#54 Matylda Novak

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Ich konnte es nicht länger leugnen und weglaufen war keine Option mehr. All die Jahre habe ich mich für andere geopfert, habe gegeben und nie wirklich etwas zurückbekommen. Doch nichts, was ich je erlebt habe, kommt dem Gefühl nahe, das ich bei Majoli empfinde. Endlich habe ich es geschafft, ihr zu erklären, warum ich noch an Piotr hänge, ein Kapitel, das ich lange nicht aufschlagen wollte.

Kurz nachdem ich mich wieder gefangen hatte, vibrierte mein Handy. Eine Nachricht von Piotr.

„Hallo mein Schatz,
ich habe hier leider kaum Empfang. Ich muss dir mitteilen, dass wir auch ein paar geschäftliche Dinge zu erledigen haben. Thomas hat ja keine Ahnung von Immobilien. Wenn alles gut läuft, bin ich in zwei Tagen zurück. Ich liebe dich, bis bald, mein Herz."

Ich starrte auf das Display, schnaubte und warf das Handy auf die Couch. Ach, seine Lügen kann er jemand anderem erzählen. Früher war er noch vorsichtiger, versuchte, nichts durchsickern zu lassen. Aber inzwischen? Er scheint entweder zu glauben, ich sei naiv, oder es ist ihm schlicht egal. Ich weiß nicht genau, was dahintersteckt.

Langsam wurde es Zeit, nach Hause zu gehen. Die Kinder wussten nicht genau, wo ich stecke, und so sehr ich auch bleiben wollte, es ging nicht.

„Majoli, ich sollte jetzt wirklich los.“

Majoli sah mich traurig an, fast wie ein Welpe, den man im Regen stehen lässt. „Kannst du nicht noch ein bisschen bleiben?“

„Ach, gerne“, gestand ich, „aber Piotr ist nicht da, und er kommt erst in ein paar Tagen zurück. Ich kann die Kinder nicht denken lassen, dass sie jetzt machen können, was sie wollen.“

„Wir wiederholen so einen Tag aber, oder?“ fragte Majoli hoffnungsvoll.

„Natürlich“, antwortete ich und zog mir schnell meine Jacke über. Ich schnappte meine Sachen, aber bevor ich weiter aus der Tür gehen konnte, hielt sie meine Hand fest und zog mich zurück.

Sie grinste schelmisch. „Jetzt darf ich ja.“ Sie beugte sich zu mir und gab mir einen Kuss, der schnell intensiver wurde, als wir beide geplant hatten. Doch bevor wir uns komplett verlieren konnten, fiel die Wohnungstür ihrer Nachbarin ins Schloss. Majolis ältere Nachbarin kam mit ihrem Dackel raus.

Oh Gott. Öffentlich. Noch dazu mit einer Frau. Mir wurde heiß, als die Dame mich musterte.

„Guten Tag“, grüßte sie freundlich.

„Guten Tag“, erwiderte Majoli lässig.

„Oh, ich habe mein Handy vergessen“, rief die Nachbarin plötzlich. „So unaufmerksam von mir. In solchen Momenten merke ich, dass meine Seele viel jünger ist als mein biologisches Alter.“ Sie lachte und verschwand wieder in ihrer Wohnung.

Als sie weg war, fuhr Majoli sanft mit ihrer Hand über mein Gesicht. „Das muss dir nicht peinlich sein“, lächelte sie. „Die Dame hat ihren alten Nachbarn mal mehrmals mit seiner Sexpuppe im Auto erwischt und sie hat nie ein Wort darüber verloren.“

Ich musste lachen. „Ich muss jetzt aber wirklich los“, sagte ich schließlich.

„Bis bald, Matylda. Ich liebe dich“, sagte sie leise.

Es fühlte sich neu an, aber es war wunderschön. „Ich dich auch“, murmelte ich.

Majoli hob eine Augenbraue, und ich korrigierte mich sofort: „Ich liebe dich auch, Majoli.“ Eine leichte Röte stieg mir ins Gesicht. Wann hatte ich das letzte Mal „Ich liebe dich“ gesagt und es wirklich gespürt? Außer meinen Kindern gegenüber, daran konnte ich mich nicht erinnern.

Langsam ging ich die Treppen hinunter, als ich hörte, wie die Nachbarin wieder herauskam und mit Majoli sprach.

„Majoli, ich muss dir ein Kompliment machen , du hast eine wirklich schöne Frau an deiner Seite. Und du strahlst endlich wieder.“

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