26. Kapitel

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     Mittlerweile kannte ich die krummen Striche und Wege vor mir auswendig. Die Karte war kein Gewirr aus Wegen mehr für mich, sondern ein vertrautes Bild, dass ich betrachten konnte. Emrys und Jaylan waren im Spiegelkabinett ebenfalls nicht erfolgreich gewesen. Dreammaker hatte sie auch ausgetrickst. Auch sie glaubten, dass es seine Art gewesen war, ihnen zu sagen, dass sie falsch lagen und auf der falschen Fährte waren. Wir alle glaubten das. Mir wurde ganz schwindlig, je länger ich die Wege auf der Karte betrachtete. Mir fiel einfach nicht ein, wo er noch sein könnte.
      In dem Moment veränderte sich die Luft. Etwas knisterte und spürte, dass sich etwas änderte. Emrys, Jaylan und Rivan erstarrten. Sie schienen fast die Luft anzuhalten. Fragend sah ich die drei Jungs an. »Jemand hat diesen Traum hier betreten«, stieß Emrys aus. Ich fragte mich, warum ich dieses Gefühl zum ersten Mal gehabt hatte. In Rivans Augen leuchteten so etwas wie Hoffnung auf. Die Hoffnung, dass es seine Schwester war. Dass sie frei war. Doch seine Hoffnung verschwand, als sich ein Mann durch die Zeltlaschen schob, einen Zylinder am Kopf, unter dem graue Haare hervorspitzten.
Mister Nalton.
      Er zog den Zylinder ab und schenkte uns allen ein Lächeln. »Dachte ich es mir doch, dass ich euch hier alle finden würde.« Rivan furchte die Stirn. »Warum benutzt du den Sternenstaub? Ich dachte, du magst ihn nicht mehr«, richtete Rivan das Wort an seinen Onkel. Mister Nalton lächelte ein mysteriöses Lächeln. »Vielleicht weil mir aufgefallen ist, dass du und Rahella es benutzt, Rahella jetzt aber verschlossen scheint. Ein Blick in das Schlafzimmer von Ferran und ich wusste, dass auch sie in den Tiefen dieses Traumes gefangen ist. Es sind noch fünf Stunden bis die Sonne aufgeht und sechs Stunden, bis sie am Frühstückstisch sitzen muss. So lange habt ihr Zeit.«
      Ich schnappte nach Luft. Ich wusste, dass die Zeit langsamer verging und das der Staub die Zeit auch anhalten konnte. Wie viele Stunden würden wirklich bleiben? Das wusste wohl niemand so genau. Ein Teil in mir wollte es auch gar nicht wissen. Jedenfalls nicht wirklich. »Wir haben aber mehr als sechs Stunden, da hier die Zeit anders ist«, argumentierte Jaylan. Mister Nalton sah ihn an und nickte. »Natürlich aber keiner weiß so richtig, wie viel Zeit das wirklich ist, nicht wahr?« Jaylan nickte.
      Mister Nalton sah mich an. »Deine Neugier hat wohl doch gesiegt.« Etwas beschämt wollte ich den Kopf senken, denn ich hatte schließlich den Staub benutzt, obwohl Mutter mich davor gewarnt hatte und schlussendlich war genau das passiert, was nicht hätte passieren sollen. So viel zum Thema... Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Ich wusste einfach nicht mehr, was ich tun sollte. Dennoch senkte ich den Blick nicht. »Ja, das habe ich wohl von ihr.« Mister Nalton lächelte. »In der Tat.«
      Das hatte ich von meiner Mutter. Diese unerschütterliche Neugier, dir mir blieb und die mich jede Gefahr anlachen ließ. Jetzt wusste ich aber, warum sie mich gewarnt hatte. Mit Dreammaker war nicht zu spaßen. Er war ein Mann für sich. Ein Mann, der so gerissen war und so schlau war, dass er uns alle an der Nase herumführen konnte. Er schaffte es, dass jeder einen anderen sah, wenn er vor einem stand. Er war so mächtig, dass er meinen Traum beeinflussen konnte, obwohl ich wusste, dass ein Traum war.
      Ich konnte kleine Dinge ändern, wie die Farbe meines Kleides, meinen Geruch oder andere Dinge, aber die wesentlichen Dinge konnte ich nicht ändern. Ich konnte es nicht ändern, dass es noch immer Nacht war und der Wind wieder aufgefrischt hatte und an den Zeltwänden rüttelte, ich konnte es nicht ändern, dass die Kerzen im Inneren von Mister Naltons Zelt flackerten. Ich konnte es nicht, weil Dreammaker das steuerte. »Onkel, hast du Dreammaker je wirklich gesehen?«, fragte Rivan seinen Onkel.

     Mister Nalton sah zu ihm und schüttelte den Kopf. »Nein, niemals wirklich. Ferrans Mutter meinte einmal zu mir, dass sie ihn gesehen hatte. Wahrhaftig. Ich hatte nur einen Mann gesehen, mittleren Alters und braunen Augen. Sie meinte, sie habe einen geheimnisvollen Mann mit stechendgrünen Augen und Umhang gesehen, dessen Kapuze tief ins Gesicht hing.« Mein Herz setzte einen Schlag aus. »Genau das Gleiche habe ich auch gesehen...« Stille legte sich über uns und ich fühlte mich beobachtet.
      Dreammaker war hier irgendwo und hörte zu. Vermutlich machte er sich einen großen Spaß hieraus. Aus der Tatsache, dass wir uns alle versammelten, um über ihn zu reden. Um herauszufinden, wo sie war. Um herauszufinden, was wir tun mussten, um ihn zu finden. Er lachte bestimmt in sich hinein, während wir so ratlos waren und nicht wussten, an welchem Teil des Jahrmarkts wir anfangen sollten. »Das kann kein Zufall sein, dass sie beide ihn so gesehen haben. Vielleicht sieht er so in Wirklichkeit aus«, meldete sich Emrys zu Wort und sah mich an. Ich zuckte mit den Schultern.
      Das war natürlich möglich, aber vielleicht wirklich nur Zufall. »Aber warum sollte er sich den beiden in seiner wahren Gestalt zeigen?«, dachte Jaylan laut nach. Mister Nalton und Rivan schwiegen gedankenverloren. »Vielleicht ist das nicht absichtlich«, meinte Rivan und sah mich an. »Vielleicht wirkt sein Verhüllungszauber oder was das auch immer ist, bei ihr nicht.« Ein Teil in mir wusste nicht, was er davon halten sollte. Wenn das wahr war, dann... dann... Ich schluckte.
      »Oder es ist einfach nur Zufall«, meinte Mister Nalton und sah mich an. In seinen Augen sah ich die Weisheit und das Wissen über Dreammaker und meine Mutter, doch auch er wusste nicht alles. Wieder senkte sich Stille über das Zelt und man hörte nur den Wind an den Zelten zerren. Rivans Blick glitt über mich hinweg und wie so immer unter seinem Blick, fühlte ich mich furchtbar lebendig. Er schien mich von oben bis unten zu scannen, als läge in mir der Grund dafür, warum ich Dreammaker so sehen konnte, wie ihn meine Mutter gesehen hatte. Ob es Zufall oder etwas anderes war, vermochte ich in diesem Moment nicht zu sagen.
      Es konnte alles sein. So viel, dass ich nicht benennen konnte. Es konnte Zufall sein, es konnte einfach so sein, weil er wollte, dass ich ihn so sah, wie er sich meiner Mutter gezeigt hatte, es konnte alles sein. Ich wusste nicht wirklich, was ich davon halten sollte. Alles drehte sich. Immer schneller und schneller. Mir wurde ganz heiß. Konnte es sein, dass es Zufall war? Alle Blicke richteten sich auf mich und zum ersten Mal fühlte ich mich wie ein Reh im Scheinwerferlicht.
Diese Blicke auf mir... ich hasste sie. Ich hatte das schon immer gehasst. Jetzt störte es mich noch mehr, denn in ihren Blicken lagen unzählige Theorien über mich. Dabei war ich nur Ferran. Das wusste ich. Nichts weiter. Ich war nichts Besonderes. Wenn ich das wäre, hätte ich Dreammaker sicher schon längst gefunden. »Vielleicht ist das einfach nur wieder eines seiner Spielchen«, versuchte ich die anderen davon zu überzeugen, dass es nicht weiter wichtig war. Keiner von ihnen schien mir glauben zu wollen. Sie alle musterten mich von oben bis unten.
Scannten meinen Körper, als würde darauf die Antwort stehen. Unbehaglich trat ich von einem Fuß auf den anderen. Rivan war der Erste, der den Blick wieder abwandte. »Okay, das reicht. Starren wir sie nicht so nieder.« Sofort entspannte ich mich bei seinen Worten und fühlte, wie sich alles in mir lockerte. Ein schönes Gefühl. Ein wirklich schönes Gefühl, dass ich über alles liebte. Sie wandten die Blicke ab und beugten sich wieder über die Karte, als könnten sie darauf nun die Antworten finden.
       Mister Nalton brachte noch zusätzliches Insiderwissen mit und half uns, zu verstehen, wo Dreammaker sich verstecken konnte. Wir lauschten seinen Worten, doch bei mir gingen sie eher unter, als das ich sie wirklich wahrnahm. Ich hörte nur das Rauschen in meinen Ohren. Dieses stätige Rauschen. Meine Gedanken drehten sich. Immer schneller. Immer wilder. Der Boden unter mir schien zu wanken, während ich nach einer Erklärung suchte.
       Doch egal wie sehr ich mich bemühte, ich schien keine zu finden. Im Gegenteil. Je länger ich darüber nachdachte, desto schneller drehten sich meine Gedanken. Immer wilder. Immer und immer wilder. So langsam wusste ich nicht mehr, was ich tun sollte. In dem Moment schlang sich zögerlich eine warme Hand um meine und drückte sie sanft, ja fast zärtlich. Als ich aufsah, drückte Rivan meine Hand, wagte es aber nicht, in meine Richtung zu blicken. Er hielt seinen Blick auf die Karte gesenkt, aus Angst, er könnte Wut und Verachtung in meinem Blick erkennen.
      Zur Zustimmung drückte ich seine Hand leicht. Nur jetzt, sagte ich mir. Nur um Ruhe zu bewahren. Doch ich konnte nicht leugnen, dass die Stelle, an der er mich berührte, wie wild pochte und meine Haut prickelte. Eine Hand jetzt zu halten und zu drücken war eine intime Geste, dessen war ich mir bewusst, doch ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte, um ihn zu beruhigen. Er war so wütend, während sein Blick über die Karte glitt. Das konnte ich einfach nicht zulassen. Nicht, wenn ich es verhindern konnte.

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⏰ Letzte Aktualisierung: 2 days ago ⏰

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