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Sowohl auf dem Schiff als auch hier im Palast hatte ich es bisher erfolgreich geschafft, den Seraphim – mit Ausnahme von Cassiel – aus dem Weg zu gehen. Das war nun nicht mehr möglich. Hinzu kam, dass die Regeln auf der Aetheria etwas lockerer genommen wurden, hier hingegen musste ich mich ausnahmslos an sie halten. Und das unter den strengen Augen einer Seraphima, die mich aus irgendeinem Grund am liebsten tot sehen würde.

Kaum dass Herma verschwunden war und ich Caeliras Zimmer betreten hatte – natürlich mit demütig gesenktem Blick, wie es sich gehörte –, packte sie mich an der Schulter und zwang mich nach unten auf die Knie.

„So, du kleines Stück Dreck", begrüßte sie mich. „Ich habe es dir ja bereits versprochen, nun ist es endlich so weit. Ab heute läuft das hier ein bisschen anders. Du wirst von nun an für mich arbeiten, das heißt, für meine Räumlichkeiten zuständig sein. Ich erwarte Perfektion und absoluten Gehorsam. Ich weiß ja nicht, wie es bei Cassiel für dich lief, aber ich werde vermutlich weniger gnädig mit dir sein, du hältst dich also besser an die Regeln. Ich sage sie dir nur einmal. Du wirst nicht sprechen, es sei denn, ich fordere dich dazu auf. Du wirst mir nicht ins Gesicht sehen. Und du tust ausnahmslos alles, was ich dir sage. Wenn du dich den Regeln widersetzt, wird das Strafen nach sich ziehen, und glaub mir, die willst du nicht. Im Übrigen werden die Regeln nun auch wieder gesetzlich verankert werden, so wie es war, bevor Cassiel seinen merkwürdigen Größenwahn bekommen hat, das bedeutet: Menschen sind uns untergeordnet und haben keine Rechte hier in Araboth. Gewöhn dich also besser schon einmal daran."

Sie packte mich grob an den Haaren und zerrte mich zu ihrem Badezimmer. Unwillkürlich schnappte ich nach Luft. Hier drin sah es aus, als hätte dort eine Horde Elche gewütet, das konnte ich selbst aus dem Augenwinkel erkennen. Dabei wurden die Räumlichkeiten doch täglich geputzt. Mir wurde klar, dass sie das Zimmer absichtlich so verwüstet hatte – nur um mich zu schikanieren.

„Ich muss gleich zu einer Konferenz und ein paar Gesetzestexte unterschreiben", ließ sie mich wissen. „Wenn ich in einer Stunde wiederkomme, sieht es hier drin tiptop aus, sonst wirst du wertlose Staubseele dir wünschen, nie geboren worden zu sein, das schwöre ich dir bei Gott."

Sie verließ das Zimmer und knallte die Tür hinter sich zu. Nun konnte ich endlich den Kopf heben. Fassungslos starrte ich auf die verschlossene Tür, dann ließ ich meinen Blick über das Chaos schweifen.

Cremetuben waren achtlos auf den Boden geworfen und halb ausgedrückt worden, sodass sich die schmierige Paste überall verteilte. Sogar an den Wänden klebten undefinierbare Flüssigkeiten. Ein Korb mit Haarspangen und Goldschmuck war aus dem Schrank geworfen worden, und alles lag kreuz und quer auf dem Boden herum. Die marmorne Badewanne war so dreckig, dass das kaum auf natürlichem Wege geschehen sein konnte. Darin klebte so viel Schlamm, als hätte dort ein Schwein gebadet und kein Mensch, geschweige denn ein Seraph. Caelira musste extra Dreck aus dem Garten geholt haben, um ihn hier zu verteilen, das war die einzige Erklärung für diese Sauerei.

Der Spiegel war verkrustet und mit undefinierbaren Substanzen beschmiert, genauso wie sämtliche Möbel und Wände in diesem Raum. Papierfetzen und Klopapierstücke waren ebenfalls überall verteilt und klebten teils an den Wänden.

Der Toilettendeckel war verschlossen und ich wagte es nicht, ihn zu öffnen, aus lauter Angst davor, was ich darin vorfinden könnte. Der ganze Raum sah einfach verboten dreckig und eklig aus, dazu stank es fürchterlich – nach einer Mischung aus Abwasser, Fäkalien, ranzigem Fett und saurem Schweiß, sodass mir schier übel wurde.

Was immer hier auch geschehen ist, eins war mir klar: Caelira zog sämtliche Register, um mir das Leben zur Hölle zu machen, und sie schreckte dabei offensichtlich auch nicht davor zurück, sich selbst zusätzliche Arbeit zu machen. Vermutlich hatte sie sogar großen Spaß daran und mir graute bereits jetzt davor, was ihr als nächstes einfallen würde.

Doch es half alles nichts; ich hatte keine Wahl. Und so schluckte ich den dicken Kloß in meiner Kehle hinunter und machte mich an die Arbeit. Dabei versuchte ich nicht darüber nachzudenken, dass dies der Anfang vom Ende sein könnte, sondern zwang mich zu positiveren Vorstellungen. Ich schnappte mir einen Eimer, füllte Wasser und so viel Putzmittel hinein, dass es den widerlichen Gestank zumindest ein wenig übertönte. Dann sammelte ich den ganzen Müll ein und stopfte ihn in einen Sack, wischte einmal durch das Waschbecken, füllte es ebenfalls mit Wasser und warf alles hinein, was dreckig geworden war und geputzt werden musste – Haarnadeln, Spangen, Schmuck, Cremedöschen ...

Bevor ich mich schließlich daran machte, Boden, Möbel und Wände sauberzuwischen. Die Toilette hob ich mir für den Schluss auf, und bis ich so weit war, versuchte ich, mir eine schöne Zukunft auszumalen.

Ich stellte mir vor, dass noch nicht alles verloren war. Dass Cassiel es noch irgendwie schaffen konnte, das Ruder herumzureißen, immerhin war er noch immer im Palast, war er noch immer Mitglied des Rates. Und sein Posten als Außenminister hatte natürlich auch etwas Gutes, auf die Art konnte er vielleicht eher für Frieden in Irdysia sorgen. Und wenn in Araboth alles schiefgehen würde, wenn es keine Chance für mich gäbe, hierzubleiben und mit ihm zusammenzusein, auf welche Art auch immer, dann würde ich vielleicht wenigstens bald wieder nach Hause gehen können.

An diese Gedanken klammerte ich mich, während ich über den schmutzigen Boden kroch, meine Röcke sich nach kürzester Zeit mit dem stinkenden Dreckwasser vollsogen und ich versuchte, die Panik zu verdrängen, die immer wieder in mir aufkam, als ich merkte, dass ich viel zu langsam war und Caelira jeden Augenblick zurückkommen würde.

Ich musste mich an diese Gedanken klammern, sonst wäre ich in eine Schockstarre verfallen und hätte keinen Finger mehr bewegen können.

Zu diesem Zeitpunkt wusste ich natürlich noch nicht, wie lächerlich meine Hoffnungen waren. Ich wusste noch nicht, dass es mir eigentlich noch gar nicht so schlecht ging, und dass in Kürze alles vollkommen aus dem Ruder laufen würde. Rückblickend bin ich froh darum, denn andernfalls hätte ich die kommenden Tage und Wochen nicht überleben können.

Amid the Spring Forest [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt