1. Kapitel

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     Mit einem dicken Kloß im Hals betrachtete ich das samtige Säckchen aus Satin, dass im Licht der Kerzen schimmerte. Nach Mums Tod hatte ich all diese Säckchen heimlich aus dem Schrank geklaut, nachdem sie diesen Teil des Schrankes hatten aufsperren müssen. Jetzt lagen all diese Säckchen bei mir. An Tagen wie heute fragte ich mich, was wirklich der Grund gewesen war, warum sie mich davon hatte fernhalten wollen.
      Doch ich konnte sie nicht mehr fragen. Gestern hatte ich diese Gedanken noch gut verdrängen können, doch heute, an meinem 19. Geburtstag, schaffte ich das nicht mehr. Nach ihrem Tod hatte ich drei Jahre lang nichts mehr davon wissen wollen, heute hatte ich das erste Mal wieder hervorgeholt. Die Musik meines Balls drang an meine Ohren. Der Ball, der nur für mich stattfand, genauso wie dieser kleine Jahrmarkt, der extra von den südlichen Inseln hierher gekommen war.
      Mein Vater wollte wieder Freude in mein Leben bringen und hoffte, dies mit dem Jahrmarkt zu schaffen, der heute Nacht extra für mich öffnen würde. Bei diesen Gedanken bildete sich ein Kloß in meinem Hals. Meine Mutter liebte Jahrmärkte, den Zirkus, den Karneval. Wie er also darauf kam, dass ausgerechnet heute zu machen, wusste ich nicht. Wütend starrte ich das Säckchen vor mir an, als könnte es mir eine Antwort darauf geben.
Natürlich konnte es das nicht. Sie hatte immer ein Geheimnis um diesen Staub gemacht. Immer. Bis zu ihrem letzten Atemzug vor über drei Jahren. Sie schien nicht zu wollen, dass ich damit in Berührung kam. Obwohl in meinem Zimmer niemand war, fühlte es sich so an, als würde sie von oben auf mich hinabsehen und enttäuscht mit dem Kopf schütteln.
Doch seit ich diesen Zettel gefunden hatte, der bei den Säckchen dabei gewesen war, war meine Neugier noch größer geworden. Wie blind griff ich nach meiner Schublade, in der ich ihn lagerte und fischte ich ihn heraus.

Dieser Sternenstaub eröffnet dir Türen, von denen du nur träumst. Er lässt dich eine ganz neue Welt betreten und deine Träume länger anhalten. Der Staub kann auch die Zeit anhalten, wenn du es erlaubst. Doch gib Acht, zu viel davon und schon bald wirst du Realität von Traum nicht mehr unterscheiden können ~ Dreammaker

      Ich hatte keine Ahnung, wer dieser Dreammaker war. Anscheinend jemand, der sich mit diesem Staub auskannte. Ob es Sternenstaub war, konnte ich nicht sagen. Jedenfalls hielt ich das für unmöglich. Auf der anderen Seite war es auch kein gewöhnlicher Staub. Stirnrunzelnd betrachtete ich den Zettel in meiner Hand. Die Schrift war so geschwungen. So gleichmäßig und wunderschön.
      Die Tinte war an keiner Kante verschmiert und hatte sich in das bereits gelbliche Papier gegraben. Vor meinen Augen stellte ich mir vor, wie ein Füller über das Papier glitt, eine glänzende Spur hinterließ, bis sich tief in das Papier grub und nicht mehr wegzudenken war. Selbst diese Schrift hatte etwas Magisches an sich. Wie der Staub. Beides war wunderschön und schien uralt zu sein. Die Art, wie die Person schrieb, wirkte älter.
      Diese Schreibschrift war... na ja sie schien fast aus einer anderen Zeit zu kommen. Jedenfalls glaubte ich das. Sanft fuhr ich mit den Fingern darüber. Fuhr die wilden Buchstaben nach, die nach einander in einer Reihe kamen und so geschwungen und wunderschön waren, dass meine Schrift im Vergleich hässlich wirkte. Instinktiv stellte ich mir eine Frau vor, die ihren Füller über dieses Papier gleiten ließ, verwarf den Gedanken aber schnell wieder.
      Genauso gut hatte das ein Mann schreiben können. Dreammaker. Automatisch fragte ich mich, wer das sein konnte. War es ein Deckname? Ganz bestimmt. Seufzend studierte ich nicht nur die Buchstaben, sondern auch ihre Bedeutung. Noch immer hatte ich nicht gewagt, den Sternenstaub zu öffnen. Im Gegenteil. Vor Angst hatten mir ab und an die Beine geschlottert.
Dennoch würde ich es eines Tages testen. »Miss Ferran? Sind Sie bereit sich für den Ball zu kleiden?«, drang die zögerliche, leise Stimme von Vivian, meiner Zofe, von der anderen Seite der schweren Tür an mein Ohr. Eilig packte ich das Säckchen weg, so wie den Zettel und spürte meinen wilden Herzschlag, als sie die Tür öffnete. Das erste, was durch die Tür kam, war ihre wilde Mähne an tintenschwarzem Haar, das im Schein meiner Kerzen schimmerte.
      Danach ein schimmerndes Meer aus goldenem Satin und Tüll, dass sich bis zum Boden erstreckte. Ein Kleid, dass sie in den Händen trug. Erst dahinter kam ihr eigenes, graues Kleid zum Vorschein, und ihre rundliche Figur. Vivian schenkte mir ein zaghaftes Lächeln, als sie mir das Kleid hinstreckte. »Ihr Vater meint, dass Sie das heute zu Ehren ihres 19. Geburtstages tragen sollen.« Mit großen Augen betrachtete ich das Kleid, dass sie nun hochhielt.
      Es war wunderschön. Es hatte kurze Ärmel, die die Schultern freiließen, einen herzförmigen Ausschnitt, der bei mir hoffentlich nicht allzu viel zeigen würde. In der Mitte, dort, wo mein Bauch war, erstreckte sich ein glitzerndes, geschnörkeltes Muster, bis über den weitgeläufigen unteren Teil des Kleides, der sanft und weit an meinen Beinen herabfallen würde.
Das Kleid war figurbetont und würde meine Maße an genau den richtigen Stellen zur Show stellen. Maßgeschneidert. Das fiel mir auf den ersten Blick auf. Mein Vater macht keine halben Sachen, schoss es mir durch den Kopf. Von daher erkannte ich auch gleich die wahre Intention hinter diesem Kleid. Das Kleid war viel zu... schön, um einfach nur für diesen Ball zu sein. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als mir seine Worte vom Frühstück heute morgen wieder in den Sinn kamen.

Star DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt