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Das Auto hatte ich ein paar Straßen weiter abgestellt. In meinem Stiefel befand sich ein kleiner GPS-Sender, der anzeigte, wo ich mich befand und was in meiner Umgebung war. Auf dem Weg zum Tor hoffte ich, dass Kev unten sein würde und nicht oben mit Shiro. Ich klingelte, und das Tor piepte laut auf, öffnete sich einen Spalt breit. Aus meinem BH zog ich ein Stück Stoff und stopfte es in die Dichtung, damit Sanzu sich leichter heranschleichen konnte. Denn auch er war nicht mehr im Auto, sondern klebte an meinen Fersen. Heute war er mein Schatten. Mein Schatten, der alles beenden würde. Er war schon immer mein Schatten. Mein Schatten im Leben. Mein Schatten im Schmerz. Mein Schatten im Leid. Er war der Schatten meiner Vergangenheit und würde der Schatten meiner Zukunft sein. Als ich durch den Garten ging, begannen meine Handflächen zu schwitzen, und Sorgen krochen in meinen Kopf. Ein schlechtes Gewissen tauchte auf. Der Weg zur Hölle. Die Türen zum Teufel. Die Tür zu meinem damaligen Tod. Ich hämmerte laut an die Tür und stemmte die Hände in die Hüften. Augenblicklich wurde die Tür aufgerissen, und seine giftgrünen Augen funkelten im Schatten wie Schlangen. Shiro war eine Schlange. Eine falsche, erbärmliche Schlange. „Auch wirklich allein?" fragte er misstrauisch und ließ mich nicht sofort hinein. „Siehst du jemanden? Du hast mich doch durch die Kameras beobachtet, und ich ziehe Bonten nicht in den Tod," versicherte ich ihm und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wich zurück und öffnete schließlich die Tür weit. „Willkommen zu Hause," grinste Kev spitzbübisch, und Galle stieg mir in den Hals. „Ich will in mein Zimmer," forderte ich und reckte mein Kinn in die Höhe, ohne die beiden auch nur anzusehen. „Was für eine Diva," raunte Shiro spielerisch und legte eine Hand auf meinen Rücken. Glücklicherweise blieb Kev im Wohnzimmer, und ich betrat meine Höhle. Shiro lehnte die Tür an, und ich setzte mich aufs Bett. Mein Blick wanderte zum Fenster, das wieder blitzblank repariert war. „Du hast hier eine ordentliche Sauerei hinterlassen," spottete er und sah, dass ich ebenfalls zum Fenster blickte. Schon als ich das Haus betrat, hatte ich Sanzu ein Signal geschickt. Jetzt musste ich nur noch gute zehn Minuten mit ihm aushalten. Die Stille war unangenehm, drückend. „Du hast mein Vertrauen missbraucht," brummte er und trat näher an mich heran. Meine Augenbrauen zogen sich überrascht zusammen. „Ihr habt mich missbraucht!" entgegnete ich und stieß mich vom Bett ab. Shiro war nicht viel größer als ich, aber er war hartnäckig und hatte einen festen Griff. „Es hatte Gründe," widersprach er und rollte die Augen. Fassungslos fiel mir die Kinnlade herunter, mir fehlten die Worte. „Gründe?" fragte ich verblüfft nach und lächelte ungläubig. Er nickte zustimmend und zog ein Mitleidsgesicht. Mit einem Mal schubste ich ihn von mir weg und ging zur Tür, weil mein Stiefel vibrierte. Als ich hinaustrat, sah ich aus dem Augenwinkel, wie Sanzu und Kev gerade kämpften. Sanzus Katana lag auf dem Boden, und sie prügelten sich mit den Fäusten. Schlagartig durchzuckte mich ein Gedanke. Ich war so konzentriert auf die Route, dass ich vergessen hatte, die Pistole zu laden. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken, und ich wusste, dass wir am Arsch waren. Wir hatten es vermasselt. Ich hatte es vermasselt. Doch wie so oft handelte mein Körper unüberlegt und von selbst. Plötzlich packte ich Shiro am Kragen und zerrte ihn aus dem Zimmer. Hektisch legte ich meine Hände auf seine Ohren und versuchte, die Geräusche des Kampfes unten zu dämpfen. Verwirrt blickte er mich an und versuchte, sich aus meinem Griff zu befreien, bis ich einfach meine Lippen auf seine legte. *Lieber Gott, lieber Sanzu, verzeiht mir, es dient nur zur Ablenkung.* Seine Hände griffen grob nach meinen Hüften, seine Finger bohrten sich in mein Fleisch, und ich keuchte vor Schmerz auf. Er presste mich plötzlich gegen die Wand und versuchte, mit seiner Zunge in meinen Mund einzudringen, doch ich ließ es nicht zu. Seine Finger kniffen in meine Brust, und ich schrie laut auf, woraufhin er die Gelegenheit nutzte. Mir war übel. Wenn ich gekonnt hätte, hätte ich ihm am liebsten in den Mund gekotzt. Seine widerlichen Hände wanderten zu meinem Hintern, und ich betete, dass Sanzu endlich auftauchen würde. Leicht öffnete ich die Augen und blickte schräg an ihm vorbei, ohne meine Lippen von seinen zu lösen. Sanzus wilde, pinke Haare kamen in mein Blickfeld, und Blut strömte aus seiner Nase. Mit aller Kraft rammte ich mein Knie in Shiros Weichteile. Schmerzverzerrt schrie er auf und warf mir einen wütenden Blick zu. Genau in diesem Moment, als er erneut auf mich zukam und seine Hand hob, flog diese plötzlich abgetrennt auf den Boden. Blut spritzte in die Luft, und ich presste mich enger an die Wand, um nichts davon abzubekommen. Shiros Augen weiteten sich vor Schock, und er hielt seinen Arm mit der verbleibenden Hand fest. „Habe ich dir erlaubt, sie anzufassen?" raunte Sanzu tief und gefährlich, und seine Worte umhüllten mich wie bedrohliche Schatten. Zorn und Rache loderten in seinen blauen Augen, und ich schluckte meine Angst hinunter. Ängstlich blickte Shiro zu Sanzu und sank vor Furcht zu Boden. „War dein Schwanz in Avara?" fragte Sanzu grimmig, während er ihm das Katana in den Mund rammte. Shiro jaulte panisch auf und schüttelte seinen Kopf. „Ist das wirklich deine einzige Sorge? Ob sein Schwanz in mir war?" fragte ich finster und riss ihm das Katana aus der Hand. Sanzu taumelte an das Geländer, während er mir dabei zusah, wie ich ausholte. Diese Angst in Shiros Augen. Dieses Zittern. Es war wie Sauerstoff, den ich für meine Lunge brauchte... Mit einem einzigen, kräftigen Schwung rollte sein Kopf die Treppe hinunter. Und in diesem Moment brach alles in mir zusammen. Der Anblick brachte mich fast zum Würgen...

Two broken Souls/ Sanzu HaruchiyoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt