25 - Abreise

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Taddl hatte sich zu meiner persönlichen Krankenschwester ernannt, damit er mich pflegen konnte. Eigentlich wollte ich ja am liebsten den ganzen Tag lang schlafen und lesen, aber seine Anwesenheit war auch ganz okay. Vorallem, weil ich mich an ihn kuscheln konnte, wenn mich wieder eine Welle Schüttelfrost überraschte. Oder weil er mir beruhigend über den Rücken strich, wenn ich mich übergeben musste oder einen Bauchkrampf hatte.
Ich wusste nicht, was mir fehlte. Schon seit drei Tagen war ich krank und es ging mir immer mieser, mit jedem Tag wurde es schlimmer. Wegen des ständigen Erbrechens war ich kraftlos und hatte keinen Appetit.
"Wir gehen übermorgen. Wenn es dir bis dahin nicht besser geht, besorgen wir dir einen Arzt, damit er mitfliegt." Luna sass auf dem Bettrand und brüstete sich ihr schönes Haar. Ich nickte schwach. Mir war klar, dass ich Nahrung zu mir nehmen sollte, aber es war, als wäre meine Speiseröhre zugemauert.
Marley klopfte mir auf die Schulter und verabschiedete sich von mir. "Gute Besserung!", wünschte er mir. Die beiden flogen heute für zwei Wochen nach Amerika, damit Fabiennes Elteren, die in New York ein Häusschen besassen, Mary kennenlernen konnten.
Nachdem die beiden Turteltauben gegangen waren, erzählte mir Luna über das Leben als YouTube-Star. Sie sagte, dass sie nicht wusste, ob sie es toll oder schlecht finden sollte, dass sie und ihre Freunde so berühmt waren. Natürlich besass man viel Geld und hatte mehr Freiheiten ("Ich muss nicht um sieben aufstehen und zur Arbeit fahren, das ist echt richtig nice!"), aber man wurde zum Objekt.
"Wenn ich heute in Köln irgendwo hin will, dann muss ich das nachts tun. Tagsüber wimmelt es von Fans, die Fotos und Autogramme wollen. Ich meine, eigentlich fühle mich geehrt, aber ich werde ständig angehalten. Ich kann keine fünf Schritte tun, ohne dass jemand auf mich zurennt und mich belagert. Das ist anstrengend. Und die Fans verstehen es nicht. Sie denken, dass das keine Sache ist, aber sie können nicht verstehen, dass ich alle paar Minuten für ein paar Sekunden angehalten werde."

Es nervte mich, dass mich alle Leute anstarrten. Taddl schob mich in einem Rollstuhl quer durch den Flughafen zu unserem Gate, weil es mir tatsächlich noch nicht besser ging. Ein Arzt mit einem dicken Koffer ging neben uns her, falls mir etwas passieren sollte. Als er sich uns vorgestellt hat, war ich so müde, dass ich kaum ein Wort verstanden habe. Aber dafür musterte ich ihn: früher hatte er bestimmt schönes, schwarzes Haar, aber jetzt war es schon angegraut und dünner. Er hatte eine krumme Nase, dünne Lippen und seine Augenbrauen waren sorgenvoll zusammengezogen. Seine randlose Brille machten ihm riesige Augen, warscheinlich war er ein blinder Maulwurf, wenn er sie nicht trug. Er trug eine schwarze Anzugshose und ein Hemd ohne Krawatte. Seine weissen Nikes ruinierten das Outfit, aber sie waren bestimmt bequemer als elegante Schuhe.
Als man das Flugzeug betreten konnte, waren wir mit drei anderen Rollstuhlgängern die Ersten und ernteten neidische Blicke anderer Passagiere, die erst später einsteigen durften. Wir sassen in der ersten Klasse, Ardy neben Luna am Fenster, Taddl und der Arzt nahmen mich in die Mitte. Von einer freundlichen Stewardess wurde mir eine warme Decke und ein grosses Kissen gebracht. Der Flug verging ohne Probleme, ich schlief mit guter Musik schnell ein und wachte auch erst auf, als Taddl mich weckte, weil wir landeten. In Deutschland war es dunkel und es regnete, was meine Laune gleich besserte.

Der Flughafen war erstaunlich voll. Ich hätte nicht gedacht, dass um 22:24 Uhr noch so viele Leute mit Koffern und einem Becher Kaffee zum Gate hetzten, so viele Flugbegleiter auf einen Flug warteten und währenddessen ihr Aussehen überprüften und vorallem, dass all die Läden noch offen waren. Als wir an einem Schaufenster vorbeikamen, in dem eine Puppe mit einem weinroten Pullover ausgestellt war, bemerkte ich, wie kalt mir war.
"Ich glaube, ich habe wieder Schüttelfrost", stellte ich fest. Unsere ganze Gruppe blieb stehen und während der Doktor schaute, ob ich Fieber hatte (hatte ich, sogar ziemlich hoch), suchten Taddl und Ardy eine Apotheke, damit sie im Auftrag meines Arztes ein fiebersenkendes Medikament kaufen konnten, welches ich auch vertrug. So wie es aussah hatte ich nämlich eine Allergie gegen einen bestimmten Wirkstoff in der Tablette, die ich vor dem Flug genommen hatte, was meinen Schüttelfrost, die Kopfschmerzen und auch den Ausschlag an meinen Armen erklärte, den ich gerade bemerkte.
"Salmonellen", sagte der Arzt plötzlich und hastete davon.
Ein freudiges Kreischen lenkte meine Aufmerksamkeit weg von meinen juckenden Armen, die jetzt auch rot und heiss wurden. Zwei Mädchen liefen aufgeregt in unsere Richtung und ich brauchte einen Moment, bis ich begriff, dass das Fans von meinen Freunden waren. Neben mir hörte ich Luna genervt seufzen, dann begann sie, beruhigend auf die Mädchen einzureden, als sie uns erreichten.
"Das ist im Moment echt richtig ungünstig...", fing sie an, wurde aber von einem erneuten Kreischen von der jungen Brunette unterbrochen. Es war sofort klar, wieso sie sich freute: Taddl und Ardy kamen mit schnellen Schritten auf uns zu, Taddl mit dem Medikament und seinem Geldbeutel in der Hand, Ardy mit einem angebissenen Sandwich. Ich sah aus dem Augenwinkel meinen Arzt mit einer Wasserflasche, der zu uns rannte.
"Dürfen wir ein Foto? Und ein Autogramm vielleicht? Ich habe auch einen Edding...", das zweite Mädchen war rothaarig und kramte in ihrer Tasche herum.
Ardy nickte und sah Luna schlecht gelaunt an. Sie lächelte verkniffen und posierte vor der Kamera. Im Augenwinkel registrierte ich, wie noch ein Mädchen und auch ein Junge auf uns zukamen. Ich schluckte meine Tablette und rollte mich ein Stück aus der immer grösser werdenden Menge heraus und sah dem Spektakel zu.
"Bist du Taddls Freundin?", fragte ein Mädchen, als ich gerade einen Schluck von meinem Getränk nahm. Es war Wasser gemischt mit Mineralstoffen, die mir helfen sollten. Der Arzt hatte mir erklärt, was Salmonellem waren und wie wir sie behandeln mussten. Ich war erleichtert, dass es nichts Schlimmeres war.
Taddl baute sich schützend vor mir auf. "Siehst du denn nicht, dass es ihr schlecht geht? Lass sie in Ruhe!" Er klang ganz schön gereizt. Ziemlich frech von der Kleinen, fand ich. Begriff sie nicht, dass wir nicht darüber reden wollten? Begriff sie nicht, dass es sowas wie Privatsphäre gab? War sie so frech, dass sie dachte, sie könne mich, eine ihr völlig fremde Person, sowas zu fragen? Und registrierte sie den Rollstuhl nicht? Ich schüttelte den Kopf.
Mittlerweile waren wir ganz schön umzingelt von einer Gruppe aus Teenagern, die gierig ein Foto und ein Autogramm wollten. Mein Arzt hatte sich verabschiedet, angeblich musste er weg (ich glaubte eher, dass er einfach keine Lust auf die Fans hatte und deshalb ging) und ich war somit auf mich allein gestellt, da meine Freunde ja mit ihren Fans zu tun hatten. Ich beschloss aufs Klo zu gehen. Langsam erhob ich mich aus dem Rollstuhl und schlurfte in Richtung Toilette. Nachdem ich meine Hände gewaschen hatte, ging die Tür auf und eine ältere Dame trat ein. Ich erhaschte dabei einen Blick auf die Fantraube und blickte direkt in Taddls blaue Augen. Er sah mich mit einem Blick aus Verwirrung, Stress und Verblüffung an. Ich wurde abgelenkt von der alten Frau, die mich fragte, ob ich ein Taschentuch besass. Leider musste ich verneinen, weshalb sie ein bisschen enttäuscht den Toilettenraum verliess.
Auf einmal wurde mir schlecht. Ich sah in den Spiegel und bemerkte, wie der Schweiss auf meiner Stirn glänzte. Meine Sicht verschlechterte sich und mir wurde schwindelig, ich klammerte mich an die Steinplatte. Es schien, als würde sich die Welt langsamer drehen. Ich bekam schreckliche Kopf- und Bauchschmerzen und begann zu zittern. Meine Ohren rauschten, es hörte sich an, als würde ich direkt bei einem tosendem Wasserfall stehen. Ich krallte meine Finger um den Wasserhahnen, versuchte das Gleichgewicht zu finden. Schwarze Punkte tanzten vor meinen Augen, sodass ich fast nichts mehr sah. Es fühlte sich an, als müsste ich mich übergeben, aber es kam nichts. Ich würgte. Das Rauschen in meinen Ohren wurde lauter und lauter, ich kniff meine Augen zu, liess den Wasserhahnen los. Ich wollte um Hilfe rufen, aber meine Kehle war zu trocken. Alles drehte sich, ich wusste nicht mehr, wo oben und wo unten war. Taumelnd versuchte ich die Tür zu erreichen.
Und dann wurde es schwarz.

Schicksal - Taddl TjarksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt