Kapitel 36

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Wenn etwas passiert, das alles verändern wird, dann weiß man es in der Sekunde, in der es geschieht.

Man muss es nicht einmal genau beschreiben können.

Man weiß es einfach.

Ein Blick, ein Wort, eine Berührung.

Und alles ist anders.

Wir standen mit weißen Gesichtern und halb angehaltenem Atem vor der großen Glasscheibe.

Mir war schlecht und das einzig Warme an mir war Harrys Hand in meiner.

Wir hatten die gesamte letzte Nacht geredet. Ich hatte ihm alles erzählt, was er verpasst hatte, sowie alles, was mich bewogen hatte, das zu tun, was ich getan hatte.

Und er hatte mir – so schlimm das für mich auch war – von der Zeit erzählt, nachdem ich gegangen war.

Wir hatten viel geweint und uns dann darauf geeinigt, sofort ins Auto zu steigen und ins Krankenhaus zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt war es sechs Uhr morgens gewesen.

Und jetzt, um sieben Uhr standen wir vor der Neugeborenenstation und wussten nicht, wohin mit all unseren Gefühlen.

„Ich kann das nicht.", flüsterte Harry plötzlich neben mir. Seine Hand ließ meine los und er fuhr sich mit beiden Händen über das Gesicht.

Ich schluckte schwer und versuchte, den Stich in meinem Herzen zu ignorieren.

„Ich kann das einfach nicht.", sagte er erneut.

Ich sah auf den Boden. Was sollte ich dazu sagen?

Gab es eine richtige Antwort auf diese Aussage?

Mit einem tiefen Seufzer schluckte ich all meine Ängste herunter und drückte seine Hand, während ich ihm in die Augen sah.

„Harry, du bist der stärkste Mensch, den ich kenne. Du überlebst tagtäglich alles, was mit deinem Job zu tun hat, ob es physisch oder psychisch belastend ist. Du hast eine Hochzeit mit der falschen Frau überlebt...", zählte ich auf.

„Ja, aber nur, weil du mich gerettet hast.", unterbrach er.

Ich lächelte, hob meine Hand und ließ meine Fingerspitzen seine Wange berühren.

Jetzt oder nie. Trau dich, verdammt nochmal, schrie mein Gehirn mir mit aller Macht zu und tatsächlich funktionierte es. Ich holte tief Luft und sagte tatsächlich genau das, was mein Herz sagen wollte.

„Ich habe dir damals gesagt, dass ich dich liebe. Und Harry, das tue ich noch. Ich liebe dich. Und ich weiß, dass du das hier schaffen wirst. Egal, ob mit oder ohne irgendjemanden. Du wirst es schaffen. Da drinnen liegt deine Tochter und kämpft jeden Tag genauso um ihr Leben wie du." Ich stockte kurz und sprach dann etwas leiser weiter. „Ihr habt schon jetzt mehr gemeinsam, als ich und sie, also bitte hör auf, dir Vorwürfe zu machen, dass du die ersten paar Monate ihres Lebens verpasst hast. Du wirst noch viele Jahre in ihrem Leben sein, es kommt nicht auf so eine kurze Zeitspanne an." Ich schloss meinen Mund wieder und versuchte in seinem Gesicht zu ergründen, was er dachte.

Er sah erstaunt aus.

„Woher wusstest du, dass ich mir vorwerfe, den ersten Teil ihres Lebens verpasst zu haben?", fragte er verwundert.

Ich lächelte und ein warmes Gefühl machte sich in mir breit.

„Ich kenne dich. Ich weiß, was für ein verdammt guter Mensch du bist. Was sonst solltest du dir vorwerfen?", antwortete ich.

Seine Miene wurde ernst.

„Zum Beispiel, dass du alles alleine durchmachen musstest, um meine vermeintlichen Träume nicht in Gefahr zu bringen.", sagte er leise.

Love The One You're With (Book 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt