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Als wir um zehn Feierabend machten, wartete eine Überraschung auf mich. Herma teilte mir mit, dass Caelira mich sehen wollte, eine Seraphima, die ebenfalls im Palast lebte, die ich bisher aber noch nie gesehen hatte. Letzteres war allerdings kein Wunder, schließlich senkte ich immer den Blick, wenn ich den Engeln über den Weg lief, und kannte die meisten Gesichter nicht.

Dass sie jedoch ausdrücklich nach mir verlangt hatte und mich auf ihr Zimmer bestellte, das verwunderte mich. Gleichzeitig war ich auch aufgeregt, denn ein Teil in mir hoffte, dass sie vielleicht eine Freundin von Cassiel war und er sie damit beauftragt hatte – vielleicht, um die Spuren zu verwischen, weniger auffällig zu sein.

Und so huschte ich auch dieses Mal noch schnell zur Toilette und richtete mein Haar und meine Haube, bevor ich mich mit klopfendem Herzen auf den beschriebenen Weg machte.

Caeliras Zimmer befand sich auf der genau entgegengesetzten Palastseite von Cassiels Flügel. Das enttäuschte mich ein wenig, aber es musste ja nichts heißen. Mir fiel einfach kein anderer Grund ein, warum eine mir unbekannte Seraphima explizit nach mir fragen sollte.

Als ich ihr Zimmer schließlich erreicht hatte, klopfte ich zaghaft an die Tür und einen Wimpernschlag später flog sie bereits auf.

Ich senkte den Blick und wartete darauf, dass Caelira mich hereinbitten würde, oder dass sie mir vielleicht das Sprechen erlauben würde – das machte vieles einfacher.

Beides geschah nicht. Stattdessen packte sie mich an meinem Zopf und zerrte mich an den Haaren in ihr Gemach. Ich konnte es nicht verhindern, es kam so überraschend, dass ich aufschrie. Eine Sekunde später flog hinter mir die Tür ins Schloss und fast gleichzeitig traf mich eine schallende Ohrfeige auf die Wange.

„Hab ich dir erlaubt, Laut zu geben?", fauchte mich eine Stimme an, die mir gänzlich unbekannt war. Instinktiv hob ich den Blick und sah in ein wunderschönes Gesicht, das ich allerdings noch nie gesehen hatte. Wie alle Seraphim sah sie aus wie eine Göttin. Pechschwarze lange Locken, eine Haut wie Marmor. Strahlende Augen mit hellvioletten Iriden und unendlich langen Wimpern.

Ich hatte kaum Zeit, den Anblick zu verarbeiten, da traf mich bereits die nächste Ohrfeige. Tränen schossen mir in die Augen.

„Und dass du einen Seraph nicht anstarren sollst, das weißt du wohl auch nicht?", schrie sie. „Scheint, als hätte Cass dir das Hirn rausgevögelt. Oder war da noch nie eins?"

Ich starrte zu Boden. „Verzeiht", brachte ich hervor, nicht wissend, ob das die richtige Reaktion war. Letzten Endes gab es sowas wie eine richtige Reaktion vermutlich gar nicht, denn diese Regeln waren derart willkürlich und so offensichtlich Schikane, dass ein Engel, der es darauf abgesehen hatte, wohl immer einen Grund finden würde, mich zu bestrafen.

Und so war es auch.

Langsam ging sie um mich herum, musterte mich von allen Seiten, während ich stur zu Boden starrte und versuchte, meinen rasenden Puls unter Kontrolle zu bringen.

„Du bist also seine Hure", sagte sie, wobei sie es schaffte, so viel Hass und Ekel in ihre Stimme zu legen, dass mir selbst ganz übel wurde. Sie zupfte grob an meiner Kleidung.

„Du bist kleiner als ich dachte", sagte sie. „Und hässlicher. Abgesehen davon, dass du offenbar keinen besonders guten Modegeschmack hast ..." Sie lachte über ihren eigenen Witz, doch es klang nicht wirklich fröhlich. „Was ist das für eine Haarfarbe?" Erneut zog sie an meinem Zopf, diesmal so fest, dass ich in die Knie ging. „Ist das überhaupt eine richtige Farbe? Sieht aus wie Fäkalien."

Meine Wangen brannten. Nicht nur von der Ohrfeige, sondern auch von der Demütigung. Und doch wagte ich es nicht mehr, auch nur einen Ton von mir zu geben. Sie schien etwas von mir und Cassiel zu wissen, und dass sie mich hasste, war mehr als offensichtlich, auch wenn ich nicht verstand, warum. Eins verstand ich jedoch: Sie saß am längeren Hebel, und wenn sie mir schaden wollte, dann hätte ich keine Chance.

„Was findet er an dir?", fragte sie. Als ich nicht antwortete, zog sie mein Haar so grob nach hinten, dass ich sie ansehen musste.

„Sprich!", fuhr sie mich an. „Was findet Cass an dir?"

„Ich ... ich weiß es nicht", presste ich hervor. „Es war nur auf dem Schiff, vermutlich hatte er Langeweile." Mein Herz raste. Langsam dämmerte mir, in welche Richtung das alles ging, was ihr Problem war.

„Nur auf dem Schiff, ja?" Ich konnte hören, dass sie mir nicht glaubte. Natürlich glaubte sie mir nicht, Seraphim konnten Emotionen spüren. Jetzt im Moment spürte sie jedoch vermutlich nur meine Angst, denn dieses Gefühl war vorherrschend. Ich zwang mich, daran zu denken, dass Cassiel und ich keine wirkliche Chance hatten. Dass es früher oder später zwischen uns enden würde. Ich versuchte, die Trauer zu fühlen, die diese Gedanken in mir auslösten, in der Hoffnung, dass Caelira sie ebenfalls spüren und mich in Ruhe lassen würde.

„J-ja", log ich. Meine Stimme zitterte. „Ich war in ihn verliebt, aber ... Sobald wir hier w-waren, hat er m-mich abgeschossen. Ich bedeute ihm nichts."

„Und das soll ich dir glauben?" Noch immer hielt sie meinen Zopf in ihrer Faust und zog meinen Kopf daran nach hinten. „Du warst letzte Nacht bei ihm. Was habt ihr getrieben?"

Ich schluckte. „N-n-nichts", würgte ich die Lüge hervor, die ich mir für eventuelle Nachfragen zurechtgelegt hatte. „Er war unzufrieden mit der Arbeit vom Mittag und wollte, dass der ganze Flügel noch einmal geputzt wird."

Caelira musterte mich einen kurzen Augenblick lang, dann kam sie mit ihrem Gesicht ganz nah an meines.

„Du bist ein verlogenes kleines Stück Dreck", spie sie mir entgegen. „Und am liebsten würde ich dir jetzt sofort sämtliche Knochen brechen und dich unten in den Fluss werfen, aber leider ist das verboten. Sollte Cassiel übermorgen verlieren, werden hier allerdings andere Saiten aufgezogen, das kannst du mir glauben. Dann gnade dir Gott. Ich kann dir nur raten, dich von ihm fernzuhalten, denn er gehört mir. Hast du das verstanden?"

Inzwischen war mir so schlecht, dass ich fürchtete, mich jeden Moment zu übergeben. Und so schaffte ich es nicht, etwas zu erwidern. Ich presste die Lippen aufeinander und nickte nur.

Die Seraphima öffnete die Tür und schubste mich nach draußen, wo ich hart auf dem Boden aufschlug.

„Kreaturen wie du bekommen immer irgendwann, was sie verdienen", zischte sie. „Verlass dich drauf."

Dann knallte sie die Tür zu und ich war allein.

Amid the Spring Forest [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt