╭──╯𝐊𝐀𝐏𝐈𝐓𝐄𝐋 𝟐𝟐╰──╮

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M I N H O
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ALS ICH BEI MIR zu Hause ankam, ließ ich mich von meinen Beinen durch die Wohnung leiten. Letztendlich kam ich wieder beim Sofa an, wo ich mich achtlos darauf hinunter sinken ließ. Ein definitiv nötiger Ausatmer entfloh mir und ich versank mein Gesicht in meinen Händen. Es war keine fünf Minuten her, da hatte ich ihn zum letzten Mal gesehen, und doch sehnte es mich jetzt schon wieder danach, Jisung wiederzusehen.

Wieso war ich so hin und weg von ihm? Wieso war meine Laune so unglaublich abhängig von seiner Präsenz – sei es durchs Schreiben oder durch Treffen? Was hatte Jisung an sich, dass mich so fühlen ließ?

Meine Augen wanderten an die kahle Decke über mir und ich verlor mich in der kompletten Leere, die sie ausstrahlte. Je länger ich meinen Blick auf einem Fleck behielt, desto mehr Farben und Punkte fügte mein Verstand hinzu. Die Zeit verging wie im Flug und ich hatte das Gefühl für diese zu schnell verloren. Die Gedanken nahmen mich erneut in Besitz und ich wollte mich ihnen dieses Mal komplett hingeben. Ich war nicht mehr stark genug, um dagegen anzukämpfen.

Jisung regierte meinen Kopf wieder mal wie ein König, der alles dafür tun würde, um sein Reich zu beschützen. Jede einzelne Berührung, jedes Mal, wenn wir uns ansahen und jedes Mal, wenn wir zusammen lachten. Es fühlte sich so unnormal gut an. Aber das Gefühl war nicht neu.

Konnte es sein, dass ich für Jisung vielleicht doch mehr empfand? Etwas, das über das Platonische hinweg ging? Hatten sie alle immer Recht und ich sollte endlich zu dem stehen, was schon seit Jahren in mir umher schwamm? Denn dieses Gefühl, dass sich sonst wie Motten anfühlte, die sich in jedes meiner Organe hineinfraßen – Jisung verwandelte sie langsam, aber sicher in Schmetterlinge, die diese Schäden wieder mit Vorsicht zusammenbauten.

Hatte Eomma das gesehen, was ich runterschlucken wollte? Wie sie immer so gerne sagte, würde der Instinkt einer Mutter sie niemals täuschen. Sie würde immer richtig liegen. Sie würde ihr Kind in- und auswendig kennen.

Hatte Dongho Recht mit seiner Aussage, dass ich mich nicht schämen sollte für das, was ich bin? Er war zwar ein ziemlich ekelhafter Wichser, aber in diesem Moment hatte selbst er etwas in mir gesehen, das ich nicht sehen wollte. Und wenn sogar so ein selbstsüchtiger Mensch erkannte, was ich mit mir herumtrug, konnte ich es eh nicht mehr lange verstecken.

Und Jisung. Er konnte es irgendwie von Anfang an spüren. Vielleicht auch durch die indirekte Hilfe von Felix und Hyunjin, die meine Vergangenheit besser kannten als irgendwer anders. Es waren zwar immer nur Scherze, sowohl von ihm als auch von mir, aber habe ich dadurch nicht einfach nur diesen Druck abgelassen, der mich belastet? Und wie er immer betonte, dass ich mit ihm sprechen könnte, wenn ich wollte – er dachte dabei sicherlich an die ganze Drogensache, aber ich konnte nicht aufhören daran zu denken, dass er vielleicht auch nur ein winziges Bisschen an dasselbe dachte wie ich.

Aber ich konnte darüber nicht reden. Ich konnte ja nicht mal einen klaren Gedanken fassen. Zeitgleich wollte ich Jisung näherkommen und wenn ich meine Vergangenheit weiterhin meine Zukunft und das Präsente kontrollieren ließ, würde ich niemals mehr eine richtige Verbindung aufbauen können.

Verzweifelt und verängstigt sah ich mich im Wohnzimmer um, als würde ich irgendetwas finden können, das mir bei meiner Entscheidung helfen würde. Aber ich entdeckte nur auf der großen Uhr an der Wand, dass ich mindestens zwei Stunden mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen sein musste.

𝗙𝗔𝗞𝗘 | 𝖬𝖨𝖭𝖲𝖴𝖭𝖦Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt