6. Kapitel

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     Müde wachte ich auf. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass die Uhr wirklich angehalten haben musste, denn es war kurz vor sechs Uhr morgens, als ich aus dem Fenster sah. So wirkte es jedenfalls. Es war noch leicht dunkel, aber man hörte erste Vögel zwitschern. Gähnend streckte ich meine Glieder und hörte es knacken. Für eine Weile blieb ich noch in der molligen Wärme meines Bettes liegen und starrte an die Decke.
      Lächelnd erinnerte ich mich an meinen Traum. Rivan... Ein wunderschöner Name, der mir auf der Zunge zerging. Es war erstaunlich, dass Rivan in jedem meiner Träume bis jetzt gleich ausgesehen hatte. Nichts hatte sich an ihm verändert, außer seine Kleidung. Überraschend, wie ich festgestellt hatte. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er heute Nacht etwas anders aussehen würde.
      Weiter lächelnd starrte ich an die Decke und versuchte mir einzureden, dass es falsch war, solche Gefühle für eine Figur aus einem Traum zu haben. Schließlich war er nicht mehr als das. Ein junger Mann aus meinen Träumen, den es nicht in Echt gab. Als es irgendwann Zeit war, sich anzukleiden, warf ich die Decke von mir und schwang meine Beine über die Bettkante, bevor ich aufstand.
      Leise tapste ich in meinem Nachtgewand zu meinem Kleiderschrank und entschied mich für ein beiges Kleid, dass längere Ärmel hatte. Ein Blick nach draußen verriet nämlich, dass der Himmel wolkenbehangen war und die Sonne vermutlich nicht mehr so schnell herauskommen würde. Ein Wind ließ die Baumkronen tanzten und in der Ferne schlackerten die Zeltwände des Jahrmarkts.
      Das warme, goldene Licht war das einzige, dass den düstern Morgen erhellte. Vermutlich ließen sie bei dem trüben Wetter die Lichter an, um uns dennoch etwas helles, schönes zu geben. In Gedanken versunken zog ich mir das Kleid an, gerade bevor Vivian klopfte und kurz darauf das Zimmer betrat. Als sie erkannte, dass die meisten Vorhänge noch zu waren, riss sie sie schwunghaft auf. Staub wirbelte auf und ich hustete etwas.
      Die Vorhänge hingen seit Jahren an Ort und Stelle und doch kümmerte sich niemand darum, sie zu waschen. Sofort öffnete sie ein Fenster. Kühle Luft strömte meine Gemächer und ich war froh darüber, mich für dieses Kleid entschieden zu haben. Sofort vermisste ich die Tunika, die ich in meinem Traum getragen hatte und die Wärme, die Rivan ausgestrahlt hatte. Ich vermisste seinen starken Arm, der auf meinen Schultern lag.
      Immer wieder musste ich mich daran erinnern, dass nichts davon wahr war. Dass Rivan nicht echt war. Dass er nur in meinen Träumen existierte. Dennoch kam ich nicht darüber hinweg, wie toll Rivan war. Wie wunderschön er war und welche Gefühle er in mir auslöste. »Du siehst sehr ausgeschlafen aus, Ferran. Richtig strahlend«, sagte Viv, die mich nun musterte. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen sah ich sie an.

     »So fühle ich mich ja auch.«
»Das ist gut. Dieses Strahlen wirst du beim Frühstück auch brauchen. Preston ist da aber auch Mister Nalton und sein Sohn.« Irritiert runzelte ich die Stirn und sah sie an.
      »Mister Nalton hat einen Sohn?«
      Sie nickte. »Ja.« Nun war ich etwas perplex. Warum war sein Sohn nicht auf dem Ball gewesen? Moment, vielleicht war er auf dem Ball gewesen und ich hatte ihn nur nicht gesehen. Das konnte ja alles sein. Vermutlich war es auch so. Ich nickte und fragte mich, wie er wohl sein würde und warum Mister Nalton nun beim Frühstück war.

     »Kennst du seinen Namen?«, fragte ich, als sie mir mit meiner Bürste durch meine wilde, lockige, schwarze Haarpracht fuhr. Sie schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nur gesehen wie er mit Mister Nalton den Speisesaal betreten hat. Mehr nicht. Aber du wirst ihn ja gleich erfahren.« Viv beeilte sich, meine Haare zu machen. Anscheinend spürte sie meine nagende Neugier, die mich von ihnen heraus aufzufressen schien. Gute zehn Minuten später war sie mit meiner Frisur fertig und wir konnte das Zimmer verlassen.
      »Hast du mal wieder die Gelegenheit gehabt mit dem Ritter zu reden?«, fragte ich sie, als wir zum Frühstück liefen. Vivs Lächeln verschwand sofort von ihren Lippen und ein trauriger Ausdruck dominierte ihre feinen, rundlichen Gesichtszüge, als sie den Kopf schüttelte. Schmerz durchzog meine Brust und ich bereute es fast, das Thema angeschnitten zu haben.
      »Sag mir, wie hoch seine Stellung ist und ich sorge dafür, dass er gleich einmal zwei oder drei Stellungen weiter runterrutscht«, schlug ich vor, doch sie schüttelte den Kopf. »Nein. Er ist ein guter Ritter. Mach das bitte nicht.« Innerlich seufzte ich, beschloss aber, dass es vermutlich eine gute Entscheidung war, nicht allzu frech zu sein. Außerdem brauchten wir die Ritter.
      »Na schön«, willigte ich also irgendwann zu. Vivian lächelte erleichtert und dann erreichten wir den Speisesaal. Die Wachen öffneten mir, nachdem sie sich wie immer verneigt hatten, die Türe und ließen mich eintreten. Der Duft von frischen Brot, Käse und Obst erfüllte die Luft, so wie Duft von Kerzenwachs. Stimmengewirr drang an mein Ohr, das sofort verstummte, als sich die Türen schwerfällig und laut öffneten.
      Alle Blicke richteten sich auf mich, doch ich konnte nur den jungen Mann ansehen, der neben Mister Nalton auf dem Stuhl saß. Ein grünes und ein blaues Auge blitzten mir vergnügt entgegen und ein schiefes Lächeln legte sich auf meine Lippen. Das hier muss ein Traum sein, schoss es mir durch den Kopf. Doch wenn es ein Traum wäre, dann wäre Preston nicht hier.
Dann wäre auch Dad nicht hier. Seine Lippen verzogen sich zu einem sinnlichen Lächeln, als er merkte, dass ich ihn weiter anstarrte. Ein warmes Funkeln trat in seine Augen. »Rivan...«, murmelte ich und mein Herz vollführte einen Satz. Vivian neben mir schien mich verwirrt zu mustern. Das sah ich jedenfalls aus dem Augenwinkel. Wie betäubt trat ich einen Schritt nach vorne. Einen zittrigen Schritt.

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