Kapitel 5

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FÜR ALLE, DIE AUCH IMMER IN DIE FALSCHEN VERLIEBT SIND.
Glaubt mir, ich esse ebenfalls zu viel Schokolade.
xx
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Ich sah Harry stumm an, versuchte herauszufinden, ob er diese Geschichte wirklich hören wollte, oder ob es ihn nur interessierte, ob da noch Gefühle für Jeremy waren.
„Erzähl.“, bat er mich. Ich hörte seine Aufrichtigkeit und in dem Moment war ich mir sicher, dass er es verdiente, diese Geschichte zu hören.
„Aber nicht hier.“, nickte ich, nahm seine Hand und zog ihn zu einem nahe gelegenen Café.
Wir setzten uns in eine Ecke, die man von den anderen Tischen aus kaum sehen konnte.
„Was kann ich Ihnen bringen?“, fragte eine übereifrig wirkende Kellnerin und notierte sich Harrys Kaffee und meinen Tee.
„Ich glaube, das alles fing in der achten Klasse an. Ich lief in der Pause an Jeremy vorbei und hatte ihn bis dahin noch nie zuvor gesehen. Zumindest glaubte ich das. Später fiel mir ein, dass eine Freundin von mir einmal von ihm geschwärmt hatte und ich damals nicht so begeistert war. Jedenfalls lief ich an ihm vorbei und er sah mich nicht einmal. Und doch. Ich verlor mich augenblicklich in seinem Anblick. Er hatte dieses schüchterne und doch selbstsichere Auftreten und ich war fasziniert. Den ganzen restlichen Tag dachte ich über ihn nach und am nächsten Tag hielt ich nach ihm Ausschau. Ich krallte mir meine beste Freundin und lief im Kreis über den Schulhof. Schließlich entdeckten wir ihn, als er direkt an uns vorbei lief. Seine Augen waren so unglaublich braun, dass ich quasi dahin schmolz. Er sah mich kurz an, wandte sich dann jedoch seinen zahlreichen Freunden zu und lachte aus vollem Hals. Bis zu diesem Tag hatte ich nicht an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Und ich hätte nie gedacht, dass der Mythos mit den weichen Knien wahr wäre. Doch es stimmte. Es stimmte alles. Alles, was man über Liebe erzählt, das alles ist wahr.“, erzählte ich.
Die Kellnerin kam mit einem breiten Lächeln und unserer Bestellung. Sie brauchte quälend lange, bis sie wieder ging. Die ganze Zeit über warf sie Harry strahlende Blicke zu, doch seine volle Aufmerksamkeit lag auf mir und in dem Moment war ich einfach nur unglaublich froh, dass er mit mir zusammen war.
„Erzähl weiter.“, ermunterte er mich, als sie endlich weg war. Ich hörte an seiner Stimme, dass es ihn ein wenig traf, wie ich über Jeremy und Liebe sprach. Und ich konnte ihn verstehen. Er war mein Freund. Er wünschte sich vermutlich, dass ich all das durch ihn erfuhr und nicht durch jemand anderen.
Ich zögerte kurz, doch dann fuhr ich fort.
„Ich war total in ihn verliebt. Fast drei Jahre lang. Ich war eines dieser Girlies, die alle um sich herum fragen, ob sie gut aussehen, wenn er vorbeikommt und die sich in jeder freien Minute Lipgloss auf die Lippen schmieren.“, machte ich weiter.
Harry sah mich überrascht an.
„Schwer vorstellbar.“, sagte er mit einem kleinen Lachen. Ich nickte zustimmend.
„Ich lernte seine Gesichtsausdrücke auswendig. Das hört sich komisch an, aber ich analysierte, wie es ihm ging. Um ihn tatsächlich anzusprechen, dafür war ich viel zu schüchtern. Ich liebte sein Lächeln und ich sog alle Informationen über ihn auf wie ein Schwamm. Ich war praktisch seine persönliche Stalkerin, die nicht wirklich eine Stalkerin war, sondern nur ein verknalltes Mädchen. Meine beste Freundin musste all diese Informationen ertragen, denn sie war es, die ich damit voll plapperte, was ich wieder alles herausgefunden hatte. Je mehr auch sie ihn beobachtete, um herauszufinden, ob er vielleicht auch so etwas wie eine ins Geheime Zuneigung für mich hegte, desto mehr spürte ich, wie sie sich auch in ihn verliebte. Sie gab es nie zu und doch merkte ich es.“ Ich nahm einen Schluck aus meiner Tasse und vermied es, Harry anzusehen. „Ich wusste, es würde irgendwann herauskommen. Die Dinge, die ich über ihn erfuhr, waren immer seltener positiv. Stattdessen bekam er über die drei Jahre hinweg ein so großes Selbstvertrauen, dass er fast schon selbstverliebt war. Ich war nicht im Mindesten die Einzige, die in ihn verliebt war. Eine ganze Horde Mädchen lief ihm hinterher. Und ich immer am Ende im Schatten. So kam es mir zumindest vor. Meine beste Freundin erzählte ihrer großen Schwester, dass ich in ihn verliebt war und ihre große Schwester lief zu Jeremys großer Schwester und erzählte es ihr. Natürlich behielt sie es nicht für sich. Stattdessen erzählte sie es ihm und vermutlich lachten sie darüber. Und von einem Tag auf den anderen war mein Leben komplett anders. Auf einmal konnte ich nicht mehr endlos vor der Klasse stehen und darauf warten, dass er vorbeilief. Auf einmal war ich die Lachnummer der Pause. Auf einmal war es mir peinlich, irgendwohin zu gehen. Wo ich hinging, wurde angefangen zu tuscheln über die Kleine aus der neunten Klasse, die schon so lange in den coolsten Typen aus der Oberstufe verknallt war. Ich kam mir so dumm und winzig vor.“
Ich sah nachdenklich aus dem Fenster und spürte Harrys blick auf mir.
Er kostete mich viel Kraft, doch ich unterdrückte den Drang, ihn anzusehen.
„Ich weiß nicht, ob er das so groß beabsichtigte, aber seine gesamte Horde an Verehrerinnen begann so über mich zu lästern, dass ich es auch ja mitbekam. Ich fühlte mich einsam und alleine und meine Freunde begannen, sich von mir abzuwenden. Sie sagten, ich solle aufhören, in ihn verliebt zu sein oder sie wollten nicht länger mit mir befreundet sein. Also verringerte die Zahl meiner Freundinnen sich auf die Kleinstzahl. Ich wollte nicht jemanden als Freundin, der mir verbot, in wen ich verliebt war. Und so wurde ich langsam immer mehr zum Einzelgänger. Ich hatte niemanden mehr, mit dem ich über Jeremy reden konnte und ich hatte kaum jemanden, mit dem ich überhaupt reden wollte. Also konzentrierte ich mich auf andere Dinge. Fußballtraining, Schule und Musik. Daraus bestand mein Nachmittag. Ich versuchte, Jeremy zu vergessen, ihn aus meinem Kopf zu bekommen, aber es ging einfach nicht. Seine erste Liebe vergisst man nicht so einfach.“ Ich holte tief Luft und schluckte den Kloß in meinem Hals weitestgehend herunter.
„Josy…“, begann Harry, doch ich unterbrach ihn und sprach weiter.
„Ich stand also morgens auf, griff wahllos irgendetwas aus dem Schrank, ging zur Schule, ertrug jeden Tag die Blicke und das Flüstern, ging nach Hause und dann zum Fußballtraining um meinen Frust herauszulassen. Am Abend spielte ich Gitarre. Man lernt sehr schnell, seine Emotionen in die Stimme zu legen, wenn man nur negative Emotionen hat. Und trotz allem, was ich versuchte, tat es weh. Es tat so furchtbar weh. Und ich hatte niemanden, der mir half. Ich war alleine. Alleine mit dem Schmerz, dass der Junge, in den ich so richtig heftig verliebt war, über mich lästerte und mich zu einer Lachfigur machte. Ich hasste mein Leben. Und ich wollte nie nie wieder zu so jemandem werden, der sich ohne jegliche Bedenken auf etwas einließ, weil es am Ende sowieso nur wehtun würde.“, schloss ich meinen Vortrag.
Ich ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte, meine Emotionen nicht zu zeigen. Aber dann waren da Harrys Arme, die er sanft um mich schlang und seine Lippen an meiner Schläfe.
„Es tut mir so leid, Josy.“, flüsterte er. Ich nickte, biss mir auf die Lippen und dann brach ich doch ein kleines bisschen.
Eine Träne kullerte meine Wange hinunter und ich versuchte gar nicht erst, sie aufzuhalten.
Harry küsste sie weg.
„Nicht weinen, Süße.“, murmelte er. Ich wusste, dass es ihm wehtat, dass ich darüber so traurig war.
„Ich hasse ihn.“, flüsterte ich leise. Harry zögerte, doch dann legte er seine große Hand um meine und schüttelte den Kopf.
„Hasse nie etwas, das dir einmal so viel bedeutet hat. Es tut viel mehr weh zu hassen, als loszulassen. Und ich weiß, es ist schwer, aber loslassen ist gar nicht so schlimm. Denn wenn man das geschafft hat, hat man die Chance zurückzufinden. Zu sich selbst.“, sagte er leise.
„Ich weiß. Ich hab ihn losgelassen. Aber es hat mich drei Jahre gekostet. Und wäre ich nicht so dumm gewesen und hätte mich in ihn verliebt, hätte ich den ganzen Spott nicht ertragen müssen.“ Ich seufzte. „… Und vielleicht würdest du Girlie-Josy viel lieber mögen…“, brummte ich. Harry sah mich an.
Er sah mich einfach nur an.
Wie schaffte er es nur, ohne Worte so viel zu sagen?
Wie schaffte er es, mir dieses Gefühl zu schenken.
Wie ein Geschenk, das so kostbar ist, dass man es nicht mehr loslassen möchte.
Wie ein Geschenk, das man niemanden zeigen kann, weil es so wunderschön ist.
Und doch teilte ich ihn.
Mit der Welt.
Mit zahlreichen anderen Mädchen.
„Josy.“, sagte Harry. „Ich liebe dich.“
Da war so viel Nachdruck in seinen Worten.
So viel Ehrlichkeit.
Und die einfache Bitte, dass ich ihm glaubte.
„Ich…“ Ich schluckte. „Ich liebe dich auch.“, flüsterte ich.
Harry lächelte, küsste mich und setzte sich dann wieder auf seinen Platz, den er verlassen hatte, um mich in den Arm nehmen zu können.
„Wow, das ist dir jetzt aber schwer gefallen.“, sagte er grinsend. Ich verdrehte die Augen.
„Du hast ja keine Ahnung.“, seufzte ich.
Ich fühlte mich so viel freier, jetzt wo ich ihm die Geschichte mit Jeremy erzählt hatte.
„Naja, doch. Jetzt verstehe ich es zumindest. Am Liebsten würde ich zu Jeremy gehen und ihm meine Meinung sagen. Wie kann er es wagen, so mit dir umzugehen? Wie kann er es wagen, überhaupt mit jemandem so umzugehen?“, ereiferte sich Harry.
Ich lächelte.
Eifersucht war ein neuer Zug an ihm.
Diese Seite kannte ich noch nicht.
„Du bist süß, wenn du eifersüchtig bist.“, rutschte es mir heraus, bevor ich es aufhalten konnte.
Harry lachte und ich war mir nicht ganz sicher, aber ich glaubte, einen klitzekleinen Rotschimmer auf seinen Wangen entdecken zu können.
„Darf ich dich küssen?“, fragte er und sah mich mit einem breiten Lächeln an.
Ich hob eine Augenbraue.
„Seit wann fragst du, wenn du etwas möchtest?“, wunderte ich mich.
Er musste nicht einmal nachdenken, bevor er mir die Antwort gab.
„Seit ich dich kenne.“

Love The One You're With (Book 2)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt