20. Kapitel

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     Eine warme Brise strich über meine Haut und trug den Geruch von Blumen, frischem Gras und... einfach Frühling heran. Die grünen Blätter erstrahlten im Licht der Sonne, das Gras wog sich leicht im Wind, so wie die Baumkronen. Arabia lief ruhig neben den anderen her. Rivan hatten wir einen ruhigen, älteren Hengst ausgesucht, der die Ruhe in Person war.
      Er schien eher ein Tagträumer zu sein und trottete langsam vor sich hin. Ohne Eile. Ohne Furcht. Einfach, als wäre alles ganz normal und als würde Rivan nicht verkrampft auf seinem Rücken sitzen und die Zügel so fest umklammert halten, als könnte er jeden Moment herunterfallen. Ein kleines Lächeln umspielte bei seiner Unbeholfenheit meine Lippen. Rivan versuchte es immer wieder zu überspielen. So zu tun, als wäre alles okay. Als wäre alles normal. Doch wir beide wussten, dass das nicht so war.
      Nur er zeigte es nicht. Rivan fühlte sich etwas unwohl. Vielleicht, weil Miro, so hieß der Hengst, sehr groß war. Er überragte Arabia um gute 20 Zentimeter. Aber war er der ruhigste in der Gruppe. Er würde Rivan nicht abwerfen. Nur, wenn er ihm zu hart in die Flanken tritt. Aber Rivan war so angespannt, dass er sich nicht einmal einen Millimeter rührte. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet. Auf Prestons Hinterkopf.
      Er ritt vorne mit seiner kleinen Schwester, da er den Weg nun kannte. Rivan wirkte von Sekunde zu Sekunde angespannter. Wie von selbst streckte ich die Hand nach ihm aus und legte sie auf seine. Seine Haut war eisig im Vergleich zu meiner und ein Teil in mir wollte zusammenzucken, doch ich hielt mich zurück und sah ihn stattdessen an. Sein Blick glitt zu mir. Sein Kiefer war angespannt und ein Muskel zuckte daran.
      »Wieso hast du nicht gesagt, dass du Reiten hasst?«, fragte ich leise. Er zuckte mit den Schultern und zwang sich zu einem Lächeln. »Ich hasse es nicht. Pferde sind nur nicht so mein Ding. Sie sind nützlich und wer kann bitte heutzutage nicht reiten? Mit ihnen kommt man schneller voran. Ich wollte nicht zugeben, dass ich großen Respekt vor Pferden habe.« Ein kleines Schmunzeln legte sich auf meine Lippen.
       »Das hättest du ruhig tun können. Dann wären wir nicht ausgeritten.« Rivan seufzte. »Aber es macht dich glücklich. Also springe ich eben über meinen Schatten. Miro ist sehr brav. Ich versuche mich einfach an die Höhe zu gewöhnen. Das ist alles«, meinte er und sah mich an. In seinen Augen erkannte ich die Wahrheit. Er wollte das tun. Für mich. Für einen Moment fiel mir kein Wort der Welt ein, dass ich dazu sagen konnte.

     Mein Kopf war wie leergefegt. Einfach leer. Dennoch lächelte ich ihn an und drückte seine Hand. Wie eine kleine Bestätigung. Er lächelte, als wüsste er, was diese Geste zu bedeuten hatten und sah dann zu den beiden, die vor uns ritten. Preston ritt zum Fluss, um ihn seiner Schwester zu zeigen. Wir würden den beiden folgen. Rivans Hand wurde von Sekunde zu Sekunde wärmer unter der meiner und von Sekunde zu Sekunde wurde das Kribbeln in meinem Bauch stärker.
      Dort, wo sich unsere Hände berührten, entstand ein heftiges Kribbeln, dass meinen Arm hinaufjagte und sich von meinen Schultern in alle Richtungen verteilte. Selbst in meinen Nacken. Diese Hitze auf meiner Haut war ich langsam in seiner Nähe gewöhnt. Doch es änderte nicht die Tatsache, dass ich das eigentlich nicht so heftig spüren sollte. Rivan war... ich kannte ihn ja kaum. Wusste nur, dass er Mister Naltons Sohn war, seine Schwester Rahella hieß und sie anscheinend etwas erlebt hatte, bei der er sie nicht hatte schützen können.
      Er konnte nicht reiten. Aber ich wusste nicht, was er auf den südlichen Inseln arbeitete, was er gerne tat. Ob er auch ein paar Kunststücke konnte, was den Jahrmarkt betraf. Ich wusste es einfach nicht. Und doch... dieser Junge... sein schiefes Lächeln und das Funkeln in seinen Augen machten es mir unmöglich, ihm zu widerstehen. Mit diesem Lächeln hatte er sich in mein Herz geschlichen und mein Herz hatte alle Türen verriegelt, so dass er nicht mehr herauskam.
Er schien auch gar nicht verschwinden zu wollen. Dennoch wusste ein Teil von mir, dass ich ihm hier nichts bieten konnte. Zwar war ich die Prinzessin und Erbin, aber hier war weder seine Familie, noch die südlichen Inseln, noch seine Freiheit. Er würde gehen. Ich würde auch nicht bleiben. Nicht, wenn ich die Freiheit haben konnte. Wenn ich könnte, würde ich mit ihm gehen. Überallhin.
      »An was denkst du?«, hakte Rivan nach, der zu bemerken schien, dass ich tief in meinen Gedanken versunken war. Ich zuckte mit den Schultern. »An nichts.« Eine Lüge. Doch ich war nicht bereit, es ihm zu sagen, aus Angst, er würde bestätigen, dass er nach der nächsten Woche fortging. Rivan schien aber nicht lockerlassen zu wollen. »Ist es noch, weil ich das zu dir gesagt habe? Weil ich so gemein war?«
       Schnell schüttelte ich den Kopf. »Nein. Das ist es nicht. Glaub mir.« Rivan sah mich an und schien mir nicht ganz zu glauben. Doch ich sah ihn ernst an. »Es hat nichts damit zu tun. Wirklich nicht.« Lange sah er mich an. Er schien zu zögern, als wüsste er nicht, was er sagen sollte. Dann fragte er, leise und bedächtig, als hätte er Angst vor der Antwort: »Denkst du an nächste Woche?« Mir war es ein Rätsel, wie Rivan mich so gut kennen konnte, obwohl er mich nur knapp eine Woche kannte.
       Rivan hatte mich schon von unserer ersten Begegnung an besser verstanden, als jeder andere, den ich kannte. Als könnte er direkt in meine Seele schauen. Andere schauten durch mich hindurch, Rivan sah in mich hinein. Tief in mich hinein. Er durchschaute mich. Er durchschaute mich, als ich jetzt den Blick abwandte um die Vögel zu beobachten, die zwitschernd über uns hinwegflogen, um in der nächsten Baumkrone zu verschwinden. Es war mir peinlich. Rivan drückte meine Hand.
      »Du hast Angst, dass ich dich einfach zurücklasse, als wäre nie etwas gewesen.« Es war keine Frage. Es war eine Feststellung. Mit geröteten Wangen sah ich auf und war froh über meine moccafarbene Haut, die die Röte auf meinen Wangen versteckte. »Ich lasse dich nicht zurück, Ferran«, hauchte er. In seinen Augen lag so viel Ernsthaftigkeit und Intimität, so wie in seiner Stimme, dass er mir jeden Raum für Zweifel und Widerspruch nahm.
      Ein kleines Lächeln huschte über meine Lippen. Als ich das Funkeln in seinen Augen sah, glaubte ich plötzlich, dass das Ende der nächsten Woche gar nicht mehr schlimm werden konnte. Ein Teil in mir glaubte ihm sofort, der andere blieb skeptisch. Aus vielen Gründen. Zum einen, weil ich nicht wusste, was er genau meinte.
      Zum anderen, weil ich mir nicht wirklich vorstellen konnte, dass er wirklich bleiben wollte. Doch das würden ja alles noch sehen, redete ich mir ein. Fürs Erste sollte ich ihm einfach glauben. Denn das wäre eine gute Art. Das kleine Lächeln auf meinen Lippen wurde etwas größer, als sein Daumen liebevoll und zart über meinen Handrücken strich.
      Eine Geste, die ein Flattern in meinem Bauch auslöste. Ein Flattern, dass ich gar nicht mehr rückgängig machen konnte. Da hörte ich Prestons Schwester jubeln. Das leise Plätschern des Flusses drang an meine Ohren, sowie das ferne Flattern von Vögeln. Ein Blick nach vorne zeigt mir, dass wir da waren und das kleine Mädchen, in ihrem hellrosa Kleid, mehr als fröhlich wirkte. Es wirkte so, als habe sie noch nie einen Fluss gesehen.

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