14. Kapitel

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      Nachdem ich mich von Rivan mit einer langen Umarmung verabschiedet hatte und über den Schotterweg zum Schloss gelaufen war, huschte ich nun durch den mit Kerzen beleuchteten Gang. Das Kerzenlicht warf meinen Schatten an die Wand und es roch nach altem Wachs in der Luft. Nur meine Schritten hallten in dem leeren Gang wider und für einen Moment hatte ich Angst, dass der Mann mit dem Umhang jeden Moment hinter jeder Ecke hervorschauen könnte.
Das war gruselig gewesen aber vielleicht dachte ich mir auch einfach zu viel dabei. Schließlich war er nur ein Mann gewesen und vielleicht hatte ich ihn genauso erschreckt, wie er mich. Nur seine stechendgrünen Augen konnte ich nicht vergessen. Sein Blick hatte so etwas... altes in sich gehabt. Als wäre er schon so lange auf dieser Welt. Genau konnte ich dieses Gefühl nicht beschreiben. Rivan hatte mich nicht weiter gedrängt, hatte aber gemerkt, dass irgendwas nicht stimmte.
      Deswegen hatte er mich die ganze Zeit fest an seine Seite gedrückt gehabt und hatte mich später, als wir uns umarmt hatten, auch fast nicht gehen lassen. Seine starken Arme waren eine Art Rahmen gewesen, der mich sicher umgab und mich schützte. Er hatte mich so stark an seinen Körper gepresst, dass ich noch immer die Härter seiner Muskeln fühlten konnte.
      Ein Schrei stieg in meiner Kehle auf, als ich nun um die Ecke bog und jemanden vor meiner Tür stehen sah. Der Schrei blieb aber in meinem Mund, als ich die moccafarbene Haut erkannte, die eindeutig meinem Vater gehörte. Er sah auf. Dunkle Ringe lagen unter seinen Augen, seine Augen an sich wirkten trüb und er sah müde und geschlagen aus. Vorhin hatte ich ein Blick auf die Turmuhr gereicht um mir zu zeigen, dass es bereits kurz nach elf Uhr nachts gewesen war und mein Vater ging immer um zehn Uhr abends ins Bett.
      »Was... was stehst du vor meiner Tür herum?«, fragte ich leise und schluckte, als ich näher zu ihm trat. Er räusperte sich. »Ich... ich habe mir Sorgen gemacht, wusste aber, dass du auf dem Jahrmarkt bist. Ich habe hier auf dich gewartet, damit wir reden können, Ferran.« Ein Kloß bildete sich in meinem Hals und mein Herz setzte einen Schlag aus. Meine Mutter hatte immer gewollt, dass ich mich mit ihm aussprach.
      Sie hatte mich versprechen lassen, immer für ihn da zu sein und ihm immer zuzuhören. Seine Hand zu halten, selbst wenn er es nicht wollte. Dieses Versprechen hatte ich versucht zu halten, doch ein Teil in mir war noch immer sauer auf ihn, dass er sich nicht bei ihr hatte blicken lassen. Es fiel mir heute irgendwie schwer, das zu vergessen.
      Die letzten drei Jahre hatte ich das für sie getan. Heute war irgendwas mit mir durchgegangen. Eine Art... na ja, genau konnte ich das nicht sagen. Ich wusste nur, dass ich das überhaupt nicht wollte. Ich wollte sauer auf ihn sein und es nicht vergessen, doch jetzt, wo er mich so ansah, kam ich irgendwie nicht darum herum, ihm verzeihen zu wollen. Ein Teil in mir vermisste ihn. Vermisste ihn sehr. Eine Welt ohne ihn konnte ich mir vorstellen.

     Insgeheim wollte ich wieder Ausritte mit ihm machen, einen schönen Tag haben, lachen, gemeinsam essen, über Gefühle sprechen. Über Gedanken. Doch... das alles war mir verwehrt. Der Vater, den ich so sehr liebte und wollte, war mir verwehrt. Denn ich würde ihn nicht zurückbekommen, egal, was ich wollte. Er war der König. Der eiserne, autoritäre, ernste König, der keine Zeit mehr für seine Tochter hatte.
      Der König, der Ratssitzungen über Ratssitzungen hatte. Ein König, der Termine brauchte, um mit seiner eigenen Tochter zu reden. Der König, der seine Frau nicht am Sterbebett besucht hatte. Der König, der seine Tochter im Alter von einem Jahr an einen Jungen verkauft hatte, der gerade mal zwei Jahre alt war. Der König, der keine Liebe mehr zeigte. Das war mein Vater. Ich wusste nicht mehr, ob ich das Versprechen, dass ich meiner Mutter gegeben hatte, halten konnte.
      Auch jetzt nicht, wo er mich mit diesem stummen Flehen in seinen dunklen Augen betrachtete. Mein Vater wirkte müde. Verzweifelt. Ausgelaugt und dennoch spürte ich nicht die kleine Regung von Mitleid in meinem Körper. Es war, als würde ich ihn einfach ansehen, ohne eine Emotion. Ich wusste nicht, was mit mir los war, doch ich empfand momentan nicht recht viel, als ich ihn ansah. Da war diese Leere in mir.
      »Ich weiß, dass es spät ist und du sicher ins Bett möchtest, aber es gibt da ein paar Dinge, die ich dir sagen muss, Ferran«, fing er an. Seine Stimme war so leise und so langsam, dass die Müdigkeit sicher an ihm zerrte. Seine Stimme war so leer, wie ich mich fühlte. Er räusperte sich und fuhr sich über das alte, gegerbte Gesicht. »Deine Mutter war alles für mich... sie am Sterbebett zu sehen, brachte mich um. Ich konnte sie nicht sehen, denn sonst hätte ich das Königreich in den Ruin getrieben.«
      Er holte tief Luft. »Ich dachte Tag und Nacht an sie. Nachts fand ich mich schlaflos im Bett, Tags über lief ich wie eine lebendige Leiche durch das Schloss. Ich wollte sie ja sehen, aber das hätte alles nur noch schlimmer gemacht. Natürlich forderten die anderen mich auf, zu ihr zu gehen doch meine Entscheidungen waren... irrational. Falsch. Dumm. Ich konnte nicht klardenken. Hätte ich sie besucht, hätte noch weniger klar denken können. Doch meinen Beratern hätte ich das Regieren nicht überlassen können. Zu der Zeit waren sie bereits darauf erpicht, Sklaven aufzubringen und die Steuern für die Bürger zu erhöhen.«

Star DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt