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Lange hatte ich nicht mehr so schön und gut geschlafen. Mit bester Laune hüpfte ich aus dem Bett und zog mir eine schwarze Hose sowie ein weißes Shirt über. Mein Magen knurrte vor Hunger, also machte ich mich auf den Weg nach unten. Die Treppen hinunter, lief ich quer durch das Wohnzimmer, wo mir sofort der verführerische Duft von Tee, Rührei und Bacon in die Nase stieg. Vorsichtig betrat ich die Küche und ließ meinen Blick über die Männer am Tisch schweifen. „Setz dich ruhig," rief mir ein Mann mit langen lila Haaren entgegen, der Ran sehr ähnelte. Schüchtern ging ich um den Tisch herum und griff nach einem Brötchen. Alle redeten durcheinander, doch ich hielt mich noch zurück. Ich traute ihnen noch nicht ganz und musste mich generell erst an die neue Umgebung gewöhnen. „Fehlt nicht jemand?" fragte ein schwarzhaariger Mann mit einer Narbe quer über seinem Auge skeptisch in die Runde. „Sanzu fehlt," rief Ran laut hinein und warf mir dabei einen Blick zu. Sofort senkte ich meinen Kopf und konzentrierte mich auf meinen Teller. Es war mir vollkommen entfallen, dass er im Kerker eingeschlafen war – wegen der Betäubungsspritze, die ich ihm in den Hals gerammt hatte. Meine Wangen liefen rot an, und ein unangenehmes Gefühl sagte mir, dass ich schnellstmöglich aus der Küche verschwinden sollte. Rans Blick bohrte sich förmlich in meinen Rücken, und ich spürte plötzlich seinen Atem dicht hinter mir. „Warum bist du so still, Avara?" fragte er bedrohlich und umfasste die Lehne meines Stuhls, um seine Präsenz deutlicher spürbar zu machen. Langsam hob ich den Kopf und sah zu dem ältesten Mitglied der Runde, der mich ebenso erwartungsvoll ansah. „Nun, wo soll ich anfangen..." flüsterte ich beschämt, meine Stimme zitterte leicht. „Sanzu schläft im Kerker," murmelte ich aufgebracht und legte mein Brötchen auf den Teller. „Er hat es verdient," fügte ich leise hinzu, und alle hoben erstaunt die Augenbrauen. In diesem Moment erblickte ich Sanzu, der sehr wütend in der Türschwelle stand. Seine Brust hob und senkte sich heftig, und sein breites, unheimliches Grinsen ließ seine Narben beinahe aufreißen. Seine Augen schimmerten in einer dunklen, bedrohlichen Schwärze. „Du!" fauchte er drohend und griff nach einem scharfen Messer. Langsam und mit gefährlichen Schritten kam er auf mich zu. Panisch stand ich auf und ging rückwärts, doch mein Rücken stieß hart gegen die Theke. Alle, die sich in der Küche befanden, sahen dem Drama gespannt zu. Je näher er kam, desto mehr zitterten meine Beine. Mein Blick wanderte hilfesuchend zu Ran, der das Geschehen schweigend beobachtete. Meine Augen weiteten sich, und ich schüttelte verzweifelt den Kopf. Fest krallte ich mich an die Theke, als Sanzu direkt vor mir stand und die Messerspitze unter mein Kinn setzte. Sein heißer Atem traf auf meine glühende Haut, und mein Körper brannte vor Hitze. Mein Inneres bebte vor Angst, doch gleichzeitig spürte ich eine unerklärliche Erregung. Aber warum? Erregte mich die Angst, die er mir einflößte? War ich das Monster und nicht er? Hatte Sanzu mich in dieses Monster verwandelt? Wenn die Angst, die er mir bereitete, mich tatsächlich erregte, dann, großer Gott, brauchte ich dringend Hilfe! „Das wirst du büßen, Maus," raunte er tief und düster, sodass mein Magen sich vor Unbehagen verkrampfte. Meine Knie gaben fast nach, doch ich hielt mich mit letzter Kraft an der Theke fest. Immer wieder suchte mein Blick Ran, doch er schien meinen stummen Hilferuf nicht zu verstehen. „Ran wird dir nicht helfen," sagte Sanzu laut und deutlich, während er über die Schulter zu den Männern schaute. „Was hat sie denn angestellt, dass du ihr ein Messer an die Kehle hältst?" fragte Kokonoi, der mir gestern Mittag, nachdem Ran mich auf das Zimmer gebracht hatte, sein Büro gezeigt hatte. Ich hatte ihm beim Sortieren von Papieren geholfen und ein paar Bestellungen aufgegeben. Kokonoi war eigentlich ein netter Mann. Seine langen weißen Haare und die scharfen schwarzen Augen verliehen ihm etwas Besonderes. Doch eines nervte mich gewaltig: Er war ein arroganter Angeber, der ständig mit seinem Geld protzte. Er hatte mir ein paar Scheine zugesteckt, die ich dankend abgelehnt hatte, und pausenlos über Reichtum und Geld geredet. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, seine Zunge sei nicht aus Geldscheinen gemacht. „Was sie angestellt hat?" grinste Sanzu höhnisch auf mich herab, und ich konnte in seinen Augen sehen, wie sehr er es genoss, mir Angst zu machen. Ich stemmte meine Hände gegen seinen Brustkorb und versuchte, ihn wegzustoßen, doch er stand da wie ein Fels. Seine Unterlippe schob sich vor, und er rollte mit den Augen. Verzweifelt keuchte ich und schlug gegen seine Brust, doch bevor ich weitermachen konnte, drückte er das Messer bedrohlich in Richtung meines Herzens. Erschrocken stieß ich einen Zischlaut aus und ließ meine Hände sinken. „Also, wozu hast du mich betäubt?" zischte er herausfordernd, umklammerte den Griff des Messers fester, sodass seine Knöchel weiß anliefen. „Betäubt?" fragten Ran und Rindou verwirrt gleichzeitig. Ich verdrehte die Augen und biss meine Zähne fest zusammen. „Ich habe es getan, Haruchiyo Sanzu, weil du es mehr als verdient hast," fauchte ich wütend und legte meine Hand um seine. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich plötzlich, als meine Finger seine berührten. Mein eigentliches Ziel war, das Messer von meinem Herzen wegzudrücken, doch anscheinend gefiel ihm meine Berührung. „Und dafür rammst du mir eine Betäubungsspritze in den Hals?" fragte er fassungslos, und der ruhige Blick wich einem Funken Wut. „Natürlich," zischte ich bissig und schlug das Messer aus seiner Hand. „Natürlich, Sanzu, verdammt noch mal!" brüllte ich entgeistert und stieß ihn von mir weg. Endlich durchströmte Adrenalin meinen Körper. Endlich konnte ich mich wehren. „Eine kleine Spritze und eine Nacht im Kerker... das kannst du doch nicht mit zwei Jahren Folter vergleichen!" schrie ich ihm voller Wut entgegen und ging zum Tisch. Zügig nahm ich einen Teller zur Hand und hob meinen Arm an...

Two broken Souls/ Sanzu HaruchiyoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt