9. Kapitel

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     Rivan drehte sich um und das Lächeln, dass soeben noch auf seinen Lippen gelegen hatte, erlosch binnen einer Sekunde. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, obwohl ich bereits ahnte, wer diese Person war, die dort stand. Zwar hatte sie rötliche Haare, doch die Struktur ihres Gesichtes und ihre Haltung deuteten daraufhin, dass sie Rivans Schwester war. Rivan spannte sich merklich an und jede Art von Freude verschwand aus seinen Augen.
      Unsicher stand das Mädchen da. Sie trug ein altes Kleid, dass bereits an Farbe verloren hatte. Es war eher mattgrün, anstatt dass ein sattes Grün hatte, dass es eigentlich haben sollte. Ein schwaches Lächeln zierte ihre Lippen. Ihre Nase war voller Muttermale und Sommersprossen, so wie ihre Wangen. Fast wie bei mir. Nur dass man meine Muttermale durch meine dunklere Haut kaum sah. Sie trat einen Schritt vor. Das schien etwas in Rivan zu ändern.
      Er sprang von dem Löwen herab und eilte zu ihr. Kurz darauf schloss er sie in seine starken Arme und drückte sie fest an sich. Ein Teil in mir konnte nicht glauben, dass ich mir gerade vorstellte, dass Rivan eine Schwester hatte. Die Richtung, in die dieser Traum ging, war heute mehr als komisch. Besonders, da sich das alles so verdammt echt anfühlte. So verdammt echt. Genau daran lag das Problem. Es fühlte sich so echt an.
      So, als wäre das wirklich Rivans Schwester und als wären die beiden echt. Als würden sie auch noch existieren, wenn ich aufwachte. Langsam merkte ich, wie meine Mutter sich im Land ihrer Träume verloren hatte. Es war so leicht, sich darin zu verlieren. So leicht. Denn der Jahrmarkt wirkte so verdammt echt, denn so sah er auch in echt aus. Rivans Berührungen fühlten sich verdammt echt an. Immer, wenn er bei mir war, empfand ich echte, brodelnde Gefühle. In mir tobte alles.
      Immer und immer wieder. Wenn er mich berührte, brannte meine Haut. Alles drehte sich und drehte sich. Mein Bauch spielte verrückt. Mein Herz flatterte so wild in meiner Brust, dass ich Angst haben musste, dass es jeden Moment aus dem Knochenkäfig entkam, der es umgab. Und dieses Bild, dass sich mir bot, wirkte auch so echt. So genau konnte man doch nicht träumen. Jedenfalls konnte ich mir nicht vorstellen, dass man so genau träumen konnte. So, als wären sie alle echt.

     Konnte man so gestochen scharf träumen? Meine Träume waren noch nie so gewesen, aber vielleicht half da der Sternenstaub etwas mit, der dafür sorgte, dass alles um einen herum anders wurde. Das alles schärfer aussah, realer. Vielleicht war das eben auch die Gefahr daran. Dass man alles für echt hielt, während es nicht echt war. Darin lag die Gefahr.
      Und doch war ich noch immer neugierig, wie weit ich gehen konnte und wann ich anfing, die Grenzen zwischen Traum und Realität zu übersehen. Gerade jetzt fiel es mir dennoch schwer, das alles nur für einen Traum zu halten. Das Bild, dass sich mir bot war verdammt echt. Die Geschwister lagen sich in den Armen und tuschelten sich etwas zu. Liebesbekundungen oder andere Dinge. Das hörte ich nicht.
      Rivan schien wieder ernst zu werden, denn seine Schultern spannten sich merklich unter dem engen Frack an, den er trug. Sein ganzer Rücken bog sich durch. Dann lösten sich die beiden sich voneinander und kamen zu mir. Rivan lächelte verhalten, während er den Arm um ihre Schultern gelegt hatte. Dennoch wirkte er noch immer etwas angespannt. »Ferran, dass ist Rahella. Rahella, das ist Prinzessin Ferran«, stellte Rivan uns vor.
      Bevor Rahella in einen Knicks verfallen konnte, hielt ich sie auf. Eher ungeschickt als elegant sprang ich von dem Löwen und streckte ihr lächelnd die Hand hin, um sie zu schütteln. Rahella nahm diese an und lächelte. »Schön, Euch kennenzulernen«, sagte sie. Das Lächeln auf ihren spröden Lippen war echt. Da lagen dunkle Ringer unter ihren Augen. Als ich versuchte diese wegzudenken, klappte es nicht.
      Ihr sanfter Händedruck fühlte sich verdammt real an, so wie die leichten Schwielen an ihren Händen. Die beiden schienen nicht reich zu sein. Was kein Problem war. Die Schwielen ließen darauf deuten, dass sie es nicht gerade leicht hatten und jeden Tag hart arbeiten mussten. »Mister Nalton ist unser Vater«, sagte Rivan. Urplötzlich zuckte ich zusammen. Schon wieder. Das letzte Mal war das auch in meinem Traum passiert.
      Da hatte Mister Nalton auch gesagt, dass Rivan sein Sohn war. Verdutzt hielt ich einen Moment inne, erinnerte mich aber daran, was Mister Nalton gesagt hatte. Er hatte erwähnt, dass er einen Sohn und eine Tochter hatte. Von daher könnte das natürlich passen. »Unser Vater wollte mich eigentlich nicht dabeihaben, da ich mir hier gerne überarbeite und ich etwas krank war, aber die beiden Jungs sollten wissen, dass ich mich nicht Zuhause einsperren lasse«, erwiderte Rahella und grinste Rivan vielsagend an.
       Rivan zwang sich zu einem Lächeln, dass mir sagte, dass er nicht genau wusste, wie er damit umgehen sollte. Er schien unsicher zu sein. Fast so, als wüsste er nicht, was er tun sollte. Als würde er nicht wollen, dass seine Schwester hier war. So wirkte es jedenfalls auf mich. Sofort fragte ich mich, warum ich das hier so träumte. Warum das alles so verlief.
Eigentlich hätte Rivan mich in meinem Traum küssen müssen. Eigentlich. Das wollte ich nämlich, obwohl das mehr als verrückt war. Doch genau das wollte ich. Ich wollte, dass er mich küsste. Stattdessen war seine Schwester hier aufgetaucht. Aus dem Nichts. Das konnte nicht normal sein. Das sollte nicht normal sein. Anscheinend war das allerdings so. Ich wusste nicht, was ich weiterhin davon halten sollte.

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