4 - Freiheit

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Als es klingelte, sprang ich schnell vom Sofa auf und prüfte mein Aussehen kurz im Spiegel, bevor ich die Tür mit einem komischen Bauchgefühl öffnete.
Luna begrüsste mich fröhlich und trat zur Seite, damit ich ihren Freunden Hallo sagen konnte. Ich wollte sie ja begrüssen, aber als ich mir die Kumpels ansah, war ich sprachlos. Allesamt waren gross, tätowiert und trugen extravagante Kleidung. Jeder der Jungs war auf seine Weise einzigartig und gutaussehend.
"Hi", murmelte ich schüchtern, weil ihre Präsenz mich klein wirken liess.
"Ich bin Marley, Taddl ist der mit der Mädchenfrisur und Ardy ist der Kleine", stellte Marley seine Kumpels und sich vor. Ich musste lachen, weil Taddl ihn mit einem finsteren Blick ansah.
"Wollen wir los? Ich sterbe vor Hunger!", drängte Luna uns. Also gingen wir los in Richtung eines asiatischen Restaurants.

"Ich habe Alisha beim Rheinufer kennengelernt", begann Luna während dem Essen.
"Ach, wirklich? Ist ein sehr beeindruckender Ort, finde ich. Irgendwie mystisch", meinte Taddl und kratzte sich am Kinnbart. Ich stimmte ihm zu und trank einen Schluck meiner Cola. Bis jetzt verlief das Treffen sehr gut, wir konnten ohne peinliches Schweigen miteinander reden. Ich lächelte in mich hinein und war glücklich, dass ich nicht ausgeschlossen wurde.
"Wie alt bist du, Alisha?", fragt mich Marley freundlich.
"18", antwortete ich und fühlte mich unwohl, weil ich wusste, dass alle älter waren als ich.
"Und du wohnst nicht mehr bei deinen Eltern?", fragte Luna mit hochgezogenen Augenbrauen.
Ich nickte. "Wir vertrugen uns nicht so...", erzählte ich ausweichend und stocherte im gut duftenden Reis rum.
Ardy legte seinen Kopf schief und fragte:"Wie meinst du das?" Ich räusperte mich unbehaglich, ich wollte es ihnen nicht erzählen.
"Jetzt hör schon auf, Dizzle! Schon gut, Alisha", sagte Luna und lächelte mich liebevoll an. Ich konnte sehen, wie Ardy zusammen zuckte, warscheinlich trat ihm sie gegen das Schienbein.
Marley klatschte in die Hände und stand auf. "Gehen wir." Ich sah ihn verwirrt an, denn wir hatten noch nicht bezahlt. Ich wies ihn darauf hin und er zuckte nur mit den Schultern und legte einen Hunderter auf den Tisch. Luna hakte sich bei mir ein und zusammen verliessen wir das Lokal.

