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Während ich Esko dabei half, Fleisch und Gemüse zu schneiden, konnte ich mich kaum konzentrieren. Mit einem Auge und einem Ohr war ich die ganze Zeit beim Bildschirm, wo ein junger Seraph mit wallendem blondem Haar und ernstem Blick von der Wahl sprach.

„Der Unmut in Araboth äußert sich schon seit Monaten", sagte er gerade, „was an den Aufständen und Demonstrationen nur unschwer zu erkennen ist. Viele Seraphim sind unzufrieden mit den Entscheidungen bezüglich des Umgangs mit den Menschen, die der Erhabene in den vergangenen Jahrzehnten getroffen hat, und die nun schließlich in einer völligen Grenzöffnung gipfeln sollten."

Es wurde ein Video eingeblendet, wie ein anderer Moderator durch die Straßen von Lysandra ging und – scheinbar nach dem Zufallsprinzip – andere Engel befragte, wie sie zu der politischen Debatte stünden.

„Ich weiß nicht so recht", sagte eine junge Seraphima mit unsicherem Blick. Sie sah sich nach links und nach rechts um und fühlte sich sichtlich unwohl, als hätte sie Angst, etwas Falsches zu sagen oder sich zu blamieren. „Ich kenne mich mit der ganzen Geschichte zu wenig aus, aber ich denke, dass es vermutlich besser wäre, wenn die Menschen in Irdysia blieben. Ich meine, das gäbe weniger Konfliktpotenzial und sie haben ja genug Platz dort ..."

„Diese Kreaturen sind wie Tiere", sagte eine andere Seraphima, die ebenso jung und hübsch wirkte, jedoch älter war. Inzwischen konnte ich es an den Augen erkennen. Sie alterten zwar insgesamt kaum und sahen mit achthundert Jahren noch genauso frisch aus wie mit zwanzig, doch an den Augen konnte man es fast immer sehen. Je älter sie waren, desto abgeklärter war ihr Blick. „Sie sollten nicht nach Araboth kommen", fuhr sie fort. „Wir haben ja gesehen, was in den letzten Jahren geschehen ist. Mord und Totschlag gibt es, seit diese Leute hier sind, Unzufriedenheit, weniger Arbeit für uns."

Esko lachte auf. „Was für eine Farce", stieß er hervor. „Sie haben die Menschen doch überhaupt erst deswegen hergeholt, dass wir die Drecksarbeit für sie erledigen – und nun sind sie neidisch darauf?" Er schüttelte den Kopf.

„Ich denke, dass der Erhabene ein paar gute Dinge geleistet hat, aber dass es vielleicht wirklich an der Zeit für einen Regierungswechsel ist", sagte nun ein männlicher Seraph mit kurzen silbernen Haaren und Spitzbart. „Ich möchte gar nicht so weit gehen und die Menschen als minderwertig bezeichnen, aber letzten Endes ist es eben so, dass ihre Natur eine vollkommen andere ist. Wir sind feingeistig, kultiviert und empfindsam, während sie eher roh sind und kaum Emotionen empfinden können. Das passt einfach nicht zusammen und ich denke, sie sind in Irdysia besser aufgehoben."

„In Irdysia herrscht Krieg, den die Cherubim begonnen haben", sagte der Moderator. „Wäre es möglich, dass in Zukunft aufgrunddessen noch mehr Menschen nach Araboth einreisen könnten?"

„Auf jeden Fall", sagte der silberhaarige Seraph nun. „Ja, auf jeden Fall. Wobei man die Cherubim natürlich auch verstehen muss, Irdysia ist riesig, und ist es wirklich gerecht, dass diese monumentale Landplatte den Menschen zugestanden wird, während unsere Brüder und Schwestern auf der winzigen Insel Elyssian verharren müssen? Ich glaube nicht. Ich kann sie schon verstehen, nun ... Krieg ist auch kein schöner Zustand, aber wenn mit großen Flüchtlingswellen zu rechnen ist, wäre es vermutlich erst recht nötig, die Grenzen zwischen Irdysia und Araboth schnell zu schließen. Wir haben ja gar nicht so viel Platz. Vielleicht wäre es eine Lösung, den Cherubim das Land zu geben und die Menschen umzusiedeln, sagen wir nach ... Celestia? Zum Beispiel."

Esko lachte erneut auf. „Celestia ist winzig, du Dummkopf", murmelte er, während er damit anfing, das Fleisch anzubraten. Erneut schüttelte er den Kopf. „Dahin würden die Menschen höchstens passen, wenn die Cherubim vorher neunzig Prozent von uns ausgerottet haben, aber vielleicht ist ja genau das der Plan."

„Nun, vielen Dank für ihre ausführliche Meinung", sagte der Moderator nun, dann wandte er sich wieder an die Kamera. „Sie sehen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die Meinungen der Seraphim gehen ein wenig auseinander, doch alle scheinen sich einig zu sein, dass es so nicht weitergehen kann. Seit die ersten Menschen ins Land gekommen sind, geht es stetig bergab, das zeigen auch diverse Statistiken."

Eine Grafik wurde eingeblendet, doch ich stand zu weit weg und konnte nicht lesen, was unter den Balken und Tortendiagrammen stand. Im nächsten Moment wechselte das Bild wieder zu dem Seraph im Studio.

„Michael, der in den letzten Jahrhunderten als Zweiter Seraph fungiert hat, hat vor einiger Zeit den Antrag gestellt, den Erhabenen absetzen zu lassen und sich selbst zu seinem Nachfolger vorgeschlagen", sagte er nun. „Ein großer Pluspunkt ist mit Sicherheit, dass Michael ebenfalls viele Jahrhunderte Regierungserfahrung hat, denn bislang war er als Kriegsstratege tätig. Nun fand heute also das Referendum statt und wir hatten mit fast neunzig Prozent eine so hohe Wahlbeteiligung wie noch nie, Brüder und Schwestern. Das Thema scheint vielen Leuten wichtig zu sein. Und nun sind auch die Ergebnisse da."

Jemand reichte ihm einen Umschlag und er zog einen Zettel daraus hervor. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, mein Herz raste wie verrückt. Ich ballte die Fäuste und betete innerlich, dass Cassiel gewonnen hätte. Es musste einfach so sein. Michael durfte nicht Erhabener werden.

„Nun, nach allem, was wir jetzt gehört haben, ist das Ergebnis nicht sonderlich überraschend", sagte der Moderator jetzt mit einem strahlenden Lächeln. „Michael gewinnt die Wahl mit einer Mehrheit von siebzig Prozent. Herzlichen Glückwunsch! Damit ist er der neue Erhabene und Cassiel wird auf der Stelle abgesetzt."

Amid the Spring Forest [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt