2. Kapitel

26 4 0
                                    

     Gemurmel drang an meine Ohren, als Vivian und ich den Speisesaal betraten. Sobald die schweren Holztürflügel in ihren Angeln zurückfielen und dabei laut schepperten, verstummten die Adligen und widmeten ihre Aufmerksamkeit mir. Ihre gierigen Blicke sogen sich an mir fest. Klebten auf mir, wie ekliger, stinkender Schlamm, den man erst wieder losbekam, wenn er trocken war. Mein Vater runzelte die Stirn, als er Vivian neben mir erblickte, die sich verneigte.
      »Wärst du so lieb und würdest mir ihren Aufzug erklären, Ferran?«, hallte seine autoritäre, kühle Stimme durch den Raum und durchbrach die plötzliche Stille wie ein lautes Donnergrollen. Bei seinem Ton, der nie Raum für Widerspruch ließ, versteiften sich alle. Sogar sein Berater stand still da und glich eher einer der Staturen in unserem großen Schlossgarten. »Sie ist für heute meine Begleitung. Von all den Dienerinnen und Diener hat sie in den letzten fünf Wochen keine einzige Pause bekommen. Das ist ungerecht, Vater«, sagte ich mit fester Stimme.
Diesen Tonfall hatte ich dann wohl von ihm geerbt. Auch bei mir zuckten alle zusammen. Niemand wagte es, zu sprechen. Niemand. Vivian neben mir hatte den Blick noch immer gesenkt und spielte nervös mit dem dunkelroten Saum ihres Kleides. »Hat sie sich etwa darüber beklagt?«, fragte mein Vater nach. Kühl, scharf und herrisch. Der Tonfall eines Königs. Nicht der meines Vaters.
      Vor den anderen wahrte er diesen Ton immer, in der Angst, sie könnten seine Gabe zu Herrschen anzweifeln. Genau das machte mir aber wütend. Selten zeigte er Gefühle wie Güte oder Wärme. Besonders den Diener und Dienerinnen gegenüber nicht, obwohl diese am meisten arbeiteten. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre keine Prinzessin. Manchmal wünschte ich mir, ich wäre ein einfaches Bauernmädchen, dass noch ihre Eltern hatte.
       Wir würden jeden Tag arbeiten und doch zusammen sein. Wir würden gemeinsam am Abendtisch sitzen, keine fünf Meter von dem anderen entfernt, sondern direkt daneben. »Nein, das hat sie nicht. Ich habe es ihr vorgeschlagen. Vivian wollte es erst nicht, aber schließlich wurde mein Vorschlag zu einem Befehl, den sie nicht ausschlagen kann«, erwiderte ich eisern. Erneute Stille legte sich über den Raum. Niemand wagte sich zu rühren.
Die schwarzen Augen meines Vaters, die ich eindeutig auch von ihm hatte, so wie die schwarze Haarpracht, bohrten sich in meine braunen Augen. Selbst von der Entfernung aus spürte ich die Härte und Kälte in seinem Blick. Doch ich zuckte weder zusammen, noch wandte ich den Blick ab. Vielleicht hatte ich deswegen schon immer jeden Starrwettbewerb am Hofe gewonnen, ohne zu blinzeln.
      Vater blieb weiterhin ernst und setzte zu einem weiteren Satz an, doch so weit ließ ich ihn nicht kommen. Nicht heute. Nicht an meinem Geburtstag. Nicht, wenn er mir Mums Kleid einfach zukommen ließ, anstatt es mir selbst zu bringen, wie der Feigling, der er war. »Das ist einer meiner Wünsche, Vater.« Stille. Ein zucken ging durch seinen muskulösen Körper.
Für einen Moment glaubte ich Wärme und Liebe in seinen Augen aufblitzen zu sehen, sicher war ich mir aber nicht. Er seufzte und fuhr sich über das kantige Gesicht. »Na schön.« Ein breites Strahlen legte sich auf meine Lippen, doch ich bedankte mich nicht. Bevor die Diener für Vivian einen Stuhl heranrücken konnten, übernahm ich das für sie.
      Es machte mir nichts aus, mit anzupacken. Schließlich musste ich das so gut wie nie und wenn Vivian mich nicht lassen würde, könnte ich nicht mal mein Bett selbst machen. Kurz darauf saßen wir am Tisch und das Essen wurde serviert. Miesmuscheln wurden von allen möglichen Seiten herbeigetragen. Ein weiterer Wunsch, der in Erfüllung gegangen war. Vermutlich kamen sie von den südlichen Inseln. Wie der Jahrmarkt.
      »Später auf dem Ball wirst du den Direktor vom Jahrmarkt kennenlernen«, erklärte mir mein Vater, als mir jemand einen dampfenden Teller voll mit Miesmuscheln bestückt vor die Nase stellte. Verwirrt runzelte ich die Stirn und sah meinen Vater an, dessen Krone im Licht des Kronleuchters funkelte. »Kommen die Leute nicht zum Essen?« Dabei hatte ich ihnen gestern eine Einladung zum Festessen zukommen lassen.
      Mein Vater schüttelte den Kopf. »Nein. Sie lehnten deine Einladung höflich ab. Sie haben genug Essen für jeden Tag und wollen nichts verschwenden.« Ein kleiner Stich durchfuhr meine Brust. Ob das stimmte? Na ja, vermutlich schon. Nun ärgerte ich mich, dass ich ihnen nicht vorher eine Einladung geschrieben hatte, so hätten sie vermutlich anders geplant. Doch es war vernünftig, nichts wegzuschmeißen.
      Wenn ich meinen Vater nicht dazu überredet hätte, die Rest von Festessen und anderen großen Veranstaltungen an unser Volk zu verschenken, würden selbst wir das Essen wegwerfen. »Aber du wirst den Direktor und ein paar weitere heute Abend auf dem Ball kennenlernen und wenn um 22:00 Uhr werden sie bereit, den Jahrmarkt für dich zu öffnen, damit du noch einen Eindruck vor Ende deines Geburtstags haben kannst«, erklärte er mir weiter. Nachdenklich nickte ich.
      Es war jetzt ungefähr kurz nach 18:00 Uhr. Wenn alles gut gehen würde, würden wir um 19:30 im Ballsaal sein. Morgen würde der Jahrmarkt offiziell öffnen. Doch wollte ich heute Nacht schon eine kleine Vorstellung? Schließlich waren sie ja extra für mich hier und würden eine Woche bleiben. Mein Blick glitt zu Vivian. Sie starrte auf die schwarzen Muscheln auf ihrem Teller und schien nicht zu wissen, was sie damit anfangen sollte.
      Leicht tippte ich sie an der Schulter an, was das Gemurmel erneut verstummen ließ. Die gierigen Blicke der anderen lagen auf uns, doch das ignorierte ich. Gierig und lechzend warteten die Adligen in diesem Ram auf einen Skandal, den ich ihnen aber nicht geben würde, um ihr langweiliges, geldvolles Leben zu versüßen.
      Stattdessen führte ich Vivian vor, wie ich Muscheln aß. Mit der Hand öffnete ich die erste schwarze Muschel und pulte das Innenleben mit der Gabel heraus. Vivian folgte meinem Beispiel. Lächelnd benutzte ich nun die leere Schale, um die anderen Muscheln zu leeren, anstellte von der Gabel. Vivian riss die Augen auf, als sie das bemerkte.
      Instinktiv schien sie nach der Gabel greifen zu wollen, da aber der Hof mittlerweile an meine Essgewohnheiten gewöhnt war und sich keinen Hehl mehr daraus machte, folgte sie meinem Beispiel. Mein Vater rollte mit den Augen, als ich wie genüsslich das Brot zerfetzte und einige Teile davon in die Weinsauce tauchte. Doch er schwieg.
      Sonst zog er über mich her, doch da heute mein Geburtstag war, schien er ein Auge zuzudrücken. »Du siehst heute sehr hübsch aus«, bemerkte mein Vater, als der erste Gang vorbei war und er genüsslich an seinem Wein nippte. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Natürlich sagte er das sonst auch, doch heute wogen diese Worte schwerer.
      Sie löste einen Druck aus, der sich auf meine Brust legte und sich fest um mein Herz schloss, so dass es schwerer wurde und nach unten zu sinken schien. Der nächste Gang kam und ich wagte es nicht mehr, in seine Richtung zu blicken. Stattdessen ignorierte ich ihn und fragte mich nur, ob ich heute zum Jahrmarkt gehen würde. Er würde eine Woche bleiben. Lange genug, um ihn auch morgen noch besuchen zu können.
      Besonders da ich Vivian als Begleitung auserkoren hatte. Da wollte ich sie nicht allein lassen. Meine Gedanken drehten und drehten sich, doch kaum hatte ich mich versehen, war das Essen zu Ende und alle begaben sich in Richtung des Ballsaals. Meine Füße waren schwer. Sie schienen sich nicht in Richtung der Tür zu bewegen wollen.
      Es war, als würde ein gewisser Druck auf mir lasten, der es mir nicht ermöglichte, auch nur einen Schritt zu tun. Ein Teil in mir wollte diesen Ballsaal nicht betreten. Nicht zuletzt, weil ich das Gefühl hatte, dass Dad mir nicht nur den Direktor des Jahrmarkts vorstellen wollte, sondern noch jemand anderen. Das verriet mir dieses Funkeln in seinen braunen Augen.
Sie funkelten sonst nie so voller Leben. »Ferran?«, hörte ich die sanfte, besorgte Stimme von Vivian an mein Ohr dringen, als ich mich nicht bewegte. Ihre Stimme war immer so samt wie Seide, im Vergleich zu ihrer Stimme war die meines Vaters wie ein kratzige, billiger Stoff.
»Ja...«, eilig räusperte ich mich bei dem belegten Klang meiner Stimme. »Ich komme.« Mit schweren Schritten lief ich den Meter auf sie zu, bevor wir durch die große Tür hinaustraten und im Gang nach links abbogen. Die hellen Lichter des Jahrmarktes erhellten die Dunkelheit und strahlten mich verlockend entgegen.
      Fast schienen sich mich zu sich zu rufen. Von den hellen, faszinierenden Lichtern geblendet blickte ich weiter hinaus, während wir die paar Schritte zum Ballsaal liefen. Vivian beobachtete mich bei jedem Schritt, während ich unschlüssig den Jahrmarkt betrachtete. Vivian hakte sich wie beiläufig bei mir unter, nur um sich näher zu mir zu beugen, damit die Wachen und all die anderen im Gang sie nicht hören konnte, als sie mir ins Ohr flüsterte: »Du kannst später ruhig gehen, wenn du möchtest. Du musst aber nicht.«
      Ein kleines Lächeln schlich sich auf meine Lippen und ich drückte ihre Hand, die auf meinem Arm lag. »Bei diesen Geiern, die die ganze Zeit schon in deinen Ausschnitt starren, lass ich dich doch nicht allein.« Vivian wurde rot, lachte aber. »Männer sind doch alle gleich. Zumindest was diesen Adel hier betrifft. Es scheint kaum jemand zu geben, der nicht in den Ausschnitt starrt. Das Kleid bauscht das ganz schön auf.«
      Der Gang schien dunkler zu werden, als die Fenster verschwanden und ich keinen Blick mehr auf den Jahrmarkt werfen konnte, bevor wir den Ballsaal betraten. Die Musik, die bereits gespielt wurde, drang erst jetzt an meine Ohren, als hätte der Jahrmarkt meine ganze Wahrnehmung für sich beanschlagt. Die Musik war die gleiche wie immer. Ein Blick nach oben verriet mir, dass die gleiche Band spielte.
      Mein Dad stellte immer die gleichen Musiker an, die auf seinen Befehl hin die gleichen Lieder wie immer spielten. Die Melodien waren hübsch, aber nun wirklich nicht das, was ich momentan wollte. Vielleicht lag es auch daran, dass ich spürte, dass etwas in der Luft lag. Man erkannte es an dem fröhlichen, belebten Gang meines Vaters. Sonst lief er gemächlich und eher langsam durch die Gänge, heute lief er mit diesem breiten Lächeln und schnellerem Schritt durch die Gänge.
      »Ich misch mich mal unter die Menge«, sagte Vivian und ließ von meinem Arm ab. Im ersten Moment wollte ich sie aufhalten, doch mir wurde bewusst, dass mein Vater mich erst einmal zu sich holen würde, mir den Direktor vorstellen würde, bevor ich dann vermutlich noch jemand anderen vorgestellt bekommen würde. Also war es nur fair, wenn ich sie ihren Spaß haben lassen würde.
      »Ja, hab Spaß. Ich stoße später oder so dazu«, erwiderte ich und schenkte ihr ein halb ehrliches, halb gezwungenes Lächeln. Vivian sah zu meinem Vater, der mit einem Mann sprach, der einen großen schwarzen Zylinder der trug, der leicht bläulich im Licht des Kronleuchters schimmerte. Er trug einen roten Frack, der an den Ärmeln einen goldenen Rand hatte.
Er trug eine enge, schwarze Hose und hohe Stiefel. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Genauso hatte Mum ihn immer beschrieben. Er hatte den Jahrmarkt Stück für Stück aufgebaut und sie war damals eine der ersten gewesen, die ihn betreten hatte. Jahr für Jahr. Langsam lief ich auf die beiden Männer zu, die sich prächtig unterhielten. Mein Dad hatte ihn auch einmal kennengelernt, hatte Mum mir erzählt.

Star DustWo Geschichten leben. Entdecke jetzt