Ohne mir zu sagen, wo wir hingingen, wurde ich von den anderen quer durch Köln gelotst. Ab und an sprachen wir über belanglose Dinge, aber eigentlich war jeder ziemlich in sich gekehrt und ging seinen eigenen Gedanken nach.
Zusammen betraten wir ein hohes Gebäude und fuhren mit dem Lift in die oberste Etage. Ardy schloss mit einem kleinen Schlüssel eine verwittert aussehende Tür auf. Er winkte uns zu und verschwand. Marley, Taddl und Luna gingen auch durch die Tür, also zuckte ich bloss mit den Schultern und trat hindurch.
"Keine Angst, Alisha, wir sind hier öfters. Komm ruhig näher", lächelte Marley. Wir standen auf einem Dach, es windete und mir war kalt. Aber ich schritt bis zum kleinen Gelände und sah runter. Wir waren sicher zehn Stockwerke über Köln. Mir war irgendwie mulmig, ich hatte ein bisschen Höhenangst.
"Buh!", rief eine tiefe Stimme hinter mir und packte mich. Ich schrie auf und dachte für einen Moment, dass mich die Person runterwerfen würde. Aber es war nur Taddl, der mich schadenfroh angrinste. Ich sah ihn böse an und er lachte.
"Tu nicht so verklemmt. Mach den Kopf frei, Kleine, lass dich fallen." Taddl trat nah an mich heran, nahm meine Arme und streckte sie aus.
"Sieh dir Köln an. Schön, nicht wahr? Die Stadt wirkt so klein unter uns", flüsterte Taddl nah an meinem Ohr. Ich liess den Blick schweifen und er hatte Recht. Köln war unglaublich klein von hier oben aus gesehen. Ich sah den Rhein und die vielen Häuser. Fast nirgends konnte ich ein Fenster mit Licht erblicken, es war also schon spät.
"Wir leben hier in Köln. Vom Boden ist diese Stadt riesig, einengend. Aber von hier oben ist sie so winzig. Schau, du kannst ganz Köln überblicken, du bist grösser als diese Stadt." Dieses Flüstern machte mir eine Gänsehaut und ich schauderte.
"Das, Alisha, ist Freiheit", flüsterte er und machte mit seinem tätowierten Arm eine umschweifende Geste. Und ich fühlte mich frei. Hier oben auf dem Dach fühlte ich mich gross und mächtig. Lächelnd drehte ich mich um und sah Taddl an. "Danke", flüsterte ich.
Er nickte und sah mich an. "Ich komme immer hierher, wenn ich keine Lust auf diese Welt habe. Ich glaube, für die anderen zählt nur die schöne Aussicht." Er warf einen abschätzigen Blick zu Ardy und Luna, die ebenfalls am Gelände standen.
"Hast du ein Lebensziel?", fragte mich Taddl und lehnte sich ans Gelände. Ich kaute auf meiner Unterlippe rum, während ich überlegte.
"Hm...Ich glaube, dass ich am Ende meines Lebens sagen kann, dass ich alles erreicht habe und die Liebe meines Lebens gefunden habe." Ich runzelte die Stirn, weil ich wusste, wie dämlich das klang.
Taddl lachte. "Hach ja, Mädels träumen immer von einer perfekten Beziehung. Ich hoffe, dass ich eines Tages hier oben bin und meine Freundin oder Frau ficke." Er grinste und richtete sich seinen Zopf neu.
Ich sah ihn mit grossen Augen an. "Oh...Ähm", machte ich und kratzte mir am Kopf. "Das ist ein sehr...interessanter Wunsch."
Taddl schüttelte den Kopf. "Glaub mir, jeder Mann will das. Und wenn du ehrlich zu dir bist, reizt dich diese Vorstellung auch. Ich meine, du bist hier oben, krallst deine Hände um das Geländer, kannst über die ganze Stadt blicken und dein Mann oder Freund nudelt dich so hart, dass du eine Woche nicht mehr sitzen kannst." Ich kaute auf meiner Unterlippe und sah schnell auf den Boden, damit er nicht bemerkte, wie rot ich geworden war.
"Hm." Das war alles, was ich dazu sagen wollte. Natürlich hatte er Recht. Aber solche Fantasien konnte ich für's Erste zumindest vergessen.
"Mary, wir gehen. Morgen, 16 Uhr bei dir?" Taddl sah Marley fragend an und dieser nickte grinsend. Ich wurde von Taddl vom Dach geführt und zusammen verliessen wir das Gebäude.
"Du bist ziemlich verklemmt", stellte Taddl kopfschüttelnd fest.
Böse sah ich ihn an. "Und du bist ein Schwein", konterte ich wütend. Er kannte mich erst seit ungefähr drei Stunden und jetzt urteilte er so über mich. "Also, kannst du mir sagen, wo ich den Rewe finden kann?", fragte ich und fuhr mir durch die Haare.
Taddl lachte mit seiner bassigen Stimme. "Ich bring' dich hin."
Ich seufzte tief. So schnell würde ich ihn nicht loswerden. Leider musste ich zugeben, dass mir das doch nicht so viel ausmachte, ich fand ihn unglaublich attraktiv. So anders...So speziell.
"Okay...Also. Das war's dann wohl." Taddl lächelte mich schief an.
Ich nickte und biss mir auf die Unterlippe. "Warscheinlich, ja. War cool mit euch, ihr seid echt krank!", grinste ich ihn an und kramte meinen Schlüssel hervor. Er lachte und massierte seinen Nacken.
"Kann man das Dach betreten?", fragte er.
Ich sah ihn misstrauisch an. "Ich habe einen Balkon."
Taddl grinste mich verführerisch an. "Willst du meinen Traum erfüllen? Halt kein Dach, aber der Balkon wird reichen. Ausserdem sehe ich dich vielleicht nie wieder!" Verschmitzt schaute er mir in die Augen und wackelte mit den Augenbrauen.
Angewidert sah ich ihn an und schüttelte den Kopf. "Perversling!"
Lachend zog er sich die Kapuze tief ins Gesicht und drehte sich um. "Du bist kein Mauerblümchen, Alisha, und das weisst du. Ich biete dir jetzt diesen One-Night-Stand an, wenn du nicht willst, dann bitte. Aber entweder heute oder nie, Schätzchen!" Er zuckte mit den Schultern und ging.
Ich lachte. "Danke für das Angebot, Taddl, aber ich lehne höflich ab." Und damit verschwand ich im Treppenhaus.

Schicksal - Taddl TjarksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt