23. Kapitel

12 4 0
                                    

     Die Erkenntnis, dass das hier wieder nur ein Traum war, traf mich hart. Ich könnte aufwachen, wenn ich wollte. Jetzt, wo ich wusste, dass das hier wieder nur ein Traum war. Ich könnte aufwachen. Doch das wollte ich nicht. Rahella war vielleicht in Gefahr. So egoistisch konnte nicht einmal ich sein. Die Frage war nur, ob Dreammaker sich jetzt zeigen würde, wenn ich wusste, dass das hier nur ein Traum war.
      Ich stand nicht mehr auf der Schwelle. Ich wusste, dass das hier nur ein Traum war. Irgendwie hatte ich es ja immer geahnt. Irgendwie. Alles war zu schön gewesen, um wahr zu sein. Die Zeit mit meinem Vater, die Ausritte, die Tatsache, dass er Rivan dudelte. Das alles war nur im Traum passiert. Tränen liefen meine Wangen hinab und ich erlaubte mir, zu weinen. Bitterlich zu weinen, bevor ich dieses Zimmer verlassen würde.
     Ein paar Schluchzer schüttelten meinen Körper und der Schmerz brannte in mir, als hätte jemand ein Feuer in meinem Körper entzündet. Die Welt kam mir dunkler vor. Ein Blick nach draußen verriet mir schemenhaft, dass dort ein paar Wolken sich vor die Sonne geschoben hatten. Passend, dachte ich und schluchzte abermals. Rivan hatte mich benutzt, um Dreammaker zu finden. Hatte mich angelogen.
      Er hatte gesagt, dass es real war. Doch er fühlte sich nur real an, weil er auch in diesem Traum war. Das hätte ich vorher durchschauen müssen. Ich hätte es vorher verstehen müssen. Ich hätte es vorher sehen müssen, verdammt. Ich hätte es einfach früher erkennen sollen. Es hätte mich nicht so treffen sollen. Es hätte mich nicht so treffen sollen. Im Gegenteil. Und doch... Tränen über Tränen liefen meine Wangen hinunter und hinterließen salzige Spuren. Eine Zeit lang erlaubte ich mir bitterlich zu weinen.
      Immer und immer mehr Tränen liefen meine Wangen hinab und tropften auf den Stoff meines Schlafkleides. Wenn ich schon nicht in der Realität weinen konnte, dann würde ich eben im Traum weinen. Zumindest war Rivan nicht hier, um es zu sehen. Das war ein kleiner Vorteil, den ich so sehr liebte. Er sah es nicht. Deswegen weinte und weinte ich. Emrys Worte hallten in meinen Ohren wider: »Manchmal muss man weinen, um die Welt um sich herum klarer und deutlicher zu sehen.«
      Jetzt ergab dieser Rat Sinn. Es ergab Sinn. Emrys hatte es kommen sehen, nachdem er Rivan gesagt hatte, dass er ehrlich sein soll. In diesem Moment hatte Rivan sich dazu entschieden es mir zu sagen und Emrys hatte die Folgen daraus gesehen. Insgeheim hoffte ich, dass ich die Welt nach den Tränen klarer sehen würde. Ich hatte schon so lange nicht mehr geweint. Die Tränen galten Rivan, meiner Mutter, meinem Vater und mir. Ich weinte und weinte und weinte. Wie lange, wusste ich nicht mehr.

     Im Traum verging die Zeit ja auch anders. Vermutlich vergingen gerade im echten Leben nur ein paar Minuten, während hier die Zeit Stunden zu dauern schien. Als meine Kehle trocken war und die Schluchzer nur noch als ein Krächzen aus meiner Kehle kamen, wischte ich mir über die nasse Wange und hörte auf. Es brachte nichts, weiter zu weinen. Besonders, da ich nicht das Gefühl hatte, klarer zu sehen. Die Welt war noch immer dunkle um mich herum und ich verstand nicht, wie Rivan hatte denken können, dass eine Lüge besser sei, als die Wahrheit.
      Für was schämte er sich denn so? Es gab noch viele Dinge, die er mir einfach nicht gesagt hatte. Dinge, die er mir verschwieg. Das spürte ich tief in mir. Es gab noch etwas, was er mir verschwieg. Wofür er sich schämte. Doch warum hatte er mich so lange angelogen? Warum? Von dem Tag an, als ich geträumt hatte, dass Rahella da war, hatte ich nur noch geträumt. Rivan hatte mich sogar in einen Traum in meinem Traum geschickt!
      Die ganze Zeit über hatte er mit mir gespielt als wäre ich seine Marionette. Einfach so. Wut kochte in mir auf und ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Abermals wollten Tränen in meine Augen treten, doch ich hielt sie zurück. Stattdessen stand ich auf, lief zu dem Tisch in meinem riesigen Zimmer und goss mir ein Glas Wasser ein. Eilig stürzte ich den Inhalt meine trockene Kehle hinunter nur um festzustellen, dass selbst das Wasser in meinem Traum besser schmeckte.
      Diese kleinen Details... ich hatte sie nicht bemerkt. Ich hatte sie einfach übersehen, als wären sie nie dagewesen. Als... als wäre ich blind für diese Dinge gewesen. Vermutlich war ich auch blind dafür gewesen. Da Rivan mir gesagt hatte, dass es real war. Seinem Urteil hatte ich getraut, wie ein kleines naives Mädchen. Denn ich war nichts anderes. Ein kleines, naives Mädchen. So kam ich mir jedenfalls vor.
      Obwohl ich mittlerweile 19 Jahre auf dieser Erde lebte, hatte ich ihn nicht durchschauen können, hatte nicht gesehen, dass er mich für seine eigenen Zwecke nutzte. Naiv. Naiv. Naiv. Ich war so naiv. Noch einmal kippte ich ein Glas Wasser hinunter und wunderte mich, wo Vivian blieb. Meine Augen waren nun etwas krustig von den geweinten Tränen, die nun getrocknet waren. Das Salz meiner Tränen klebte in meinen Wimpern.
      Ich wischte darüber und warf einen Blick in den Spiegel. Meine Augen waren gerötet und es sah aus, als hätte ich stundenlag geweint. Da erinnerte ich mich daran, dass das hier mein Traum war. Es war mein Traum. Dreammaker und sonst auch niemand hatte die Kontrolle darüber. Ich hatte die Kontrolle. Ich allein. Also träumte ich, dass die roten Augen verschwanden und normal aussahen. Ich träumte, dass ich bereits in meinem heutigen Kleid dastand. Es war anders als sonst.
      Die Kleider, die ich sonst getragen hatte, wenn ich Rivan sah, waren bunt gewesen und manche sogar mit gestickten Blumen überseht gewesen. Dieses hier war schlicht und einfach und war schwarz. Der Stoff war nicht zu auffällig und aus feinster Seide. Er lag eher enger an meinem Körper und auch der untere Teil ging nicht so in die Breite, wie die anderen Kleider, die ich sonst trug. Es war ein eher unauffälliges Kleid, dass tatsächlich zu meiner Stimmung passte. Als ich das Schwarz meines Kleides betrachtete, fiel mir der Mann im Umhang wieder ein.
      Diese stechend grünen Augen und dieses geheimnisvolle, mystische Grinsen. Mein Atem stockte und ich fragte mich, ob das Dreammaker gewesen war. Das konnte ja sein oder? Es ergab Sinn, aber... aber auch wieder nicht. Warum sollte er sich so zeigen, wenn er doch einfach in der Gestalt eines anderen verschwinden konnte? Oder lag es daran, dass es manchmal schwer für ihn war, in die Gestalt eines anderen zu tauchen?
      Meine Gedanken rasten und rasten, während der Traum sich wieder von selbst in die Hand nahm. Im nächsten Moment klopfte es an der Tür und ich wurde von Vivian unterbrochen, die erst den Kopf zur Tür hereinstreckte und dann mein Zimmer betrat. Sie sah so verdammt echt aus. So verdammt echt. Doch ich sagte mir, dass das das nur ein Traum war. Denn das war es. Nur ein Traum. Ein Traum, dem ich nicht entkommen konnte.
      Ein Traum, der Rivan helfen konnte, seine Schwester zu retten. Deswegen würde ich nicht aufwachen. Ich würde es nicht zulassen. Vorher mussten wir Rahella finden. Wenn wir sie fanden, fanden wir auch Dreammaker. »Guten Morgen, Ferran«, sagte sie fröhlich, als sie allerdings mein Kleid sah, verrutschte ihr Lächeln ein bisschen. Ihre Stirn warf Falten und ein verwirrter Ausdruck huschte über ihr Gesicht.

Star DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt