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Mein Vater ist am nächsten Tag pünktlich. Der Sprinter samt Anhänger steht um Punkt neun Uhr vor meiner Haustüre. Becca und Nessi sind ebenfalls gekommen, um tragen zu helfen. Außerdem hat Becca noch ein paar Helfer organisiert, die sich ans Werk machen, kaum das mein Vater eingeparkt hat.

»Hallo Kleines,« begrüßt er mich und ich finde mich in seinen Armen wieder. Schon seit ich denken kann benutzt er dieses Aftershave und ein tiefes Gefühl von Geborgenheit breitet sich aus, als ich den Duft in meiner Nase rieche. Es riecht nach zuhause.

»Hi Paps. Wo hast du denn den Sprinter her ich dachte du kommst mit deinem Bulli«, erkundige ich mich danach, wo er den Wagen aufgetrieben hat, der mir gänzlich unbekannt war.

»Der gehört einem Kollegen, hab ihn leihen können, dafür hat er nun meinen Bulli, damit der auf die Arbeit kommt,« beantwortet er meine Frage.
»Hallo Wolfgang«, wird mein Vater von Becca und Nessi im Chor begrüßt und er grüßt ebenso freundlich und fröhlich zurück.

»Wer hat denn die Helfer organisiert?« Will mein Vater wissen und sieht den Männern nach, die nach und nach die Kisten und Möbelstücke in den Sprinter laden.
»Das war ich, ich dachte mir ein bisschen Unterstützung kann nicht schaden«, beantwortet Becca die Frage meines Vaters und strahlt bis über beide Ohren, ehe auch sie wieder mit anpackt.

Gemeinsam tragen wir nun Kiste für Kiste in den Sprinter, während mein Vater mit einem der anderen Helfer meine Möbel auseinandernimmt, die auf dem Anhänger ihren Platz finden. Es dauert gerade einmal zwei Stunden, da befinden sich elf Jahre meines Lebens auf einem Anhänger und in einem Sprinter. Und nun rückt auch unweigerlich der Abschied näher, den ich so lange es geht, hinauszögere. Ich putze und wische die Wohnung ein letztes Mal und dann erscheint der Vermieter in der Tür. Wir begehen einmal die Wohnung und er sieht sich alles an. Dann wünscht er mir alles Gute für die Zukunft und ich übergebe ihm schweren Herzens die Schlüssel. Ein letztes Mal laufe ich durch die leere Wohnung, in der nichts mehr an mich und das ich jemals da gewesen bin, erinnert. Ein Kapitel schließt sich, ein anderes öffnet sich und nun bin ich bereit es zu beginnen.

Ich tupfe mir ein paar Tränen aus dem Augenwinkel, als ich die Wohnung verlasse und das Haus durch das Treppenhaus verlasse.

Dort stehen Nessi und Becci, deren Blick bereits Bände spricht. Ich sehe Nessi, die ebenso emotional ist wie ich an, dass sie mit den Tränen kämpft. Wortlos schließe ich sie einfach in meine Arme und drücke sie an mich. Dann ist es auch schon um sie geschehen und sie schluchzt in meinen Armen auf. Manchmal reicht eine einfache Geste, um einen Menschen die Fassung verlieren zu lassen, und das war in dem Moment die Umarmung.

Auch mir kommen die Tränen, die wie Sturzbäche über meine Wangen rinnen. Mein Vater steht am Sprinter und beobachtet die Abschiedsszene, die sich gerade vor ihm abspielt.

Fast schon verlegen blickt er zu Boden, als hätte er etwas beobachtet, dass ihm unangenehm ist. Vielleicht aber ist es auch nur die Tatsache, dass ihm ebenso ein Abschied bevorsteht, wenn er mich erst nach Niederelgbach gebracht hat.

Becca steht wie angewurzelt da und auch sie ziehe ich in die Umarmung. Becca ist nicht der Typ, der schnell in Tränen ausbricht. Überhaupt wirkt sie oft so, als könne sie nichts erschüttern.

»Du meldest dich ja, ganz oft«, wird nun auch ihre Stimme brüchig und ich sehe sie über die Schulter von Nessi hinweg an.

»Natürlich, ich muss dir doch berichten, wie furchtbar es dort ist«, verspreche ich ihr, dass ich sie nicht vergessen werde.
»Melde dich sobald du angekommen bist!« Bittet mich nun auch Nessi und ich nicke.

Der Abschied fällt mir unsagbar schwer. Ich weiß noch, wie wir uns das erste Mal gesehen haben, wie unsicher und ängstlich wie drei wir waren. Jede von uns hatte so viele Hoffnungen und Erwartungen, wohlwissend das nicht alle erfüllt werden würden.
Wir haben so vieles durchgestanden von dem mein Vater nichts weiß. Herzschmerz, Lernstress, ein angeknackstes Nervenkostüm mit unfassbar vielen Tränen in Prüfungsphasen. Wir haben aufeinander aufgepasst und wann immer mich das Heimweh plagte, waren diese beiden Mädels meine Zuflucht gewesen. Wir waren Fremde, die zu Freunden wurden und mehr noch. Sie wurden zu meiner Familie und nur, weil ich nun Köln verlasse, heißt es nicht, dass sie in meinem Leben keine Rolle mehr spielen. Wir haben eine so intensive Zeit miteinander verbracht, die so voller Herausforderungen steckte, die uns hat wachsen lassen, da endet eine Freundschaft nicht, nur weil man den Wohnort wechselt.

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