Eight

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Als letztes öffnete er den Chat mit Simon und schrieb etwas, das er noch nicht einmal fertig gedacht hatte, ehe seine Finger schon Worte daraus gebildet hatten:
„Danke, aber ich bin ab morgen erst mal weg." Dahinter setzte er noch einen dieser übertriebenen Kuss-Smiles und steckte sein Handy dann wieder weg. Kaum war es in seiner Hosentasche, brummte er wieder. Von wem die Nachricht war wollte er im Moment gar nicht wissen.
Stattdessen dachte er über das nach, was er gerade eben Simon geschrieben hatte. Dass er weg fuhr. Tat er das wirklich? Für einen Moment horchte er in sich hinein, dann klingelte sein Handy mit Taddls benutzerdefiniertem Klingelton und er wusste: ja, er würde wegfahren. Er musste so verdammt weit weg von hier. Alles an Köln hier tat weh. Sogar der Blick von weitem auf den beleuchteten Dom, weil er den sonst nachts eigentlich immer nur sah, wenn er mit Taddl gemeinsam unterwegs war.
Er kam sich wirklich vor wie eine ziemliche Dramaqueen, als er einen Entschluss gefasst hatte, sein Handy noch ein letztes Mal aus der Tasche zog und seiner Mutter eine Nachricht schrieb: „Mama, ich komm nach Hause"
Normalerweise hätte er sie gerne angerufen, doch es war mitten in der Nacht, da musste das wirklich nicht sein. Es reichte, wenn er morgen dann spontan vor der Tür stand.
Die restlichen Nachrichten auf seinem Handy ignorierte er komplett, checkte nur noch kurz aus, wann ein Zug morgen fahren würde und schaltete dann sein Handy sogar ganz aus. Etwas, das er schon seit Monaten nicht mehr gemacht hatte. Doch er hielt es gerade einfach nicht aus.
Es war ihm alles zu viel. Zu viel von seinen Freunden, zu viel Köln, zu viel Taddl, zu viele Gefühle und zu wenige davon erwidert. Wenn er ihre Freundschaft noch irgendwie retten wollte, bevor er sie ganz kaputt machte, dann musste er jetzt weg. Weit weg. Und dass ihm in so einem Moment nichts besser half, als der heftige und eisige Wind und das Peitschen der Wellen an der Nordsee war schon sein ganzes Leben lang so gewesen. Vielleicht war es auch dieses Mal so. Vielleicht auch nicht. Aber er brauchte es jetzt, so wie die Luft zum Atmen.
Mit der Hoffnung, an der Nordsee endlich einen so klaren Kopf zu bekommen, dass er Taddl wieder ganz normal gegenübertreten und seine Gefühle so weit runter schrauben konnte, dass sie wieder einfach nur beste Brudis waren, stieg er am nächsten Tag früh morgens in den Zug nach Hause.
Noch lange war er in der Nacht herumgelaufen, einfach nur um sich die Zeit zu vertreiben. Als er dann wieder nach Hause kam, lief ihm schon wieder jemand im Treppenhaus über den Weg. Dieses Mal war es allerdings Felix. Der erzählte ihm, dass er gerade von seinem zweiten Date wieder nach Hause kam. Morgens um 5. Anscheinend schien es sehr gut zu laufen. Er freute sich wirklich für ihn und klopfte ihm grinsend auf die Schulter. Für einen Moment konnte er seine Probleme wirklich vergessen, weil er sich so auf Felix' Worte konzentrieren musste, die wie immer viel zu schnell aus seinem Mund sprudelten.
Doch dann erzählte ihm Felix wieder etwas, das er nicht wissen wollte:
„Ach, hab am Hauptbahnhof Taddl getroffen." Oh Gott, seit wann war Köln so ein Dorf, dass man sich jetzt nicht nur dauernd im Treppenhaus über den Weg lief, sondern scheinbar auch noch mitten in der Stadt?
„Er hat dich gesucht." Bei diesem Satz veränderte sich Felix' Blick ein wenig und er wusste genau, was als nächstes kommen würde. Und es kam.
„Alles okay bei euch? Er meinte, er kann dich nicht mal auf dem Handy erreichen." Sogar Felix reihte sich jetzt zu Simon ein und machte sich Sorgen um sie beide. Oh man...
„Akku leer", sagte er nur, als wäre das die Erklärung auf all seine Fragen und zog zum Beweis sein ausgeschaltetes Handy hervor. Ganz überzeugt schien Felix zwar nicht zu sein, allerdings war er auch so müde, um noch irgendwie mit ich zu diskutieren. Ardy war froh darum.
In der Wohnung war das erste, was er sah, ein großer Zettel, den Taddl genau an die Badezimmertür geklebt hatte, so dass Ardy ihn einfach sehen musste, sobald er zur Tür herein kam: „Bitte ruf mich an."
Es war ja wirklich süß, dass Taddl nachts am Bahnhof unterwegs war, um ihn zu suchen und ihm sogar einen Zettel hinterließ, aber irgendwie... irgendwie konnte er nicht mehr. Es war ihm einfach alles zu viel. So gerne hätte er mit Taddl geredet, ihn gesehen. Aber wenn er ihm jetzt gegenüber stehen würde, dann wusste er, würde er sofort sagen, was Sache war. Und dann wäre Taddl weg. Hätte er nicht so einen Aufstand gemacht, hätten sie es vielleicht sogar geschafft, in ein paar Tagen wieder ganz normal miteinander zu reden, so als wäre diese Nacht nie passiert. Ardy würde sie zwar nie vergessen, aber er musste sich ja nicht von seinen Gefühlen übermannen lassen.
Doch dazu war es zu spät. Er war schon ausgerastet, einfach nur, weil Taddl was mit irgendeinem Mädchen gehabt hatte. Nur... wenn es doch bloß ein „nur" gewesen wäre. Doch es war so groß und erdrückend, dass er einfach rot gesehen hatte.
Nach dieser Nacht, nach Taddls Eifersucht, ihren heißen Küssen und schließlich dem Sex, hatte er sich tatsächlich eingebildet, Taddl hätte sich auch in ihn verliebt. Doch stattdessen hatte er bereits zwei Abende später irgendjemanden mit nach Hause gebracht.
Jedes Mal, wenn er daran dachte, tat es wieder weh. Verdammt, er musste es einfach akzeptieren. Es war Taddls Leben, er konnte tun und lassen was er wollte und war ihm definitiv gar nichts schuldig oder musste Rücksicht auf ihn nehmen. Doch noch tat es weh und noch kam er nicht damit klar. Deswegen musste er weg. So lange, bis er damit klar kam, seine Gefühle wieder unterdrücken und ihre gemeinsame Nacht vergessen konnte. Wenn er das geschafft hatte, konnte er weiterhin so tun, als wären sie beste Freunde.
Viel packte er nicht in seinen Rucksack. Nur das Allernötigste wie Handy, Ipod, Laptop inklusive Festplatte, ein paar Klamotten, Waschzeug. Nichts Spektakuläres und nichts, was er mit besonderer Aufmerksamkeit eingepackt hatte. Er wollte sich nur beeilen, so schnell wie möglich hier wieder raus zu kommen. Jacke und Longboard nicht vergessen und schon war er wieder weg.
Mit Bedacht wählte er einen Weg zum Hauptbahnhof, den sie sonst nie nahmen und stieg dann morgens um halb 7 in den ersten Zug, der ihn in seine alte Heimat, zu seiner Mutter an die Nordsee brachte. Um diese Uhrzeit war nichts los, er hatte seine Ruhe und konnte einfach nur Musik hören und aus dem Fenster starren. Auf halber Strecke schaltete er sein Handy wieder an, ignorierte jedoch jegliche WhatsApp-Nachricht und antwortete nur auf die SMS seiner Mutter, die ihn lediglich gefragt hatte, wann er denn ankommen würde.
Als er einige Zeit später aus dem Zug stieg und den Weg zu seinem alten Zuhause einschlug, überlegte er noch, wie er vielleicht vor seiner Mutter irgendwie rechtfertigen konnte, warum er sie denn so spontan besuchen kann. Da fielen ihm seine Geschwister wieder ein, die in ihrer WhatsApp-Gruppe erzählt hatten, dass sie die ganze Woche bei ihrem Vater verbringen würde. Und da er wusste, dass seine Mutter noch immer nicht ganz darüber hinweg war, dass ihr Vater sie hatte sitzen lassen und sich jedes Mal schrecklich einsam fühlte, wenn alle Kinder aus dem Haus waren, konnte er es ihr vielleicht ja so erklären, dass er sie einfach nicht allein lassen wollte und dies die perfekte Gelegenheit war, weil sie sich schon so ewig nicht gesehen hatten.
Doch gleich nachdem sie ihm mit einem freudigen Lächeln die Tür geöffnet und ihn in eine Umarmung gezogen hatte, hielt sie ihn kurze Zeit darauf ein Stück von sich weg, sah ihn sich genau an und er spürte, dass ihr Blick an seinen Augenringen hängen blieb. Dann stellte sie mehr fest, als dass sie fragte:
„Du hast Streit mit Thaddeus?"
Erschrocken riss er die Augen auf. Verdammt, war er denn wirklich für alle, die ihn kannten, ein offenes Buch?

T zu dem ArdyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt