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Nach weiteren gequälten Stunden ließ Shiro endlich von mir ab. Kev war inzwischen aus dem Nachtclub zurückgekehrt und wollte sich zu uns gesellen, aber Shiro verbot es ihm. Schließlich sollte ich diese Nacht meine Ruhe haben; das war ja meine Belohnung, die wir abgesprochen hatten. Später am Abend lag ich noch immer gefesselt auf dem Bett, während die beiden sich für etwas fertigmachten. Ich hörte ihre schweren Schritte hinter der Tür und Hoffnung stieg in mir auf. Ich zappelte mit den Beinen und zog immer wieder an den Fesseln. So dumm, wie die beiden sind, hatten sie vergessen, dass das Holz des Bettes sich gelockert hatte. Es würde nicht mehr viel brauchen, um abzubrechen. Die Tür öffnete sich, und Shiro trat ein. Zum Glück blieb er nur in der Türschwelle stehen. Ich sah zu ihm und versuchte, meinen Körper etwas zu verdecken. "Bonten ist in Shibuya, also hast du eine ruhige Nacht vor dir", sagte er. Ich dachte kurz nach. Shibuya ist nur zwanzig Minuten von Tokio entfernt. Ich nickte ihm zu, um zu zeigen, dass ich ihn verstanden hatte. "Ich werde mit Manjiro reden. Damit du Bescheid weißt: Nach dem Gespräch wird er entweder nicht mehr leben, oder Bonten wird sich aufteilen und mir gehören," raunte er ehrgeizig und schlug die Tür zu. Ich hatte also vierzig Minuten Zeit, um hier rauszukommen. Sobald sie ankommen, werden sie merken, dass ich sie ausgetrickst habe. Die Tür ging noch einmal auf. "Und falls du gelogen hast, Avara", brummte er grimmig und hielt den Türknauf fest,
"Wirst du alles büßen." Eine kalte Angst kroch mir in die Glieder, und ich schluckte meinen Kloß herunter. Die Tür unten wurde verschlossen, genauso wie meine Zimmertür. Schlagartig begann ich, an den Fesseln zu zerren. Mit aller Kraft zog ich daran, bis das Holz knackte. Ich drehte mich auf den Bauch, zog meine Knie heran und erhob meinen Oberkörper. Rasch setzte ich mich hin und stemmte meine Beine gegen das Bettgestell. Mit einem heftigen Ruck zog ich an den Fesseln und spürte, wie sie fast meine Haut aufrissen. "Verdammt!" schrie ich und trat so fest gegen das Holz, dass es einfach zerbrach. Ein freudiger Schrei entfuhr mir, als ich endlich aufstehen konnte. Die Fesseln fielen zu Boden, und ich schaute mich hektisch um. Die Kommoden waren leer, also würde ich keine Kleidung finden. Nervös tippte ich mir aufs Kinn und überlegte, wie ich mir in zehn Minuten etwas aus einer Decke herrichten könnte. Doch dann griff ich nach meinem T-Shirt, das zwar etwas zerrissen war, sich aber noch tragen ließ. Eilig sah ich unters Bett und fand eine Boxershorts. Besser, als nackt draußen herumzulaufen. Schnell zog ich beides an und ging zum Fenster. Wir befanden uns im ersten Stock, also würde ich beim Sprung wohl nichts Schlimmes davontragen vielleicht nur eine Prellung, aber das war mir egal. Rasch rüttelte ich am Fenster, doch es ließ sich nicht öffnen. "Was zum Teufel?" rief ich überrascht und warf einen Blick über die Schulter. Mein Blick fiel auf das Stück Holz, das ich vorher losgerissen hatte. Ohne zu zögern griff ich danach und schlug damit auf das Fenster ein. Nach ein paar Minuten zeigten sich Risse, und ich schlug weiter auf die zerbrochenen Stellen ein, bis es schließlich nachgab. Um mich nicht an den Scherben zu verletzen, warf ich eine Decke über die Fensterbank. Vorsichtig kletterte ich aus dem Fenster und krallte mich am Rahmen fest. Ich war etwa 1,65 Meter groß, also waren es unter mir noch ungefähr zwei Meter. Meine Arme zitterten und brannten, da meine Handgelenke stark verletzt waren, aber ich ließ mich langsam hinunter. Ich stützte mich mit den Beinen an der Mauer ab. Unter mir war eine Wiese; der Aufprall würde also nicht allzu schmerzhaft sein. Nach und nach ließ ich los und drückte mich mit den Beinen von der Wand ab. Schmerzhaft landete ich auf meinen schwachen Füßen und kämpfte darum, das Gleichgewicht zu halten. "Fuck", zischte ich und kniff die Augen zusammen. Trotz der Decke hatten sich meine Finger an den Glasscherben aufgeschürft, und Blut tropfte von meinen Händen. Ich wischte es am T-Shirt ab, das Blut verschmierte sich auf dem weißen Stoff, und ich verzog das Gesicht. Dann rannte ich durch den Garten und quer über eine Wiese, die sich hinter mehreren Häusern erstreckte. Ich hatte noch etwa fünfzehn Minuten, um mir genügend Abstand von ihnen zu verschaffen. Die Hauptstraße kam nicht infrage; dort könnten sie mich entdecken. Also musste ich durch verlassene, dreckige Gassen rennen. Keuchend stützte ich mich an einer Ziegelmauer ab und sah das Gebäude vor mir. Mit letzter Kraft hielt ich mich auf den Beinen und blickte voller Hoffnung zu meinem neuen Zuhause. Meine Haut begann zu prickeln und zu glühen, weil ich wusste, dass ich wieder in seiner Nähe war. Ich hatte Sanzu vermisst, so verdammt sehr vermisst, dass ich jede Nacht flehte, er würde auftauchen und mir helfen. Ich wollte, dass er meinen Körper berührt und mich von Shiros und Kevs Händen reinigt. Er sollte die widerlichen Spuren ihrer Berührungen mit seinen zarten Händen wegwischen. Ich setzte einen Fuß vor den anderen und ging, so kraftlos wie ich war, auf das Gebäude zu. Ich würde Sanzu eine zweite Chance geben, denn ich hatte erkannt, wie sehr ich ihn brauchte, wie sehr mein Herz ihn brauchte. Auch wenn er mir Schmerz zugefügt hatte, wusste ich, dass es noch schlimmer sein könnte. Schnell öffnete ich das Tor, das mich durch die Gesichtserkennung erkannte. Mit großen Schritten ging ich durch den Garten zur Tür. Schwerfällig erklomm ich die Stufen und legte meine Hand auf den Knauf. In dem Moment fiel ein gewaltiger Druck von meinen Schultern, und mein Körper begann wieder zu wärmen. Ich war in Sicherheit. Mir konnte nichts mehr geschehen. Shiro würde versuchen, mich zurückzuholen, würde dafür kämpfen, dass ich ihm gehöre. Aber ich würde dem ein Ende setzen. Ich würde ihn töten und zwar mit meinen eigenen Händen.

Two broken Souls/ Sanzu HaruchiyoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt