9 - Familiensorgen

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Genervt von meiner nicht vorhandenen Kreativität und Konzentration nahm ich einen Schluck meines Tees. Welches Bild sollte ich für die Titelseite nehmen? Frustriert klickte ich mich durch die Galerie. Ich kam zu den Bildern von Ardy. Ich biss mir auf die Unterlippe, weil mir wieder einmal bewusst wurde, wie hübsch die Jungs waren. Alle drei. Auch wenn Marley nicht mein Typ war.
Da ich mich in diesem Café eh nicht konzentrieren konnte, lief ich nach Hause und seufzte auf. In der Post befand sich ein Brief von meiner Mutter. "Hallo, Liebes. Ich weiss, dass ich auch einfach vorbeikommen oder dich anrufen könnte, aber ich bin mir sicher, dass du nicht so erfreut gewesen wärst, hätte ich eines der beiden Dinge getan. Anna hat mir erzählt, dass du hier in Berlin warst. Papa und ich vermissen dich, auch wenn wir wissen, dass du uns nicht vermisst. Ich hoffe, dass du uns irgendwann wieder vergibst. Und dir selber auch. Auch wenn wir uns nie gut verstanden haben, wir beide lieben dich. Und ich glaube, dass du uns auch liebst. Ich hoffe es. Wenn du das nächste Mal in Berlin bist, dann besuch uns doch. Oh, jetzt habe ich mich verschrieben, tut mir Leid. Eigentlich wollte ich sagen, dass es deinem Onkel nicht so gut geht. Mario hatte einen Arzttermin und es wurde ein Aneurysma (an der Aorta) diagnostiziert. Es tut mir Leid…Ich weiss, dass er dir viel bedeutet. Aber er lebt noch. Liebes, bitte weine nicht, okay? Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Du könntest ihn besuchen. Ich glaube, er würde sich sehr freuen. Also, das war alles, was ich sagen wollte. Ich habe die Rechungen für die Wohnung pünktlich gezahlt, so wie immer. Sag Bescheid, wenn die Waschmaschine wieder streikt. Ich hoffe, du hast es schön in Köln. Liebe Grüsse, Mama. (Und Papa, aber er schläft gerade.) Kuss, xoxo"
Ich schluckte. Mario war krank. Mir war klar, dass mein Onkel an diesem Aneurysma sterben würde. Tränen stiegen mir in die Augen und bahnten sich einen Weg über mein heisses Gesicht. Schluchzend legte ich mich in mein Bett und zog die Decke bis unter mein Kinn hoch.
Ich dachte an früher, als Mario mich oft bei ihm aufgenommen hatte, weil ich es bei meinen Eltern einfach nicht aushielt. Wie immer stand ich vor der Tür, weinend, und er öffnete sie, sah mich bedauernd an und breitete seine Arme aus. Er liess mich rein, gab mir eine Kuscheldecke, lotste mich in die Küche und fütterte mich mit Keksen und Kakao. Ich dachte daran, wie Mario mich immer gut behandelte, wie er sich um mich sorgte, als wäre ich sein Kind.
Es klopfte laut und aggressiv. Ich wälzte mich aus meinem Bett und öffnete die Tür.
"Alisha…", begann meine Schwester und breitete ihre Arme aus. Sofort liess ich mich von ihr umarmen.
"Ich habe es heute gehört, als ich mit Mom telefoniert habe. Ich bin sofort hergefahren. Komm, setzen wir uns." Anna lotste mich auf die Couch und brachte mir eine grosse Tasse Schwarztee.
"Weisst du, Mario war wie ein zweiter, besserer Vater. Schade, dass er keine Kinder bekommen kann, er hätte sie gut erzogen." Ich murmelte vor mich hin und war mir sicher, dass Anna nichts davon verstand, aber sie nickte trotzdem mitfühlend und streichelte mir über den Rücken.
"Wir gehen ihn besuchen, okay? Morgen habe ich keine Zeit, ein Ultraschall-Termin steht an, aber am Donnerstag würde es mir passen." Sie lächelte mich an und stand auf, damit sie den Film Inception starten komnte. Ich musste lächeln, sie wusste einfach immer, wie sie mich glücklich machen konnte.

Schicksal - Taddl TjarksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt