#33 Majoli Petit

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Genau drei Monate sind vergangen.
Genau vor drei Monaten hat meine Pflegedienstleitung mich gebeten, in dem Krankenhaus, das im anderen Bezirk liegt, auszuhelfen.
Wie lange ich noch hier bleiben muss, konnte sie mir nicht sagen.
Und warum ausgerechnet ich dorthin sollte, konnte sie mir auch nicht begründen.
"Du bist die Jüngste und Flexibelste" war für mich keine Begründung.

Seitdem habe ich nichts mehr von Matylda gehört.

Die letzte Nachricht von ihr war:

"Sieh das als Chance, dich weiterzuentwickeln, Kleines.
Es wird auch das Beste für uns sein.
Wir können beide von vorne anfangen.
In letzter Zeit habe ich vieles getan, was ich nicht mehr wiederholen möchte.
Tu mir bitte den Gefallen und lass mich erst mal alleine mit meinen Gedanken.
Dennoch wünsche ich dir einen schönen Start im anderen Krankenhaus.
Pass auf dich auf.
Tu nichts Falsches, was du später bereust.
Und bestell ganz liebe Grüße an Agnes, sie wird dich bestimmt bei der Einarbeitung unterstützen.
Bis bald!"

Agnes hatte mich vor drei Monaten eingearbeitet. Sie war eine ehemalige Kollegin von Matylda.
Sie war jedoch das Gegenteil von Matylda.
Sie war nämlich die Sonne der Station.

Jeden verdammten Tag kämpfte ich damit, Matylda nicht anzuschreiben oder ihr einen Besuch abzustatten.

Wie konnte sie sich nach all dem, was passiert ist, gar nicht bei mir melden?
Das hinterließ ein verletztes Herz in mir.

...

Mein Nachtdienst mit Agnes hatte begonnen.
Ich musste wieder funktionieren und Matylda in eine Gedankenschublade packen.

"Naa, Kochanie, alles gut?" begrüßte mich Agnes nach der Übergabe.

"Jaja, alles klar, Agnes. Und bei dir?" fragte ich zurück.

"Besser könnte es gar nicht sein.
Aber so richtig zufrieden bist du hier immer noch nicht, oder?" fragte mich Agnes erneut.

Die Arbeit war dieselbe, aber Matylda fehlte mir.

An freien Tagen musste ich mich mit Alkohol betäuben.
Ich blieb bewusst zu Hause, wenn ich getrunken hatte, um bloß nicht wieder bei Matylda zu landen.
Und das Handy legte ich aus meiner Sichtweite.

"Doch... Es ist schön hier, mal was anderes, aber um ehrlich zu sein, fehlt mir trotzdem meine alte Station..." gab ich mit gesenktem Blick zu.

"Ooo, Kochanie, du fehlst auch auf deiner Station. Warte mal ab, wir kriegen bald neue Fachkräfte..." sagte die blonde polnische Frau mit einem Lächeln auf den Lippen.

"Naja, ob ich meiner Station wirklich fehle... Das weiß ich nicht..." schaute ich skeptisch zu Agnes.

"Ich weiß das! Matylda hat mir vieles erzählt. Natürlich vieles Gutes." bestätigte Agnes ihre Aussage.

Matylda...
Ich hatte das Gefühl, kurz aufgehört zu atmen.
Seit drei verdammten Monaten habe ich nichts von dieser Frau gehört.

"Matylda? Hast du mit ihr gesprochen?" fragte ich Agnes aufdringlich und versuchte, meine Nervosität zu verbergen.

Agnes hob eine Augenbraue an: "Ja, wir telefonieren regelmäßig, seitdem du hier bist. Wir haben uns dadurch auch mal wieder treffen können.
Sie fragt bei jedem Telefonat nach dir...
Du bist ihr anscheinend ans Herz gewachsen, Majoli..." sagte sie in sanfter Stimmlage.

Matylda fragt nach mir.
Sie hat mich also doch nicht vergessen.
Ich konnte mein Grinsen gar nicht unterdrücken.

"Das ist aber nett von Matylda..." sagte ich, leicht errötend.

"Matylda wirkt immer kalt und unerreichbar, aber wenn sie jemanden ins Herz schließt, dann richtig, Kochanie." fügte Agnes hinzu.

Ich konnte gar nicht mehr ruhig sitzen.
Die ganze Sehnsucht überkam mich.
Mein Gesichtsausdruck muss Bände gesprochen haben.

Agnes legte ihre warme Hand auf meinen Arm: "Oder was verbindet euch zwei sonst?" fragte sie mich sanft.

Ich musste vermehrt blinzeln, um bloß keine Träne zu verlieren.
"Uns verbindet... ähm... die Arbeit..." sagte ich, ohne Agnes in die Augen zu schauen.
Meine Stimme war mittlerweile belegt.

"Aha... Ich dachte, ich bilde mir das bei Matylda ein, dass sie anders auf dich und deinen Namen reagiert, aber du reagierst fast genauso...
Ich bin mir mittlerweile nicht mehr sicher, ob euch wirklich nur die Arbeit verbindet... Aber anscheinend seid ihr beide noch nicht bereit, es zu akzeptieren und darüber zu sprechen." stellte Agnes fest.
Sie nahm ihre Hand von meinem Arm, und ich musste über das Gesagte nachdenken.

Machte Matylda sich einfach nur Vorwürfe, weil ich wegen ihr nur noch ein Wrack war, oder steckt mehr dahinter?

"Ich hole mal eben mein Handy aus der Umkleide," kündigte Agnes an und verließ das Dienstzimmer.

Ich konnte endlich durchatmen.

Was steckt wirklich hinter Matylda?
Ich hatte sie so vermisst.
Mittlerweile hatte ich das Gefühl, dass ich nicht abhängig von Substanzen, sondern abhängig von Matylda bin.
Ich war im kalten Entzug.

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