Kapitel 12 - Whisky

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* Selbstverletzung, Thema Tod

Ich saß auf meinem Bett, neben mir eine halb leere Flasche Jack Daniels, deren Gewicht auf der Matratze eine leichte Delle hinterließ. Der süße, bittere Geruch des Whiskeys stieg mir in die Nase, während leise Musik aus den Lautsprechern im Hintergrund tönte, gerade so laut, dass sie den stillen Schmerz in meinem Kopf übertönte.

Die Melodien wirkten betäubend, als könnte ich damit die Gedanken in meinem Kopf bändigen. Ich versuchte verzweifelt, nicht daran zu denken, nicht an heute vor genau zwei Jahren, aber die Erinnerungen waren unerbittlich.

Langsam begannen die Bilder zurückzukehren, schwer und klar, als wäre alles erst gestern passiert. Es war der Tag, an dem meine Mutter aus dem Krankenhaus kam. Ich erinnere mich, wie ich damals auf ihrem Bett saß, meine Finger nervös an der Bettdecke spielten, während ich darauf wartete, dass sie durch die Tür trat. Ich wusste, dass etwas nicht stimmte, spürte es schon in der Luft, wie eine bevorstehende Kälte, die sich unaufhaltsam anschleicht.
Dann hörte ich das vertraute Geräusch des Schlüssels, wie er sich mit einem dumpfen Klicken im Schloss drehte. Ihre Schritte auf dem des Flurs waren anders an diesem Tag. Sie klangen schwer, schleppend, als würde sie jeden Schritt in den Boden pressen und in diesem Moment wusste ich es. Ohne dass sie ein Wort sagen musste, ohne dass sie ihren Mund öffnete, konnte ich es fühlen.

Ich stand auf, trat in den Flur und sah sie. Unsere Blicke trafen sich und in ihren Augen lag eine Schwere, die meine Befürchtungen bestätigte. Ihre Lippen bewegten sich, aber die Worte kamen nicht sofort. Sie holte tief Luft, als würde sie das Unausweichliche hinauszögern wollen, doch das Schweigen zwischen uns sagte mehr, als es Worte je gekonnt hätten. Ich schüttelte den Kopf, die Tränen stiegen mir in die Augen, brannten auf meiner Haut. Noch bevor sie sprach, wusste ich, was kommen würde.

„Papa ist eingeschlafen“, flüsterte sie schließlich, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch. Die Worte schnitten wie ein Messer durch die Stille und in diesem Moment fühlte ich, wie die Welt unter meinen Füßen zerriss.

Ich griff nach der Flasche, ihre kühle Oberfläche fühlte sich irgendwie Falsch an meinen Fingern an, doch der Drang, den brennenden Schmerz in meinem Inneren zu ersticken, war stärker. Mit einem leisen Klicken öffnete ich den Verschluss und setzte die Flasche an meine Lippen. Der Whiskey lief in einem heißen Schwall meine Kehle hinunter, brannte auf der Zunge, als wollte er die Emotionen, die sich in mir aufstauten, wegspülen. Aber das Brennen half nichts. Mit jedem weiteren Schluck schienen die Tränen schwerer zu werden, bahnten sich ihren Weg unaufhaltsam über meine Wangen, als könnte ich sie nicht länger zurückhalten.

In der Stille des Zimmers, nur unterbrochen vom Rauschen der Musik, schob sich unaufgefordert ein Bild vor mein inneres Auge. Mona. Ich konnte förmlich sehen, wie sie mir zulächelte. Dieses Lächeln, das in ihrem Kalt wirkenden Gesicht so fehl am Platz wirkte und sich dann langsam ausbreitete, bis es ihre Wangen berührte und mit einem mal dann doch so aussieht als gehörte es genau dahin. Dabei kamen die kleinen Fältchen um ihre Augen und Mund zum Vorschein, diese Lachfalten, die sie so echt, so lebendig wirken ließen. Sie sah dann einfach... unwiderstehlich aus. In solchen Momenten strahlte sie etwas aus, das mich jedes Mal aufs Neue fesselte.

Aber es dauerte nie lange, bis sich dieses Bild verzerrte. Noch bevor ich mich ganz in ihrer Wärme verlieren konnte, war sie weg und an ihrer Stelle tauchte das Monster auf. Es war, als würde sich hinter ihrem Lächeln etwas Dunkles verstecken, ein Schatten, den sie nur allzu gut beherrschte. In einem Moment war sie die Frau, die ich liebte, im nächsten jemand, den ich kaum kannte. Die Verwandlung war erschreckend. Ihre Augen, die eben noch vor Leben geleuchtet hatten, wurden kalt, hart, wie der kalte Stahl eines Messers. Es war, als hätte sie zwei Gesichter, und ich wusste nie, welches mir als Nächstes begegnen würde.

Bevor ich überhaupt richtig realisierte, wie oft ich die Flasche bereits an meine Lippen gesetzt hatte, war sie fast leer. Der Whiskey, der anfangs noch mit einem bitteren Brennen in meiner Kehle heruntergelaufen war, schmeckte mittlerweile wie Wasser – bedeutungslos und doch verführerisch. Schluck um Schluck hatte ich mir meine Gedanken betäubt, bis die Schärfe meiner Emotionen nur noch wie ein fernes Echo in meinem Kopf klang. Alles wurde dumpf, verschwommen, als würde ich durch eine dichte Nebelwand taumeln, unfähig, klar zu sehen oder zu denken.

Der Rausch überkam mich schneller, als ich es erwartet hatte. Plötzlich war da diese Leere in mir, als wäre ich aus meinem eigenen Körper hinausgetreten, losgelöst von allem, was um mich herum geschah. Die Geräusche der Musik im Hintergrund klangen gedämpft, fern, als wären sie aus einer anderen Welt. Alles um mich herum verschwamm zu einer bedeutungslosen Masse, und ich verlor das Gefühl für Zeit. Sekunden, Minuten, vielleicht Stunden vergingen, ohne dass ich sie wirklich wahrnahm. Es war, als hätte ich die Kontrolle über mich selbst verloren, als wäre ich nur noch ein passiver Beobachter in meinem eigenen Körper.

Verschwommen und wie durch einen Schleier nahm ich wahr, wie ich mich taumelnd aus dem Zimmer quälte. Jeder Schritt fühlte sich schwer und mühsam an, als ob ich gegen einen unsichtbaren Widerstand ankämpfte, der mich zurückhalten wollte. Doch ich zwang meinen Körper vorwärts, schleppte mich durch den Flur, bis ich schließlich die Tür zum Badezimmer erreichte. Meine Hand zitterte, als ich nach dem Türgriff griff und ihn herunterdrückte, die Tür öffnete sich mit einem leisen Knarzen.

Das grelle Licht des Badezimmers stach in meinen Augen, aber ich ignorierte es. Mein Blick war auf einen einzigen Punkt fixiert. Wie in Trance trat ich vor den Schrank, öffnete die Tür, in der alles so ordentlich und sauber verstaut war. Mit einer unnatürlichen Ruhe griff ich nach dem kleinen, sorgfältig gefalteten Taschentuch.

Meine Finger zitterten, als ich das Tuch entfaltete. Darin lag die Klinge – klein, unscheinbar und doch so scharf, dass allein der Anblick reichte, um die Luft in meinem Brustkorb schwer werden zu lassen. Das Metall glänzte im Licht, kalt und bedrohlich, und für einen Moment zögerte ich, starrte auf die schimmernde Kante, als ob ich hoffte, dass sie sich in Luft auflösen würde.

Doch die Leere in mir war zu groß, der Schmerz zu überwältigend. Ohne nachzudenken setzte ich die Klinge an. Die kalte, scharfe Spitze berührte meine Haut, hinterließ eine kühle Spur auf meinem Arm, und ich spürte, wie mein Atem flacher wurde.

Doch dann, ein plötzlicher Moment der Klarheit, kurz und erschreckend. Mein Gleichgewicht kippte und ich spürte, wie ich mich schwankend nach vorne neigte. Der Boden unter meinen Füßen schien sich zu verschieben und bevor ich wusste, wie mir geschah, verlor ich den Halt. Meine Beine gaben nach, als hätte jemand den Boden unter mir weggezogen.

Mit einem dumpfen Aufprall landete ich auf dem kalten, harten Boden. Ein schmerzhaftes Stechen durchfuhr meinen Körper, doch es war wie aus weiter Ferne. Alles in mir schien taub. Mein Kopf drehte sich und für einen Moment sah ich noch das fahle Licht des Raumes über mir flackern, bevor es vor meinen Augen schwarz wurde. Langsam, aber unaufhaltsam sank ich tiefer in die Dunkelheit, bis nichts mehr übrig blieb – keine Gedanken, keine Gefühle, nur tiefe, gnadenlose Stille.

Die Professorin- Das Machtspiel (Überareitete und neue Version)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt