Gähnende Leere. Genau die herrscht an diesem Morgen im Wartezimmer meiner Praxis in Niederelgbach. Nicht ein Patient ist an diesem Morgen gekommen. Normalerweise gibt es immer einen Witzbold, der sich wegen nichts krankschreiben lassen möchte, aber nicht mal ein solcher beehrt mich mit seiner Anwesenheit und seiner Krankengeschichte.
Ich verlasse meinen Schreibtisch und lehne im Türrahmen zum Flur, in dem sich die Anmeldung befindet.
»Ist jetzt jemand da?« Möchte ich wissen, in der Hoffnung, dass sich endlich ein Patient in meine Praxis verirrt hat.
»Nein, niemand«, gibt Patrizia zurück und ich seufze. Ich muss dem Drang des online Shoppings widerstehen, denn genau dazu werde ich immer dann verleitet, wenn ich Langweile habe, aber noch genug Erspartes übrig ist.
Ich schnaube leise und blicke mein Handy abwertend an, als wäre es eine Portion Atommüll, dann kann ich aber dem Drang nicht widerstehen und surfe durch den Onlineshop, der wohl jedem bekannt ist und zügig liefert. Ich frage mich, ob er auch in diese Region so schnell liefert, und beschließe, erst einmal meine Adresse zu ändern. Wehmütig betrachte ich meine alte Anschrift in Köln, dann lösche ich sie und ersetze diese durch meine neue Anschrift, unter der nun die Pakete und Päckchen zugestellt werden können.
Zufrieden drücke ich auf speichern und stelle fest, dass sich die Schnelligkeit der Zustellung von ‚Same Day' auf ‚morgen' ändert. Tja, dieser Vorteil der Großstadt ist wohl dahin und nun muss ich eben wie jeder andere, auf meine Lieferung mindestens einen Tag warten. Das Einzige worauf ich nicht warten muss, ist die Buchlieferung auf meinen E-Book Reader, der ebenfalls seinen Platz auf meinen Schreibtisch gefunden hat.Ich beschließe, im online Shop nach neuem Lesestoff zu suchen, und werde auch direkt fündig. Drama. So heißt die Kategorie in der ich hängen bleibe und genau wie diese Kategorie empfinde ich den Morgen und meinen Einstieg in diese Praxis. Es ist ein Drama.
Mein Blick wandert zur Uhr im oberen mittleren Rand des Readers und ich stelle fest, dass gerade einmal neun Uhr ist.
Die Praxis hat seit einer Stunde geöffnet und nicht ein Patient ist bisher gekommen, um sich behandeln zu lassen.
Ich betrachte die Top Ten der Bücher und kaufe sie einfach alle, denn wenn es so weiter geht, brauche ich einiges an Lesestoff, um die Tage und damit verbundene Zeit totzuschlagen.
Ich öffne das erste Buch und beginne zu lesen. Langweilig- komme ich zu dem Urteil und öffne das nächste Buch. Langweilig.Vielleicht, so komme ich zu dem Schluss, liegt es nicht einmal an dem Buch, dass es langweilig ist, sondern die Tatsache, dass ich hier in meiner Praxis sitze, nichts zu tun habe und frustriert die Zeit absitze, die sich Arbeitszeit nennt.
Ich erhebe mich von meinem Schreibtischsessel und schlurfe in die Küche der Praxis, die gleichzeitig als Aufenthaltsraum dient. Dort steht eine in die Jahre gekommene Kaffeemaschine, an der ich mich schon den ganzen Morgen bediene. Genau genommen bediene ich mich seit einer Stunde an dieser und nun spüre ich nur noch mehr Frust darüber, wie schleppend die Zeit vergeht.
»Sag mal, war des jetzt dein achter Kaffee?« Kommentiert Patrizia, wie ich mit meiner Kaffeetasse aus der Küche trete. Sie selbst scheint einiges zu tun zu haben, denn ihre Finger fliegen geschäftig über die Tastatur.
»Der neunte«, maule ich frustriert und ertränke jedes weitere Wort in einem großen Schluck Kaffee, der mich zusammen zucken lässt. Zunge verbrannt. Ich muss aufpassen, dass ich den Kaffee nicht ausspucke und beschließe mich, würdevoll in mein Behandlungszimmer zurückzuziehen.Ich stelle die Tasse ab und lasse mich wieder in den Sessel krachen und öffne das nächste Buch. Langweilig. Noch langweiliger als das davor. Ich schließe seufzend den E-Book Reader und drehe mich mit dem Sessel im Kreis bis mir schwindelig wird. Das geht zu meiner Überraschung recht schnell und ich schiebe es auf mein stolzes Alter von 29.

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Stadt Land Liebe
RomantizmUm ihr Medizinstudium zu finanzieren, hat sich Sophie als Landärztin verpflichtet. Als es an der Zeit, ihren Teil des Vertrages zu erfüllen, verschlägt es sie von Köln in das kleine verschlafene Städtchen Niederelgbach im Allgäu. Inmitten dieser tra...