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Ich schlief den Rest des Tages und die ganze Nacht durch – und zwar ohne Unterbrechung. Zunächst hatte ich befürchtet, dass ich mehrmals hochschrecken würde, aus lauter Angst, dass Caelira in meine Kammer kommen könnte. Doch das geschah nicht. Weder kam sie, noch wachte ich auf; ich war einfach zu erschöpft.

Als ich am nächsten Morgen schließlich von Kira geweckt wurde, fühlte ich mich zwar immer noch müde, aber tausendmal besser als an jedem anderen Tag in den letzten zwei Wochen.

Da außer Esko nun auch noch Herma fehlte, gab es mehr Arbeit als zuvor, und doch fühlte sie sich leichter an. Ich war mir nicht sicher, ob es daran lag, dass ich die vergangenen Wochen so viel Schlimmeres erlebt hatte, sodass es mir im Keller nun wie reiner Erholungsurlaub vorkam, oder daran, dass es ohne Herma einfach sehr viel entspannter war. Wir übrigen unterstützten uns gegenseitig und versuchten uns das Leben so einfach und erträglich wie nur möglich zu machen, und das fühlte sich unglaublich erholsam und heilend an – nicht nur für meinen Körper, sondern vor allem für meine Seele.

In den kurzen Pausen und den Gelegenheiten, die es sich ergab, versuchte ich, mit der Hilfe der anderen die Gebärdensprache zu erlernen, sodass ich es nach wenigen Tagen zumindest schaffte, kurze Worte mit Naomi zu wechseln. Natürlich hätten wir auch die Möglichkeit gehabt, uns Briefe zu schreiben, aber für solche Späße und Plaudereien fehlte uns die Zeit. Zu den vereinbarten Zeiten sah ich jeden Tag in mein Lichtglas, doch das Bild blieb leer und so versuchte ich, die Gedanken an Cassiel zu verdrängen.

Nachdem ich den anderen berichtet hatte, wie es mir bei Caelira ergangen war, musste ich nicht mehr das Essen servieren oder die Zimmer machen, genauso wenig wie Naomi. Das übernahmen Kira, Sami und Amalia, wofür ich ihnen unfassbar dankbar war. Die Seraphim bekam ich deswegen nicht mehr zu Gesicht, und nach wenigen Tagen schaffte ich es sogar wieder, ihre Existenz vollkommen auszublenden und mich halbwegs zu entspannen. Naomi und ich kümmerten uns um die Wäsche und alles, was in der Küche anfiel. Und obwohl wir wenig miteinander sprachen, mochte ich sie jeden Tag mehr. Ihre Anwesenheit war angenehm und das Schweigen zwischen uns wie stumme Einträchtigkeit.


Am Morgen des siebten Tages, nachdem ich mich halbwegs von allen Strapazen erholt hatte und auch meine Wunden wieder geheilt waren, schickte Kira mich auf den Markt. Das bedeutete, dass ich den Palast zum ersten Mal verlassen durfte, und das erfüllte mich mit heller Aufregung.

„Denk dran, nicht auf windige Händler reinzufallen", schärfte sie mir noch einmal ein. „Und halte dich von den Sternengauklern fern, die machen nichts als Ärger. Du bist dein Geld schneller los, als dir lieb ist."

Ich hatte zwar keine Ahnung, was Sternengaukler waren, aber in Hjartvik hatte ich genug Markterfahrung sammeln können, sodass ich mir sicher war, die seriösen Kaufleute von den Halunken unterscheiden zu können, und so lachte ich nur.

„Keine Sorge, du hast es hier mit einem Profi zu tun."

Kira runzelte die Stirn. „Ich meine es ernst, Lumi. Wenn uns die Ware ausgeht, bekommen wir große Probleme. Das Budget ist für jede Woche genau festgelegt und wenn du dich übers Ohr hauen lässt, glauben die Seraphim am Ende noch, wir hätten sie bestohlen. Bist du dir sicher, dass ich nicht mitkommen soll?"

„Absolut sicher." Die Wahrheit war, dass ich mich über Kiras Gesellschaft zwar gefreut hätte, ich hatte jedoch keine Zweifel daran, dass ich den Einkauf auch allein würde bewältigen können. Und Kira wurde im Palast dringender gebraucht, es war nicht nötig, dass wir zu zweit zum Markt gingen und die anderen die restliche Arbeit allein erledigen mussten.

„Na gut." Sie lächelte. „Wenn das gut funktioniert, kannst du das in Zukunft jeden Tag machen, das würde uns eine Menge Stress ersparen. Immerhin ist die Stadt momentan kein besonders guter Ort für Menschen, und du und Naomi seid die Einzigen von uns, denen nichts passieren kann, weil sie unter astralmagischem Schutz stehen."

Sie drückte mir die Einkaufsliste in die Hand und beschrieb mir ein letztes Mal den Weg. Der Marktplatz war nicht allzu weit vom Palast entfernt, allerdings in einem anderen Stadtviertel von Lysandra. Und es schien nicht unbedingt das beste zu sein, wenn ich Kira richtig verstanden hatte.

Während der Palast sich im leuchtenden und strahlenden Aureldom befand, dem besten Bezirk in der gigantischen Stadt, war der Marktplatz wenige Straßen weiter im Opalgrund. Vom Fenster in Cassiels Schlafgemach hatte ich einen Blick auf das Viertel erhaschen können: Die Gebäude bestanden aus schimmerndem weißem Stein, von oben sah es nicht weniger luxuriös aus als andere Teile Lysandras, die ich vom Palast aus sehen konnte. Doch der Schein trog offenbar. Im Opalgrund waren nicht nur die Händlermeile der Stadt, es trieben sich auch allerhand zwielichtige Gestalten dort herum, die nur darauf warteten, mir mein Geld abzuluchsen, wenn ich den Warnungen der anderen Glauben schenken durfte.

Ich machte mir jedoch nicht allzu viele Sorgen; viel zu groß war die Aufregung. Und während ich die Tür zum Seiteneingang öffnete und die steinernen Stufen hinaufstieg, die zum Hinterhof des Palastes führten, wurde mir klar, dass ich nun für kurze Zeit frei sein würde. Dass es niemanden mehr gab, der mich hielt, dass ich dem Palast einfach für immer den Rücken kehren und verschwinden konnte.

Amid the Spring Forest [Dark Romantasy]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt