Kapitel 27: Das letzte Puzzelstück

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"Es ist der Augenblick der Wahrheit, wenn das letzte Puzzlestück seinen Platz findet und das Bild endlich vollendet wird."


Der Motor des Wagens summt leise, während die Scheibenwischer in monotonem Takt gegen den heftigen Regen ankämpfen. Draußen ist die Welt in ein Grau gehüllt, das nur von den gelegentlichen Blitzen durchbrochen wird, die den Himmel zerreißen. Der abgelegene Schuppen erhebt sich wie ein gespenstischer Riese am Horizont, seine dunklen Umrisse verschwimmen im prasselnden Regen. Ein schauriges Gefühl durchzuckt meinen Körper, als ich die letzten Meter auf den verlassenen Hof fahre.


Eve neben mir zittert leicht, und obwohl sie versucht, ihre Nervosität zu verbergen, kann ich das Beben ihrer Hände sehen. "Wir schaffen das," sagt sie, ihre Stimme fest, aber mit einem Hauch von Unsicherheit. "May braucht uns."Ich nicke stumm, meine Gedanken wirbeln um die Dringlichkeit der Situation. Die Nachricht von May ist kryptisch, aber eindringlich gewesen. Sie hatte um Hilfe gebeten, und ihre Worte waren voller Panik und Verzweiflung. Kein Detail, keine genaue Adresse, nur ein flüchtiger Hinweis auf diesen verlassenen Schuppen am Rande der Stadt.


Ich schalte den Motor aus, und die Stille, die daraufhin eintritt, ist fast ohrenbetäubend. Der Regen klatscht unermüdlich gegen das Blechdach des Autos, und das ferne Grollen des Donners verstärkt die Unruhe, die in mir brodelt. "Bist du bereit?" frage ich, mehr um mich selbst zu beruhigen als Eve.Sie atmet tief durch und nickt erneut. "Wir haben keine andere Wahl."Mit klammen Fingern greife ich nach der Tür und öffne sie. Ein Schwall kalter Luft und Regen schlägt mir entgegen, als ich aus dem Auto steige. Das Wasser durchnässt sofort meine Kleidung, und ich spüre, wie die Kälte in meine Knochen kriecht. Neben mir öffnet auch Eve ihre Tür und tritt in die nasse Dunkelheit hinaus.


Wir schreiten schnellen Schrittes über den matschigen Boden, jeder Schritt ein weiterer in Richtung Ungewissheit. Vor dem massiven Metalltor des Lagerhauses halten wir inne. Gemeinsam atmen wir tief durch und schieben das Tor mit vereinten Kräften auf.Das Innere des Lagerhauses ist eine Höhle aus Dunkelheit, unterbrochen nur von den schwachen Strahlen unserer Taschenlampen. Jede Bewegung ist ein Echo, jeder Atemzug ein Flüstern in der Stille. "May?" rufe ich, meine Stimme hallt gespenstisch durch den Raum. Keine Antwort.


Eve hebt ihre Taschenlampe und leuchtet in die Ferne. "Dort drüben," flüstert sie und zeigt auf eine kleine Tür am anderen Ende des Lagerhauses. Ohne zu zögern gehen wir darauf zu, unsere Schritte fest und entschlossen, obwohl die Angst in unseren Herzen tobt.


Mit zitternden Händen öffne ich die Tür und trete in einen schmalen Korridor. Die Wände sind mit Rostflecken übersät, und der Geruch von feuchtem Beton und Verfall liegt in der Luft. Plötzlich hören wir ein leises Wimmern, schwach, aber eindeutig. Jeder Laut durchdringt die Stille wie ein Messer, und meine Nerven spannen sich bis zum Zerreißen. Eve und ich tauschen einen schnellen Blick aus, dann folgen wir dem Geräusch, unsere Schritte hallen dumpf auf dem kalten Boden wider.


Der Korridor scheint sich endlos zu erstrecken, jeder Schritt verstärkt das beklemmende Gefühl in meiner Brust. Die flackernden Strahlen unserer Taschenlampen tanzen über verlassene, verrostete Türen und zerbrochene Fensterscheiben. Schließlich erreichen wir das Ende des Ganges, wo das Wimmern lauter wird und hinter einer halb geöffneten Tür hervorzukommen scheint. Mein Herz rast, und meine Hand zittert, als ich die Tür weiter aufstoße.In dem kleinen Raum dahinter herrscht eine bedrückende Dunkelheit, nur das schwache Leuchten unserer Lampen dringt hindurch. Im Scheinwerferlicht erkennen wir May, zusammengesunken in einer Ecke. Ihre Kleidung ist zerrissen und schmutzig, ihr Gesicht von Angst und Erschöpfung gezeichnet. Ihre Augen sind weit aufgerissen, als sie uns erblickt, aber sie scheint uns kaum wahrzunehmen.

Schattenliebe - Der Schrei der BansheeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt