiten Mal wieder in der Umgebung von Berlin, wo Naoki studiert hatte.

Leider hatten sie damals nicht wirklich die Möglichkeit, viel zu reisen. Es war nicht einfach, sich als Fae in dieser sich ständig verändernden Welt klarzukommen, vor allem, wenn zwischen ihren Aufenthalten gut achtzig Jahre lagen.

Dieses Mal würde es anders aussehen. Kaito war an ihrer Seite, der diese Welt besser verstand als die beiden Fae. Da konnte Yukine noch so viel über die Menschen lernen, gänzlich verstehen würde er sie ohnehin nie. Allein schon, weil sie sich im Laufe der Jahre so schnell veränderten. Genauso wie deren Denkweisen.

»Hörst du mir eigentlich zu?« Er wurde mit dem Fuß angestupst. »Die beiden werden dir schon keine Vorwürfe machen.« Seufzend lehnte Yukine die Stirn an das kühle Fensterglas. Darin konnte er die Spiegelung seines Partners einigermaßen erkennen. Auch Naoki blickte hinaus auf die Landschaft.

»Das weiß ich«, antwortete er leise. Im Zugabteil war es fast leer. Lediglich ein junges Mädel auf der anderen Seite war zu sehen. Sie trug Kopfhörer, wodurch sie nichts hören konnte. Andererseits gab es Menschen, die Selbstgespräche in der Öffentlichkeit führten. Da wunderte man sich vermutlich nicht mehr allzu sehr.

»Was beschäftigt dich dann?«
»Zu viel, um es in Worte zu fassen.«
»Du willst also nicht mit mir darüber reden«, stellte Naoki nüchtern fest. »Schon in Ordnung. Ich merkte, dass du versuchst, mir aus dem Weg zu gehen.«
»Das stimmt nicht und das weißt du«, antwortete Yukine.

Es verletzte ihn, dass Naoki so von ihm dachte. »Ich versuche nicht, dir aus dem Weg zu gehen. Nur …« Er presste die Lippen aufeinander, dann blickte er Naoki wieder an. Wehmut erfasste ihn. »Jedes Mal, wenn ich dich sehe, erinnere ich mich daran, wie ich deine Asche beigesetzt habe und an die Monate meiner Trauer, und dennoch sitzt du jetzt hier, redest mit mir. Bist einfach da, während ich bis vor kurzem noch versucht habe, ohne dich klarzukommen.«

Der Heiler sah ihn eine Weile still und nachdenklich an, dann erhob er sich, nahm Platz auf Yukines Schoß und küsste ihn ganz sanft auf die Nasenspitze. »Es fühlt sich falsch an, eine neue Beziehung mit Kaito zu führen, während du da bist.« Er zog Naoki an sich und drückte sein Gesicht an die Brust des Heilers. Kaito neben ihm rührte sich, grummelte leise, doch mehr auch nicht.

Der ihm so vertraute Geruch nach Blumen und Kräutern stieg ihm in die Nase. Ließ ihn leise und frustriert seufzen. Wie sehr er diesen Mann doch liebte. Es würde sich vermutlich nie etwas an seinen Gefühlen ändern. Dafür war das, was sie hatten, einfach zu tief verwurzelt.

»Mach dir darüber keine Sorgen«, sagte Naoki, dann fand seine Hand ihren Weg in Yukines Haare, wo sie ihn leicht kraulte. »Kaito und ich haben bereits darüber gesprochen, für uns ist es in Ordnung, wie es jetzt ist. Ich mag ihn und …«

Yukine blickte auf und bemerkte, dass Naoki lächelnd zu Kaito sah. »Ich bin mir sicher, dass er auch mich mag. Wir haben uns damit abgefunden, darüber gesprochen und die Situation akzeptiert.« Naoki machte es sich gemütlich auf Yukines Schoß und schmiegte seinen manifestierten Körper an ihn. »Jetzt musst du es nur noch vollends akzeptieren.«

»Leichter gesagt, als getan«, entgegnete Yukine. Er griff nach Kaitos Hand, verschränkte ihre Finger miteinander und ließ seinen Daumen immer wieder über die Haut seines Freundes gleiten. »Und trotzdem bin ich froh, dass ihr beide euch versteht.«

»Ich glaube, dass wir es auch getan hätten, wenn ich noch … ich wäre.«
»Du bist noch immer du«, sagte Yukine, worauf der Heiler lachte. Seine Stimme, so weich, so glockenhell, hallte durch das Zugabteil und weckte den schlafenden Rotschopf neben ihnen.

Völlig verpennt blickte Kaito auf. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, bevor er den Kopf wieder an Yukine anlehnt, als wäre nichts gewesen. Dafür erwiderte er den leichten Händedruck.
»Ihr beide scheint euch endlich wieder zu vertragen«, murmelte Kaito.

Zuerst war Yukine verwirrt. Er und Naoki hatten sich nicht gestritten, auch hatten sie die letzten Wochen über immer miteinander geredet. Doch war da diese Distanz zwischen ihnen gewesen. Eine Distanz, die Yukine immer wieder versucht hatte, zwischen ihnen aufzubauen. Bewusst und unbewusst.

»Ja, das scheint ganz so«, antwortete er deshalb, bevor er Naoki einen Kuss auf die Lippen gab. Der erste, seit sie sich wieder begegnet waren. Zumindest der erste, den er initiiert hatte. Und er fühlte sich genauso gut an wie damals.

Irgendwie würde er den beiden schon gerecht werden. Wie, das wusste er in diesem Moment noch nicht. Aber Yukine nahm es sich vor. Schließlich waren sie ihm wichtig.

Intertwined Souls | Unsere verwobenen Seelen ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt