Kapitel 11 - Die Hausarbeit

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Das warme Licht der untergehenden Sonne fällt durch die halb geöffneten Jalousien und lässt den Raum in ein sanftes Gold tauchen. Mein Schreibtisch ist übersät mit Papieren – Berichte, die ich akribisch geordnet habe. Der Computer vor mir summt leise und das Klicken der Maus ist das einzige Geräusch in der Stille meines Zimmers.
Ich lehne mich kurz zurück, massiere meine Schläfen und lasse meinen Blick über die Dokumente wandern. Jedes Blatt trägt meine Handschrift, Gedanken, die ich in Eile oder mit Bedacht zu Papier gebracht habe. Doch jetzt ist die Zeit, sie zu überarbeiten, zu präzisieren.
Der Hausarbeit vor mir erfordert meine volle Konzentration. Ich lese den ersten Absatz erneut. Ein Fehler. Ein Gedanke, den ich damals nicht ganz zu Ende geführt habe. Ich greife zum Stift, korrigiere die Stelle und überlege mir eine bessere Formulierung.
Ein leises Seufzen entweicht mir. Es ist der dritte Bericht, den ich heute überarbeite, und ich spüre die Müdigkeit, die sich in mir ausbreitet. Doch gleichzeitig weiß ich, dass jede Änderung den Bericht verbessert. Es sind die Details, die den Unterschied ausmachen.
Ich frage mich, ob es überhaupt einen Unterschied macht – für Mona Black ist vermutlich sowieso nichts gut genug. Ein leiser Seufzer entweicht mir. Es ist der dritte Bericht, den ich heute überarbeite, und die Müdigkeit drückt auf meine Schultern. Doch ich weiß, dass ich keine Wahl habe.
Ich nehme einen Schluck von meinem inzwischen kalten Tee, richte mich wieder auf und gehe die nächsten Zahlen durch. Jede Zahl muss stimmen – hier darf es keine Ungenauigkeiten geben. Diese Hausarbeit ist essenziell und der kleinste Fehler könnte mich viel kosten. 
Ich habe eigentlich keine Lust mehr weiterzumachen, aber ich weiß, dass die Hausarbeit bis morgen fertig sein müssen. Mein Blick wandert zu den anderen Stapeln auf meinem Schreibtisch. Ein tiefes Durchatmen, dann tauche ich wieder ein in die Details und setze den Stift erneut an, nur um Stunden später in mein Bett zu Fallen.

Es fiel mir schwer, aus dem Bett zu kommen, und in der Vorlesung kämpfte ich ständig dagegen an, die Augen zu schließen. Nicht, weil der Stoff uninteressant war, sondern weil ich einfach viel zu müde war.
Jedes Mal, wenn der Dozent ein neues Thema ansprach, schien mein Kopf noch schwerer zu werden. Meine Augenlider fühlten sich an, als würden sie von kleinen Gewichten nach unten gezogen. Ich rutschte unruhig auf meinem Stuhl hin und her, in der Hoffnung, dass die Bewegung mich wachhalten würde, doch es half kaum.
Plötzlich zuckte ich zusammen, als mein Kopf nach vorne kippte. Peinlich berührt sah ich mich um, ob jemand meinen kurzen Aussetzer bemerkt hatte, aber außer Lisa scheint dies niemand mitbekommen zu haben, denn Lisa war die einzige die sich ein Lachen verkneifen musste.
Zum Glück war die Vorlesung bald vorbei. Ich sammelte meine Unterlagen zusammen und musste nur noch meine Hausarbeit abgeben, bevor ich endlich nach Hause konnte. Der Gedanke, mich endlich aufs Bett zu werfen, war fast zu schön, um wahr zu sein.
Doch auf dem Weg zum Ausgang blieb ich stehen. Monas Büro lag direkt am Flur und ich wusste, dass ich dort noch vorbeimüsste. Ich wollte sie nicht sehen, wirklich nicht, aber es gab keine andere Möglichkeit. Ich musste ihr die Papiere persönlich übergeben. Ein leises Seufzen entfuhr mir, als ich mich widerwillig zur Tür ihres Büros aufmachte. Meine Hand zögerte einen Moment vor der hölzernen Tür, bevor ich schließlich doch klopfte.
Kaum hatte ich geklopft, hörte ich von innen ihre raue Stimme: „Herein!“ Mein Herz setzte kurz aus. Warum hatte ich nicht einfach die Hausarbeit in ihr Fach gelegt? Es wäre so viel einfacher gewesen. Ich seufzte.
Langsam öffnete ich die Tür und trat ein. Mona saß an ihrem Schreibtisch, umgeben von Stapeln von Büchern und Papieren. Sie sah auf, als ich hereinkam.
Ihr Blick hatte mich sofort in seinen Bann gezogen und für einen Moment vergaß ich, wo ich war. Monas Augen waren scharf, durchdringend, als könnten sie jede Unsicherheit und Müdigkeit in mir lesen. Ich fühlte mich wie ein offenes Buch vor ihr, was mich nur noch nervöser machte.
„Was wollen Sie?“ Ihre Stimme klang genervt, als sie sich etwas zurücklehnte und ihre Arme verschränkte.
Ich räusperte mich, um Zeit zu gewinnen, doch meine Gedanken wirbelten durcheinander. „Ich… ich wollte nur die Hausarbeit abgeben,“ brachte ich schließlich hervor, obwohl das offensichtlich war. Was wollte ich hier wirklich? Warum fühlte es sich an, als wäre es mehr als nur die Abgabe von Papieren?
Mona musterte mich einen Moment länger, dann nickte sie knapp. „Gut. Dann können Sie jetzt gehen.“
Ihre Worte klangen endgültig, als gäbe es nichts weiter zu sagen. Aber irgendetwas in mir hielt mich davon ab, sofort umzudrehen und zu gehen. Ein Teil von mir wollte noch bleiben, irgendetwas klären, doch ich wusste nicht genau, was. Stattdessen stand ich nur stumm da, unfähig, mich zu bewegen, bis sie die Stille wieder durchbrach.
„Noch etwas?“ fragte sie, diesmal schärfer. Ihre Ungeduld war deutlich spürbar und ich fühlte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg.
Plötzlich durchzuckte mich ein scharfer Schmerz im Arm, der mich unwillkürlich zusammenfahren ließ. Die Verletzung, die ich normalerweise gut ignorieren konnte, meldete sich diesmal mit voller Wucht zurück, schmerzhaft und brennend. Ich biss die Zähne zusammen und presste meine Hand gegen den Arm, in der Hoffnung, den Schmerz zu lindern.
Mona, die mich noch immer beobachtete, ließ nichts entgehen. Ihr Blick verengte sich leicht und sie zog eine Augenbraue hoch. „Was war das gerade?“ fragte sie, ihre Stimme nun nicht mehr genervt, sondern fast neugierig.
„Nichts… nur ein Krampf,“ log ich, aber meine Stimme klang unsicher, kaum überzeugend. Ich konnte spüren, wie sie mich eingehend musterte, ihre Augen auf die Stelle gerichtet, an der meine Hand auf meinem Arm lag.
„Ein Krampf?“ wiederholte sie skeptisch, als wüsste sie bereits, dass das nicht die Wahrheit war. Sie stand auf und trat einen Schritt näher, ihre Präsenz plötzlich überwältigend. „Zeig mir deinen Arm Ella.“
„Es ist nichts, wirklich,“ versuchte ich abzuwinken, doch der Schmerz pochte weiter unter meiner Haut, und ich konnte die Anspannung nicht mehr verbergen.
Mona blieb hartnäckig. „Wenn es nichts ist, dann kannst du es mir ja zeigen.“ Ihre Stimme war ruhig, fast befehlend und sie machte keine Anstalten, mich einfach so gehen zu lassen. Es war klar, dass sie nicht locker lassen würde, bis sie eine Antwort bekam.
Widerwillig ließ ich die Hand sinken und enthüllte den Verband, der sich um meinen Unterarm wand. Mona war nur kurz still, bevor sie leise sagt, : ,,Mach das Verband ab.”
Ich zögerte, doch als ich den festen Ausdruck in ihren Augen sah, wusste ich, dass sie es ernst meinte. Langsam und widerwillig begann ich, den Verband zu lösen. Jeder einzelne Schritt schien länger zu dauern als nötig, und der Schmerz wurde erneut deutlicher, als der Verband sich von meiner Haut löste.
Als der Verband schließlich herunterhing, ließ Mona einen kurzen, scharfen Atemzug hören. „Das sieht entzündet aus,“ stellte sie fest, und ihre Stimme war nun durchzogen von Besorgnis. ,,Oh gott Ella, das sieht viel schlimmer aus als ich dachte.”
Es waren nicht viele Schnitte.
Mona schnaubte leise, dann wandte sie sich zu ihrem Schreibtisch, öffnete eine Schublade und zog eine kleine Erste-Hilfe-Box hervor. „Setz dich“ wies sie mich an, als sie wieder zu mir kam. „Ich werde mir das ansehen.“
Es war klar, dass sie nicht aufgeben würde, bis sie sicher war, dass es mir besser ging. Erleichtert, aber auch verlegen, setzte ich mich auf einen der Stühle und wartete, während Mona die notwendigen Utensilien vorbereitete.
Gerade als wir fertig waren, zog Mona ihre Handschuhe aus und warf sie zusammen mit den benutzten Materialien in den Mülleimer. Plötzlich klopfte es an der Tür, die sich sofort darauf öffnete.
„Hast du mal auf die Uhr geschaut? Wir warten schon seit—“ Die Person verstummte abrupt.
Ich drehte mich um und erstarrte, als ich Anna und eine mir unbekannte Frau erblickte. Anna war deutlich angespannt, ihre Miene verriet Besorgnis und Unruhe. Die fremde Frau an ihrer Seite war elegant gekleidet und wirkte gleichzeitig autoritär und besorgt. Ihre Augen suchten sofort den Raum ab, bis sie auf mich fielen.
„Oh, ich sehe, wir stören,“ sagte die fremde Frau, ihre Stimme verriet eine Spur von Überraschung. Sie verengte die Augen, als sie Mona ansah, die sich hastig aufrichtete und einen überraschten Ausdruck zeigte.
„Ich glaube nicht, dass wir hier stören,“ pfiff Anna leise, während sie Mona skeptisch musterte. Ob die fremde Frau Monas Frau war?
„Danke für deinen Bericht, Ella. Ich wünsche dir ein schönes Wochenende,“ wandte sich Mona an mich und ließ mich mit einem höflichen Lächeln stehen.
Ich nickte, noch etwas verwirrt von der ganzen Situation, und verließ den Raum. Draußen atmete ich tief durch, um die Anspannung loszuwerden. Der Flur war ruhig, und die vertrauten Geräusche des Campus klangen fast beruhigend.
Ich machte mich auf den Weg nach Hause.

Die Professorin- Das Machtspiel (Überareitete und neue Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt