Kapitel 2 - Die Hütte

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Die Vorlesung war bereits in vollem Gange, doch meine Gedanken schweiften immer wieder ab, während ich die Professorin beobachtete. Prof. Dr. Black stand vorne im Raum, ihre Haltung war aufrecht und ihre Präsenz füllte den gesamten Saal aus. Sie sprach mit einer Autorität, die jeden Satz durchdrang und die Studierenden schienen förmlich an ihren Lippen zu hängen. Ihre Bewegungen waren präzise und kraftvoll. Jedes Mal, wenn sie sich zur Tafel wandte, um eine komplexe Theorie aufzuschlüsseln, schwang eine Eleganz und Entschlossenheit in ihren Gesten mit. Ihre Hände flogen durch die Luft, als ob sie ihre Gedanken visuell greifbar machen wollten. Ich konnte nicht anders, als zu bemerken, wie ihre Augen – scharf und durchdringend – den Raum durchscannten. Wenn sie über das Publikum blickte, schienen ihre Blicke wie Suchscheinwerfer, die selbst die kleinsten Zeichen von Unaufmerksamkeit aufspürten. Besonders, wenn ihr Blick auf mir ruhte, verspürte ich ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend. Es war, als ob sie direkt in meine Gedanken blickte und jede Unsicherheit oder Ablenkung sofort entdeckte.

Die schwere Holztür knarrte leise, als sie sich öffnete, und das vertraute, dumpfe Geräusch der alten Universitätshalle hallte in meinen Ohren wider. Als ich den Flur entlangging, spürte ich die Last der vergangenen Tage auf meinen Schultern. Ich war froh das die Vorlesung beendet war.

Als ich näher an den Ausgang kam, erkannte ich die schmale Silhouette von Dr. Black. Ihr schwarzer Mantel hing elegant an ihrer schmalen Gestalt, während sie am Türrahmen lehnte, offenbar gerade im Begriff, das Gebäude zu verlassen. Ihr dunkles Haar war zu einem strengen Knoten zurückgebunden und ihre sanften Falten kamen im fahlen Licht der Flurlampen grade so zum Vorschein. Ohne ein Wort streckte sie die Hand aus und hielt die Tür für mich auf, eine einfache Geste, die dennoch eine unübersehbare Autorität ausstrahlte.
„Danke, Dr. Black“, murmelte ich, während ich zögernd auf sie zuging. Meine Stimme klang in meinen Ohren viel zu leise, fast schüchtern.
Sie sah mich an, mit einem Blick, der mich durchdrang, als würde sie in Sekunden alles an mir erfassen – meine Unsicherheit, meine Gedanken. Ihre Augen waren dunkel, fast schwarz, aber nicht kalt. Es war, als würde sie mehr sehen, als ich preisgeben wollte, als könnte sie hinter meine Fassade blicken.

„Bitte“, sagte sie ruhig, mit einer Stimme, die zu meiner Überraschung sanft, aber fest war. „Sie sehen fertig aus.“

Ich blieb kurz stehen, überrascht, dass sie etwas sagte. Sie machte mir nämlich nicht den Anschein als würde sie das Leben ihrer Studenten interessieren. Ihre Augen ließen mich nicht los und obwohl ich mich unbehaglich fühlte, spürte ich auch einen Hauch von Verständnis, das ich bei ihr nicht erwartet hatte.
„Ich weiß “, antwortete ich unsicher und trat durch die Tür, die sie noch immer aufhielt. „Es ist… viel im Moment.“
Sie nickte leicht, als hätte sie das schon oft gehört, und doch war in ihrem Nicken eine Art stille Bestätigung, dass sie mich verstand. Einen Moment lang war da nur diese seltsame Verbindung zwischen uns – kurz, aber spürbar. Dann ließ sie die Tür los, und sie schloss sich sanft hinter mir.

„Manchmal hilft eine kleine Auszeit“, sagte sie leise, bevor sie den Blick abwandte und Richtung Parkplatz verschwand. Ihre Schritte hallten in der Stille wider, während ich noch einen Moment verharrte, die Bedeutung ihrer Worte auf mich wirken lassend.
Sie war so nett, anders als in den Vorlesungen.

...

Ich wollte einfach raus. Raus aus der Stadt, in der mir alles zu viel wurde. Der Lärm, die Menschenmassen, der Druck, die Professorin – es war, als würde die Luft schwerer und jeder Atemzug mich mehr erdrücken. Also packte ich kurzerhand meine Tasche, schob die nötigsten Dinge hinein und machte mich auf den Weg in die Berge. Lisa hatte mir glücklicherweise ihr Auto geliehen. Ohne das wäre der Tag wahrscheinlich schon vorüber gewesen, bevor ich überhaupt in die Nähe der kleinen Hütte gekommen wäre. Dr. Black hatte recht, vielleicht würde eine Auszeit helfen.

Die Professorin- Das Machtspiel (Überareitete und neue Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt