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Der Montag kommt schneller, als mir lieb ist. Am Sonntagabend hat sich eine gewisse Grundnervosität bei mir breitgemacht. Natürlich habe ich während meines Studiums und auch während der Facharztweiterbildung in der Praxis viel gesehen und viel gelernt, doch nun werde ich auf eigenen Beinen stehen, eigene Entscheidungen treffen müssen und das ist doch ein Grund, nervös zu werden. Hinzu kommt, dass ich nicht weiß wie die Patienten auf mich reagieren werden und rechne auch mit einer gewissen Ablehnung.
In der Nacht selbst habe ich nur wenig Schlaf gefunden. Erst gegen morgen bin ich eingeschlafen, der Wecker zeigte zu diesem Zeitpunkt schon drei Uhr vierzig an. Nach nicht einmal vier Stunden Schlaf reißt mich ein monotones lautes Piepen aus dem Land der Träume.
Ich schwinge mich aus dem Bett und gehe ausgiebig duschen. Das warme Wasser tut gut und lenkt mich ein wenig von meiner Nervosität ab. An diesem Morgen bin ich sogar unsicher, ob ich wirklich eine Tasse Kaffee trinken soll. Mein Magen hält die Nervosität schon kaum aus, da muss er nicht noch unnötig von einer Tasse Kaffee gereizt werden. Unschlüssig stehe ich im Bademantel vor der Kaffeemaschine und starre sie in Grund und Boden.

Während meiner Studienzeit bin ich zu einem regelrechten Kaffeejunkie geworden, doch sobald Prüfungen näher rückten, tauschte ich den Kaffee mit Tee, um meinen Magen zu beruhigen.

An diesem morgen habe ich das Gefühl, dass mein Puls dauerhaft hoch ist und vermutlich ist es auch so, denn ich spüre förmlich, wie mein Herz in der Brust tanzt. Ich lasse es bleiben, kein Kaffee für mich. Die Stimme der Vernunft hat gesiegt. Seufzend trete ich den Weg zu meinem Schlafzimmer an und beginne mich anzuziehen. Ich entscheide mich für eine Jeans, ein schwarzes Top und eine weiße Bluse, die ich offen trage. Meine Haare binde ich zu einem Zopf zusammen, nachdem ich sie geföhnt habe.

Das wird schon werden, sei einfach weiterhin mutig, rede ich mir selbst gut zu und versuche fest an meine eigenen Worte zu glauben, die ich mir zurede.

Ich greife mein Handy und lese die Nachrichten, die dort angezeigt werden.

Paps[06:24]

Ich wünsche dir einen erfolgreichen Start als Landärztin in deiner neuen Wahlheimat. Wir denken an dich und drücken dich aus der Ferne. Paps und Mo

An diesem Morgen benötige ich nicht einmal ein Bild der beiden und mir schießen die Tränen in die Augen. Wenn ich nervös bin, dann werde ich nur noch emotionaler als ohnehin schon und gerade wünsche ich mir, mein Vater wäre hier bei mir. Er ist schon immer ein Optimist gewesen, bei dem das Glas immer halb voll ist anstatt halb leer. Eine Eigenschaft, die ich schon immer an ihm bewundert habe. Gerade hätte ich eine Portion von seinem Optimismus wirklich nötig, also wähle ich seine Nummer.
Er geht sofort dran.
»Guten Morgen Phie.«

Ich höre meinen Bruder im Hintergrund wie er unaufhörlich ‚Phie, Phie, Phie' sagt und muss lächeln. Ich stelle mir vor wie sie gerade am Frühstückstisch sitzen und mein Vater meinen Bruder für die Tagesbetreuung fertig macht.
»Hey Paps, hey Mo. Wie gehts dir ?« Will ich von Mo wissen, weil ich genau weiß, dass mein Vater den Lautsprecher angeschaltet hat.
»Mo gehts gut. Und Phie?«

»Mir gehts auch gut. Wirklich gut«, Sage ich, ohne mir selbst zu glauben, und muss mich sehr zusammenreißen, um nicht augenblicklich in Tränen auszubrechen.
Die Nervosität steigt ins unermessliche und ich fühle mich wieder, als stünde ich vor einer riesen Prüfung, die ich nicht bestehen kann.

»Was gibts Spatz?«

»Nichts besonderes, ich wollte dich und Mo einfach hören.«

Nun ist es passiert, die ersten Tränen kullern und ich schluchze unwillkürlich auf. Ich kann es einfach nicht unterdrücken.

»Oh Spatz, nicht weinen. Du schaffst das, du schaffst alles was du dir vornimmst, das war doch bisher immer so«, versucht mein Vater mir Mut zuzusprechen und es gelingt ihm recht gut. Mein Selbstvertrauen kehrt langsam aber sicher wieder zurück und meine Tränen trocknen.
»Genau das habe ich gerade gebraucht Paps«, Sage ich leise mit noch tränenerstickter Stimme.

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