21. Kapitel

14 5 1
                                    

     Ich blinzelte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Unwissend, was ich ihm antworten sollte. Ich hatte einfach keine Ahnung. Sollte ich ihm sagen, dass er sich irren konnte? Sollte ich ihm sagen, dass Sorge vollkommen unbegründet war? »Woher...«, ich räusperte mich. Meine Stimme von allen möglichen Gefühlen belegt und ein Kloß in meinem Hals. »Woher weißt du das?« Er sah mich an. »Sie hat heute auch das Pulver benutzt und wenn man genau in sich geht, spürt man die Anwesenheit der anderen im Traumland. Ihre Anwesenheit ist soeben verschwunden.«
      Seine Worte hallten in meinem Kopf wider wie ein Donnergrollen. Kälte überkam mich und zum ersten Mal war ich mir nicht sicher, was ich denken sollte, geschweige denn, was ich fühlen sollte. Ich ging tief in mich. Auch ich konnte die Anwesenheit von Emrys spüren. Doch ihre nicht. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als mir bewusstwurde, was das bedeutete. Sie schien wirklich weg zu sein.
      »Vielleicht ist sie nur wegen etwas aufgewacht«, sagte ich zu ihm und versuchte ihm Hoffnungen zu machen, da ich den gequälten und ängstlichen Ausdruck auf seinem Gesicht nicht ertrug. Ein Beben ließ seinen Körper erzittern und er wirkte überhaupt nicht so, als hätte er etwas von meinen ermunterten Worten gehört. Überhaupt nicht.
      Sein Blick war starr in die Ferne gerichtet und es schien, als könnte er dort etwas sehen. Etwas, das ich nicht sehen konnte. Es wurde mir klar, als ich in die Leere und Kälte seiner Augen blickte. Er sah die Vergangenheit vor sich. Er schien gefangen. Schweißperlen glitzerten im Licht des Standes auf seiner Stirn, seine Augen weit aufgerissen und er zitterte wie Espenlaub. Mein Herz krampfte und wandte sich bei seinem Anblick so heftig in meiner Brust, wie noch nie. Es machte mir Angst.

     Rivan, der sonst immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte, Rivan, der mich immer so frech angrinste und Rivan, der so sorglos war, wirkte in diesem Moment ängstlich und verloren. Meine Füße bewegten sich wie von selbst und kaum hatte ich mich versehen, schlang ich meine Arme um ihn. Das Beben seines Körpers hörte auf. Er schnappte nach Luft und eine Sekunde später schlang er die Arme um mich.
      Sein Kopf vergrub er in meiner Halskuhle und schien meinen Duft zu inhalieren. Das Zittern seines Körpers wurde schwächer, bis es ganz verebbte. Nur seine zittrige Atmung blieb. Scharf atmete er ein und aus. Er presste mich so fest an sich, als wäre ich sein Fels in der Brandung, an den er sich klammern musste, um nicht zu ertrinken. »Ich bin hier«, flüsterte ich. Er presste mich noch fester an sich. Sanft strich ich über seinen Rücken. »Ich bin hier.«
      So standen wir da. Die Traumwelt um uns herum geriet in den Hintergrund. Es gab nur noch uns beide. Uns, wie wir hier standen und ich versuchte, ihn festzuhalten. Ihn über Wasser zuhalten, damit er nicht in den dunklen Fluten seiner Erinnerungen ertrank. Ich wusste nicht, wie lange wir so standen, bevor er sich von mir löste.
      Die Furcht war noch nicht ganz aus seinen Augen verschwunden, doch in seinem Blick war noch etwas anderes. Etwas, das ich nicht ganz deuten konnte. »Willst du herausfinden, was passiert ist? Sollen wir aufwachen?«, fragte ich vorsichtig. Rivan schien nachzudenken. Über was, konnte ich nicht genau sagen. In seinen Augen lagen so viele Emotionen, die ich nicht deuten konnte. Da lag so viel in seinem Blick, dass ich nicht verstand.
      »Lass uns erst zu Jaylan und Emrys. Vielleicht wissen sie etwas«, meinte er und lief los. Eilig folgte ich ihm. Vergessen war das Messerwerfen und vergessen war Dreammaker, den wir finden wollten. Das war nicht so wichtig, wie die Tatsache, Rahella zu finden. Wo auch immer sie war. Wir liefen über den Jahrmarkt. Wie immer schien Rivan seinen Weg blind zu finden. Kurze Zeit später erreichten wir das Zelt von Emrys. Sein Schild war aus.
      Doch im Innenraum waren leise Stimmen zu hören. Rivan klappte einfach die Zeltwand auf und trat in das kerzenbeleuchtete Zelt. »Hey! Noch nie was von Privatsphäre gehört, Rivan?«, schnauzte Emrys. Ich betrat das Zelt und wurde hochrot, als ich Jaylan auf Emrys Schoß erblickte. Oberkörperfrei. Eilig wandte ich den Blick ab. »Sucht euch einen anderen Traum, um rumzumachen«, meinte Rivan nur. Emrys knurrte und strich sich über sein blond-silbernes Haar, das im Kerzenschein schimmerte.
     Jaylan stieg von ihm herunter und zog sich ungerührt sein Hemd über und richtete seine Haare. Es schien ihn nicht zu stören, wobei wir sie gerade erwischt hatten. »Was ist los? Du musst schon einen guten Grund haben, um mich hierbei zu stören, sonst setzt es was«, drohte Emrys und funkelte Rivan wütend an. Dieser rollte nur mit den Augen. »Du spürst doch auch, dass meine Schwester nicht mehr da ist. Was kannst du jetzt sehen?«
      Rivan sprach von der Zukunft. Emrys sah ihn ungerührt an. »Was ich jetzt sehen kann? Du weißt genau, dass meine Gabe nicht auf Knopfdruck funktioniert!« Emrys war wütend. Eine Ader an seinem Hals pochte. Jaylan nahm seine Hand und drückte sie. Der Kontrast ihrer Hautfarben war wunderschön. Wie das eine Zeichen, dass ich einst gesehen hatte, das für Liebe gestanden hatte. Die eine Seite war schwarz gewesen, die andere weiß. Emrys' weiße Hand verschwand in Jaylans dunkler Hand.

Star DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt