Ich warf Joe einen verstohlenen Blick zu. Danach rückte ich scheinbar konzentriert meine Aufträge zurecht.
Vielleicht war Joe besser beim Skifahren, doch bei 'Zug um Zug' hatte er mich noch nie schlagen können.
"Ach, Mary, du weißt doch genau, dass du die Strecke niemals bauen würdest, wenn du wüsstest, dass du jemandem einen Gefallen tun würdest, indem du es lässt.", raunte Joe vertrauensvoll und sah mich verführerisch an.
"Du bluffst doch", meinte ich hochnäsig.
"In Wahrheit willst du mich doch dazu anstacheln genau da zu bauen, damit ich dir deine eigentlich Strecke nicht verbauen kann und du deinen dämlichen Auftrag endlich fertig bekommst.", stellte ich herablassend fest.
Für einen winzigen Moment schaute er ertappt.
Aber im Bruchteil einer Sekunde hatte er sich wieder unter Kontrolle.
"Wenn du das sagst, Marymaus", gab er höhnisch zurück und betrachtete gelangweilt seine Handkarten.
Ich verdrehte die Augen.
Natürlich hatte ich Recht, er machte sich doch total verdächtig.
Aber andererseits musste ich tatsächlich da bauen, wo er es mir hatte ausreden wollen, die Strecke, mit der er aber höchstwahrscheinlich wirklich liebäugelte würde meine ganze Kalkulation über den Haufen werfen, sollte ich dort bauen.
Andererseits wartete ich schon seit acht vermaledeiten Runden darauf, ihm eins auszuwischen, seit er mir meine perfekte Verbindung vor der Nase weggeschnappt hatte.
Den Auftrag hatte ich trotzdem erfüllen können, aber es hatte mich vier wertvolle Runden gekostet, die notwendigen Karten dafür aufzutreiben.
"Mary, mach endlich!", kam es ungeduldig von Jeff.
Ich verdrehte erneut die Augen.
Scheinbar unendlich traurig murmelte ich "Tja, ich schätze ich hab leider keine Wahl. Meine Strecke führt eben genau hier lang."
Und dann legte ich meine Karten aus und stellte die kleinen Züge aufs Spielbrett, die markierten, dass diese Eisenbahnstrecke jetzt von mir beansprucht wurde.
Joe blieb der Mund offen stehen.
"Das glaub ich jetzt nicht!", er griff sich ans Herz.
"Nach allem was wir durchgemacht haben", stöhnte er dramatisch und bedachte mich mit einem vorwurfsvollen Blick.
"Na endlich", grummelte Jeff und begann auszuspielen.
"Tja, Joe-Schätzchen, wer wollte vorhin nochmal unbedingt nach New York City bauen? Da wird wohl jemand einen seiner Bahnhöfe aufbrauchen müssen", erklärte ich, in einem Ton, als würde ich es zutiefst bedauern.
Aber in Wahrheit freute ich mich diebisch, denn unbenutzte Bahnhöfe brachten fünf Punkte ein.
Die Joe jetzt wohl verlieren würde.
Plus die Runden die er brauchen würde, um Karten für eine alternative Strecke zu sammeln.Der heutige Tag war recht ereignislos verlaufen.
Nach einigen Abfahrten, einem hastig heruntergeschlungenen Mittagessen in dem Gasthof oben bei den Skiliften und einem Wettrennen mit meiner Familie, bei dem wir nacheinander auf Zeit eine kurze Strecke auf der schwarzen Piste runterfahren mussten (meine Mom hatte gewonnen), waren wir erschöpft ins Hotel gefahren.
Nach einer ausgiebigen Dusche und einem entspannten Abendessen, war es dann runter zum Spieleabend mit Joes Familie und Freunden meiner Eltern gegangen.
Bei dem ich jetzt gegen Joe, Jeff und Clara besagtes Spiel spielte.Den Vormittag hatte ich weitgehend alleine verbracht.
Ich hatte lange und viel nachgedacht und war zu den Entschluss gekommen, dass egal wie es mit meiner Beziehung zu Chris stand, weder meine Familie, noch meine Freunde oder mein Urlaub darunter zu leiden hatten.
Ich für meinen Teil würde die Ferien genießen, was Chris tat war mir ziemlich egal, ich hatte den ganzen Tag nichts von ihm gehört.
Das leichte Ziepen in meiner Magengegend, dass immer auftauchte, wenn ich an ihn dachte, ignorierte ich ebenfalls.Nach einer halben Stunde hatte ich die drei fertig gemacht und haushoch gewonnen. Nach langen, sehr amüsanten Diskussionen über den Verlauf des Spiels, darüber, wer angeblich geschummelt hatte und warum Jeff die Punkte falsch gezählt haben sollte, fühlte ich mich fast glücklich.
Ich hatte lange nicht mehr so gelacht und das hatte mir wirklich gut getan.
Die Erwachsenen hatten sich zu den Couchen zurückgezogen, wo sie sich nach ihrer Runde 'Monopoly' (die Version mit den Kreditkarten) angeregt unterhielten.
Das Kleingemüse (Seth und die zwei Kinder der McLohans) und mein Bruder Caulder hatte eine neue Runde 'Uno' begonnen und schien ziemlich glücklich darüber zu sein, noch nicht ins Bett geschickt geworden zu sein.Jeff zog sich irgendwann mit der Entschuldigung zurück, noch mit seiner Freundin zu telefonieren, Clara begab sich an den 'Uno'-Tisch und trug ihren Senf zum Geschehen bei.
Und Joe?
Ja, Joe sah mich ein wenig verlegen an, sagte aber nichts.
Eine peinliche Pause entstand.
Irgendwann räusperte er sich.
"Wollen wir, ähm, ne Runde spazieren gehen?", fragte er unschlüssig.
"Klar warum nicht?"Zehn Minuten später traten wir beide dick eingemummelt aus dem Hotel.
Die Luft war klar und kühl und es hatte wieder angefangen zu schneien.
"Schön oder?", fragte ich verträumt.
"Hm."
Langsam stapften wir los.
Der Schnee war sehr tief und wir kamen nur langsam voran.
Unser Atem gefror in der Luft, aber mir war nicht kalt.
Das Hotel lag auf einer großen Waldlichtung, die von riesigen Nadelbäumen umgeben war.
Wir schlugen einen Trampelpfad ein, der sich etwas abseits durchs Unterholz schlängelte.
Noch immer wechselten wir kein Wort.
Aber die Stille war angenehm, aber lauter, als wenn wir geredet hätten.
Irgendwann blieben wir stehen und setzten uns auf einen Holzstoß.
Ganz in Schweigen versunken, betrachteten wir die tanzenden Schneeflocken, die sachte vom Himmel schwebten und der Atmosphäre eine Zauber verliehen.
Einen Zauber, der so schön war, dass ich wollte, der Moment würde niemals enden.
DU LIEST GERADE
All I want for Christmas is you
RomanceZu Weihnachten geht es traditionell wie jedes Jahr zum Skifahren ins Gebirge. Und wie fast jedes Jahr trifft Mary dort auf Joe. Den sie eigentlich nicht ausstehen kann. Doch uneigentlich fängt er auf einmal damit an ihre Gefühle ganz schön durcheina...