13. Dezember

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Ich legte mich rasant in die Kurve.
Noch 100 Meter.
90.
80.
Ganz ruhig, Mary!
50.
40.
30.
Tempo beibehalten!
10.
5.
Vollbremsung.
Schnee wirbelte auf und ein scharfes Geräusch ertönte, als ich meine Skier sehr elegant und sehr schnell schräg ausrichtete.
Rasch sah ich mich um.
Keine Spur von Henry oder Joe.
Ich hatte tatsächlich gewonnen!
Das war noch nie passiert.
Doch wo blieben die beiden?
Weit konnten sie nicht sein, wo doch normalerweise immer so schnell waren.
Ich steckte meine Skistöcke leicht in den Boden und fuhr ein wenig nach links um den anderen Skifahrern Platz zu machen.
Ungeduldig wartete ich auf ihre Ankunft.
Aber als sie nach 5 Minuten immer noch nicht da waren, begann ich mir ernsthaft Sorgen zu machen.
Nie im Leben würden sie so weit zurückliegen.
Ich wollte schon mit dem Lift wieder nach oben fahren und die Abfahrt nochmal zu machen, um zu sehen, wo sie blieben, aber was wenn sie genau dann hier ankamen?
Voller Unbehagen wartete ich eine weitere viertel Stunde, bis ich mir klar wurde, dass sie nicht kommen würden.
Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich mir ausmalte, was alles passiert sein konnte.
Was wenn sie einen Unfall gebaut hatten?
Wenn einer von ihnen gegen einen Baum geprallt war und jetzt blutend im Schnee lag?
Wenn sie aus Spaß in ein gesperrtes Gebiet gefahren waren, um vielleicht eine Abkürzung zu nehmen?
Aber nein, so dumm waren sie nicht.
Ganz ruhig, Mary, beschwor ich mich in Gedanken.
Ich wusste, dass Henry auf jeden Fall sein Handy dabei hatte, er ging nie ohne aus dem Haus.
Mit zitternden Händen streifte ich meine Handschuhe ab, zog den Reisverschluss meiner Jacke auf und kramte in meiner Innentasche nach meinen Handy.
Ich verwählte mich zweimal und als dann endlich das Freizeichen ertönte, hob niemand ab.
Mit gerunzelter Stirn drückte ich den Anrufbeantworter weg.
Dann also die Strecke nochmal abfahren.
Ich stellte mich gerade in die Reihe des Skilifts, als ich einen dieser Rettungsteile an mir vorbeibrausen sah.
Was wenn er zu Henry und Joe unterwegs war?
Was wenn Henry etwas zugestoßen war?
Oder gar Joe...
Joe...
Ich mochte nicht mal daran denken.
Ich schluckte schwer, atmete aber ruhig ein und aus, um nicht durchzudrehen.

Nach einer Ewigkeit, so kam es mir vor, war ich endlich wieder oben an der Piste, wo unser kleines Wettrennen begonnen hatte.
Wie immer hatte ich mich so auf meine eigenen Bewegungen konzentriert, dass ich gar nicht mehr auf die Jungs geachtet hatte.
Jetzt bereute ich es.
Langsam und jetzt viel mehr auf meine Umgebung achtend, fuhr ich die Piste hinunter.
Doch ich konnte keine Spur von einem der beiden entdecken.
Vielleicht waren sie jetzt schon längst unten und fragten sich wo ich wohl war.
Vielleicht waren sie schon viel früher angekommen und hatten einfach beschlossen hinten beim Gasthaus auf mich zu warten.
Ja, dass musste es sein, versuchte ich mir einzureden.
Langsam machte ich mich in die Richtung auf, als ich plötzlich mein Handy vibrieren spürte.
Hastig bremste ich ab und wäre beinahe in ein kleines Mädchen gefahren.
Schnell zog ich die Handschuhe aus und zerrte mein Handy aus der Jacke.
"Hallo?", keuchte ich atemlos.
"Mary, hier ist Henry."
"Ich... wo seid ihr? Geht's euch gut?"
"Mir schon...", murmelte er ausweichend.
"Henry.", sagte ich langsam.
"Wo seid ihr?"
Ich hörte ihn leise seufzen.
"Im Krankenhaus."
Und das war der Moment, wo mir mein Handy aus der Hand rutschte.

All I want for Christmas is youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt