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Cassiel nahm auf der Ottomane Platz und bedeutete mir, mich zu setzen. Die Dynamik zwischen uns hatte sich geändert. Wären wir noch auf der Aetheria gewesen, hätte er mich nicht dazu aufgefordert, mich neben ihn zu setzen, sondern dazu gezwungen, auf dem Boden zu knien. Für derartige Spielereien hatten wir nun, drei Tage nach der großen Katastrophe, keine Nerven, zumal der Vertrag hier im Palast nicht mehr gültig war. Das war nicht weiter schlimm, es sorgte aber auch dafür, dass unser Umgang miteinander manchmal ein wenig unbeholfen war, dass wir unsere neuen Rollen erst finden und das Gefüge neu ausloten mussten.

Ich setzte mich neben ihn und strich mein Kleid glatt. Selbst die Mode hier im Palast war anders. Es war himmelblau und pompös, ein Kleid für eine Königin. Ganz sicher nicht für die menschliche Hure, die ich war. Aber auch solche Dinge spielten gerade keine Rolle.

Die Welt veränderte sich. Und das sorgte dafür, dass die alten Regeln nicht mehr galten.

„Ich bin ganz Ohr", sagte er jetzt.

Ich räusperte mich. Das Ganze war unangenehm, denn erstens wusste ich nicht, wie er es auffassen würde, zweitens wusste ich nicht, ob es überhaupt eine Rolle spielen würde – und gerade letzteres machte mir Angst.

„Ich glaube, dass Michael der Verräter ist", sagte ich schließlich. „Dass Michael die Cherubim auf die Aetheria gelassen hat."

Cassiels Brauen zogen sich zusammen.

„Das ist eine sehr ernste Anschuldigung, Lumi", sagte er. „Wie kommst du darauf?"

„Ihr habt gesagt, dass die Aetheria mit Schutzmagie belegt worden ist", sagte ich. „Und dass das Schiff nur von jemandem betreten werden durfte, der hereingebeten worden ist."

„Das ist richtig, aber wieso denkst du, dass es ausgerechnet Michael war?", hakte er nach. „Es hätte jeder sein können. Hunderte Seraphim waren auf dem Schiff unterwegs. Ich weiß, dass du Michael nicht leiden kannst, das ist dein gutes Recht, aber ich glaube nicht ..."

„Ich habe es gehört!", unterbrach ich ihn, nur um im nächsten Moment zu erschrecken. Ich bemerkte meinen Fehler auch sofort, als sein Blick sich verfinsterte.

„Ich habe die Regeln für dich aufgeweicht, weil die Lage ernst ist und es im Moment wichtigeres gibt, als Etikette", sagte er ruhig, „aber an ein paar Grundregeln wirst du dich weiterhin halten, Lumi. Eine davon lautet: Unterbrich mich nicht, wenn ich spreche."

Ich senkte beschämt den Blick. Meine Wangen brannten. „Es tut mir leid", flüsterte ich.

Einige Sekunden verstrichen, in denen niemand etwas sagte. Die Stille war kaum auszuhalten, und als Cassiel endlich weitersprach, atmete ich erleichtert auf.

„Ich glaube nicht, dass Michael so weit gehen würde", fuhr er schließlich fort. „Er ist immerhin ein Mitglied des Rates."

„Ich habe gehört, wie sie es gesagt haben", sagte ich leise. „Ezrael, Gabriel und Hariel. Sie haben darüber geredet, dass Michael ihnen Hinweise gegeben hat, wie viele Menschen auf der Aetheria sind und wo sie zu finden sind."

Cassiel sog scharf den Atem ein. „Ist das wahr? Und du bist dir ganz sicher?"

„Absolut." Im Moment gab es nicht viele Dinge, deren ich mir sicher war, aber in diesem Punkt hatte ich nicht den geringsten Zweifel. Die drei Cherubim hatten über Michael geredet und ich war davon überzeugt, dass er mit ihnen gemeinsame Sache machte.

Cassiel stand auf und begann, im Raum umherzugehen.

„Wenn das stimmt, dann haben wir ein großes Problem. Dann ist der Feind hier im Palast und wir müssen zusehen, dass wir ihn überführen, und zwar rechtzeitig. Wer weiß, was er als nächstes plant?"

Mein Herz schlug schneller. „Ihr glaubt mir?"

Cassiel blieb stehen und für einen kurzen Moment wurde sein Blick weich. „Ich habe von dir verlangt, dass du mir vertraust. Und das selbe möchte ich auch für dich tun, Lumi. Ja, ich glaube dir. Es gibt nur ein Problem."

Mein Mund wurde trocken. Ich fürchtete, dass ich wusste, was er als nächstes sagen würde. Trotzdem fragte ich nach.

„Welches?"

Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und atmete tief durch. Als er sie wieder öffnete, war sein Blick finster. „Du bist ein Mensch. Und niemand sonst wird dir glauben."

Amid the Spring Forest [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt