Kapitel 29

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Der Farbstrudel in den roten Augen des Vampires verblasste und schien sich in die Tiefen seiner Pupillen zurückzubewegen. Langsam drehte er sich um und blickte seinen Anführer ehrfürchtig an. Er ließ mein Handgelenk sofort los und ich spürte wie angenehm kühles Blut wieder durch meine Hand floss. Auch den Arm um des Genick von Claire zog er zurück und schlich dann zur Menge zurück, die sich ein wenig von dem Geschehen wegbewegt hatte. "Ich bin töricht. Im Grunde will ich das alles hier nicht. Ich wurde dazu erzogen, Descions zu hassen, wobei vermutlich nicht einmal meinen Eltern etwas daran lag, Streit oder Krieg zu führen. Ein Leben ohne all das, ohne den Hass und die Düsterheit, wäre... wunderbar. Ich will niemanden sterben sehen. Ich will nicht Schuld sein an so vielen Morden. Mit sicherheit stehen dir noch viele Fragen offen. Zum Beispiel: Wie haben wir Claire gefangen nehmen können? Nun, ich persönlich bin in ihren Geist eingedrungen und habe sie in ein Gebäude gelockt, das nahe unseres Sitzes war. Wie du vielleicht vermutet hast, brauchten wir kein magisches Artefakt, das mir dabei half. Das ist eine Gabe, die wir meistens einsetzen, wenn wir Opfer verfolgen, um ihre Pläne vorhersehen zu können. Nun, ich habe diese ursprüngluche Nutzungsform ein wenig... entfremdet. So erzählte ich ihr, ich wolle ihr helfen und sie solle mit dir zu dem Gebäude kommen. Doch sie hegte misstrauen und ließ dich zurück, so dass es zur Not noch einen gab, der die Prophezeiung erfüllen konnte. Das war unser Pech. In dem besagten Gebäude überwältigte sie ein Verbündeter und brachte sie hierher. Nun aber hatten wir ein Problem. Du warst immer noch auf freiem Fuß und konntest uns gefährlich werden. Also nahmen wir die Ältesten in gefangenschaft und sie erschufen höchst widerwillig die schwarz Leere. Sie sollten sich jedoch noch einmal bei dir melden, um dir klar zu machen, du hättest sie enttäuscht, und den Grund zu klären, warum sie sich nicht mehr melden würden. Doch so wussten sie, in welcher Situation du dich befandest und gemeinsam erschufen sie den Ausgang und schickten dir einen zehn-Dollar Schein. Der Ausgang sollte dich in eine Stadt führen, die dir klar machen sollte, was die Gefahr war. Als wir entdeckten, was sie getan hatten, schirmten wir sie vollkommen von dir ab. Genauso wie Claire, die im Traum Kontakt zu dir aufnehmen konnte, da sie die Leere direkt neben unserem Sitz befand, wo sie gefangen war. Von da an nahmen wir keine Rücksicht auf Verluste, wir produzierten neue unserer Art, um eine Armee aufzubauen, wir ließen sich beschatten, zum Beispiel der Vampir, den du sahest kurz nachdem du nach Bridgeville kamst. Das mussten wir aufgeben, da wir uns auf andere Dinge konzentrieren mussten. Deshalb sahst du nach einer Zeit auch keine roten Augen mehr. Wir hetzten die Steinmenschen, Kreaturen, die wir einst erschufen, auf dich und schmiedeten wie besessen Pläne. Aber es hilft nichts. Wir sind und bleiben Monster, werden gezwungen sein, zu töten und daran ist nicht zu rütteln."
Schweigend hatten Claire und ich zugehört. Endlich ergab alles einen Sinn. Gedankenverloren rieb ich mein Handgelenk und ich wusste auch dass Claire hinter mir grübelte. Ein paar mal holte sie Luft, als wollte sie etwas sagen, bevor sie es aussprach: "Das stimmt nicht. Es gibt immer einen Weg. Wenn es auch schwer sein mag, versucht euch von Tieren zu ernähren. Vielleicht auch von Verletzten. Mit der Zeit lässt euer Trieb nach, da bin ich mir sicher. Wenn beide Parteien es wollen, und ich versichere ihnen, das wollen beide, dann können wir zusammenleben. Die Magie der Descions kann genutzt werden, um euch vor der Sonne zu schützen, oder Linderungen für euren Blutdurst zu schaffen. Wir müssen es versuchen. Es ist der einzig richtige Weg!" Sie war während des Redens ein Stück vorgegangen, sodass sie nun neben mir stand. Der Vampiranführer sah sie nur an, ohne ein einziges Wort von sich zu geben. Claire starrte zurück, ohne sich auch nur im geringsten von seinem Blick einschüchtern zu lassen. Ihre Aura bekam etwas kaltes, und ich schauderte unwillkürlich. Doch dennoch sagte der Vampir: "Ich weiß nicht so recht..."
Die Worte "nicht wissen" schienen etwas in meinem Gehirn auszulösen. Plötzlich musste ich an Mary denken, und dass sie trotz ihrer unerschütterlichen Autorität mit einer ihrer Vermutungen falsch gelegen hatte. Die Vampire hatten keine "Quelle der Magie" oder etwa derartiges entdeckt. Es waren schlichtweg die Ältesten gewesen. Sonst nichts. So schlicht und ergreifend und doch so leicht zu übersehen. Die Gefühle überwältigten mich und ohne jede Kontrolle meinerseits rollte eine einzelne, heiße Träne langsam meine Wange hinunter, als ich im Geiste die Spiegelungen des Messers in Mary's Rücken sah. Ich drückte meine Hand gegen meinen Mund um ein lautes Schluchzen zu ersticken, das sich ankündigte. Die Trauer nahm zu, und ich schien in ein Loch zu fallen, und sie wurde immer stärker.
Trotzdem trat ich entschlossen ein paar Schritte vor und ergriff das Wort.
"Niemand kann irgendwo sicher liegen. Keiner von uns, einfach niemand hier. Das hat mir der Tod einer Person gezeigt, die mir die letzte Zeit sehr nahestand und mit durch meine schicksalhafte Hölle geholfen hatte. Man kann nicht sicher sein. Jede Entscheidung, die man fällt, und das tun wir unbewusst jede Sekunde, bringt ein Risiko mit sich. Manch eines gravierender, das andere weniger. Trotzdem müssen wir in unserem Leben entscheiden, darum führt kein Weg. So liegt es jetzt auch an Ihnen, ihre Entscheidung zu treffen, die sie für Richtig halten. Das können und dürfen wir nicht beeinflussen, aber wie können ihnen wärmsten ans Herz legen, dass wir alles versuchen würden, euer derzeitiges Leben zu verbessern." Ich konnte nicht mehr weiterreden, s ein heftiger Schlichter mich erfasste, und Claire einen Arm um noch legte. Der Schmerz ging von meinem Harz aus und legte sich über meinen ganzen Körper. Und ich konnte nichts tun, um ihn zu betäuben.
Die Miene des Vampirs veränderte sich kaum merklich und bekam etwas nachdenklich und zugleich verletzliche, was garnicht zu seinem Aussehen passte. "Natürlich. Natürlich nehme ich dieses Angebot an. Ich erkläre hiermit den Frieden zwischen den Descions und den Vampiren." Im exakt selben Moment erscholl draußen ein Jagdhorn und lautes Getrampel und Geschrei ertönte.


Engelstöchter beißt man nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt