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Den Rest des Abends verbrachte ich wie in Trance.

Die anderen kamen irgendwann zurück und natürlich hatten sie es auch bereits gehört und in der Küche herrschte helle Aufregung. Alle redeten durcheinander, diskutierten wild darüber, wie es nun weitergehen würde und was wir nun am besten tun sollten.

Die Einzigen, die nicht mitredeten, waren Naomi – sie saß still auf ihrem Platz, hörte jedoch aufmerksam zu – und ich. Ich fühlte mich wie betäubt.

„Wir sollten zusehen, dass wir heimkommen", sagte Herma. „Das hätten wir längst tun sollen."

„Wir dürfen das Land aber nicht verlassen, wir sitzen hier fest", sagte Esko.

„Vielleicht werden sie die Grenzen jetzt wieder öffnen?", sagte Kira. „Wenn sie uns loswerden wollen, wäre das nur logisch."

„Oder sie töten uns einfach", sagte Amalia.

„Dann müssen sie ihren Palast in Zukunft aber selbst putzen, darauf haben sie sicher auch keine Lust", sagte Sami.

Aufregung, Unruhe und Ratlosigkeit hingen in der Luft.

Nach dem Abendessen huschte ich zur Toilette und zog mein Lichtglas hervor, in der Hoffnung, Cassiel zu sehen. Doch er erschien nicht. Vielleicht hatte er mich vergessen, vielleicht hatte er an diesem Tag aber auch zu viel um die Ohren, als dass er Zeit für ein Gespräch mit mir hätte. Und so schob ich den Spiegel nach einigen Minuten wieder in meine Tasche und ging enttäuscht und aufgewühlt zurück in die Küche.

Kurz darauf erschien eine Seraphima und trug uns auf, eine Feier vorzubereiten.

„Der Festsaal muss geschmückt werden und wir brauchen ein vernünftiges Büffet", schnappte sie. „Das Ganze muss in zwei Stunden fertig sein, Michael will seinen Sieg feiern, also macht euch an die Arbeit und trödelt nicht herum."

Also machten wir uns an die Arbeit und trödelten nicht herum.

Amalia und Sami machten sich ans Schmücken, wir anderen bereiteten das Essen zu, und um zehn begann die große Feier. Unsere Arbeit war damit noch nicht beendet, weil alles andere in der Zeit der Vorbereitung liegengeblieben war.

Herma und Esko verabschiedeten sich ins Bett, Amalia, Sami und Naomi räumten die Küche auf, während Kira und ich uns um die liegen gebliebene Wäsche kümmerten. Erst nach eins krabbelten wir todmüde in unsere Betten, doch die Musik, das Gelächter und die Gespräche der Seraphim hörten wir bis in die Morgenstunden hinein.


Die nächsten Tage verliefen nach einem immer gleichen Rhythmus, und an mir zogen sie vorbei wie ein wirrer Traum. An unserem Alltag hatte sich bislang nichts geändert, nur die Tatsache, dass Esko nach zwei Tagen den Palast verlassen musste – weil er angeblich woanders gebraucht wurde – und wir daraufhin nur noch zu sechst waren. Er fehlte mir. Zusammen mit Kira war er mir der liebste Mensch hier unten gewesen und seine Abwesenheit hinterließ eine furchtbare Leere.

Dennoch hatte ich kaum Zeit zu trauern, denn es gab wie immer viel zu tun und Herma war nach der Wahl noch schlechter drauf als zuvor. Sie scheuchte uns herum, beschimpfte uns und verteilte Backpfeifen, wenn wir nicht schnell genug waren. Und so vermied ich es nach Möglichkeit, mich mit den anderen zu unterhalten und konzentrierte mich stattdessen auf meine Arbeit. Das tat mir gut, es lenkte mich von meinen Sorgen ab.

Zu den vereinbarten Zeiten sah ich jedes Mal in mein Lichtglas, aber Cassiel tauchte nicht auf, was mich zunehmend mit Verzweiflung erfüllte. Ich hätte alles gegeben, um ihn zu sehen, um nur fünf Minuten mit ihm sprechen zu können. Dass die Zukunft so ungewiss war, sowohl für mich als auch für uns beide, das war nur schwer zu ertragen.

Ich wusste allerdings, dass er noch im Palast war, und das gab mir zumindest ein wenig Hoffnung. Am Rande bekam ich nach einigen Tagen mit, dass er den Posten des Himmelswächters bekommen hatte, was vergleichbar mit den irdysischen Außenministern war. Das ließ mich ein wenig aufatmen, denn es hieß, dass er vorerst hierbleiben würde. Zwar fragte ich mich, warum er nicht zu unseren Treffen erschien, ich tröstete mich jedoch damit, dass es sicher nichts mit mir zu tun hatte. Wahrscheinlich hatte er einfach unglaublich viel um die Ohren nach all den Umbrüchen.


Am fünften Tag nach dem Referendum erreichte mich eine Nachricht, die mir den Boden unter den Füßen wegzog. Ich war gerade dabei, mit den anderen das Abendessen vorzubereiten, als Herma in die Küche gestürmt kam.

„Du", fuhr sie mich an. Ich zuckte zusammen. Im ersten Moment glaubte ich, einen Fehler gemacht zu haben. Hatte ich nicht sauber genug geputzt? Hatte ich vergessen, die Wäsche aufzuhängen? 

„Du wirst hier nicht mehr gebraucht!"

„Wie ... wie bitte?", brachte ich hervor.

„In der Küche", sagte sie unwirsch. „Sie haben eine neue Aufgabe für dich. Pack deine Sachen und geh am besten gleich nach oben, damit sie dich einweisen können, los, mach schon!"

Irritiert legte ich das Messer, mit dem ich das Gemüse geschnitten hatte, zur Seite und trocknete meine Hände an einem Geschirrtuch. Kira warf mir einen verwirrten Blick zu und zuckte dann die Achseln.

„Kann ja nur besser sein, oder?", flüsterte sie.

Da war ich mir nicht so sicher, und als ich Herma aus der Küche folgte, bestätigte sich meine Vermutung.

„Caelira möchte dich als ihre persönliche Zofe haben", erklärte Herma und mir wich sämtliches Blut aus dem Gesicht.

„Was?", presste ich hervor.

„Du hast mich schon verstanden", fauchte sie. „Die Gerechtigkeitsbewahrerin möchte, dass du ihre persönliche Zofe bist. Ich weiß nicht, wie du es machst, aber die Engel scheinen sich um dich zu reißen, herzlichen Glückwunsch. Dein Zimmer unter dem Dach behältst du, aber in der Küche wirst du bis auf weiteres nicht gebraucht. Den Rest kann sie dir sicher selbst erklären."

Wie betäubt folgte ich Herma zu Caeliras Wohneinheit. Mein Puls raste.

Die Engel scheinen sich um dich zu reißen.

Das war mit Sicherheit wahr – doch es war nichts Gutes.

Amid the Spring Forest [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt