Eleven

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Dass richtige körperliche Arbeit so hart war, hatte er wirklich schon wieder vergessen. Das letzte Mal so richtig körperlich gearbeitet hatte er, als Taddl und er eingezogen waren und sie die ganzen Möbel die Treppen hoch schleppen und in der Wohnung aufbauen mussten. Aber das war jetzt auch schon über ein halbes Jahr her. Und egal, wie angestrengt er nachdachte, außer longboarden fiel ihm wirklich keine körperliche Aktivität ein, die er sonst irgendwie betrieben hätte.
Das rächte sich jetzt mit aller Gewalt wieder. Ein dünner Schweißfilm zog sich über sein Gesicht und brachte seine Brille dazu, ihm andauernd von der Nase zu rutschen, während er dabei war, im Garten das Herbstlaub zusammen zu harken. Anfangs hatte er noch eine Jacke an gehabt, diese jedoch schon nach 10 Minuten wieder ausgezogen, weil er so geschwitzt hatte. Jetzt stand er hier nur im Kapuzenpulli, während er darauf wartete, dass sein Körper wieder ein bisschen abkühlte.
Gerade als er sich bücken wollte, weil ein großer Stein, der zwischen dem Laub aufgetaucht war, in seinem Rechen hängen geblieben war, traf ihn etwas Hartes am Kopf. Als er genauer hinsah, erkannte er einen Tannenzapfen am Boden liegen.
„Was zum...." Er drehte sich um und erstarrte dann mitten in der Bewegung, als er sich plötzlich Taddl gegenüber sah. Mitten hier in seinem alten Garten stand Taddl. Mit ungemachten Haaren, Brille und einem Brudi-Kapuzenpullover. Einfach hier mitten im Garten. Taddl war hier und hatte ihm soeben einen Tannzapfen gegen den Kopf geworfen.
„Hey Brudi", brummte ihm Taddls tiefe Stimme entgegen, während er eine Hand in seiner Hosentasche vergraben hatte und sich mit der anderen nervös durchs Haar fuhr.
„Taddl...", stammelte er völlig perplex, ehe seine Hände und Füße sich selbstständig machten, er den Rechen fallen ließ, auf Taddl zuging und ihn einfach umarmte.
Erst hatte er befürchtet, dass Taddl lachen und ihn vielleicht sogar gar nicht umarmen würde. Doch das tat er nicht. Er schlang seine Arme um Ardy und drückte ihn fest an sich, seinen Kopf legte er auf Ardys Schulter ab.
Ardy schloss die Augen und drückte sich eng an seinen besten Freund, drückte seine Nase gegen seinen Pullover und atmete endlich wieder seinen vertrauten Geruch ein. Er roch nach Heimat und Zuhause.
Und endlich... endlich war da wieder dieses warme Taddl-Gefühl, das sein Herz jetzt wieder vollkommen einnahm und seinen ganzen Körper wärmte. Er war ihm einfach hinterher gefahren. Bis an die Nordsee. Und das, obwohl er ihm die ganzen Tage nicht eine einzige Nachricht hinterlassen hatte, bis auf gestern. Er hatte sich Sorgen um ihn gemacht, weil er sich nicht gemeldet hatte. Doch anstatt sauer auf ihn zu sein, war er ihm gefolgt.
So wirklich konnte er das noch nicht glauben, deswegen hielt er ihn noch ein bisschen fester und Taddl reagierte darauf, indem er ihm durch seine Haare fuhr und ihm einen Kuss auf den Kopf drückte.
Sie standen noch einen Augenblick so da, bevor sie sich langsam wieder losließen, sich dann etwas ratlos gegenüber standen und in die Augen sahen.
Doch seine Mutter rettete die Situation, indem sie plötzlich auf der Terrasse auftauchte und sich freute:
„Ah, da hast du ihn ja schon gefunden, Thaddeus. Deinen Rucksack habe ich schon ins Gästezimmer gebracht. Und danke nochmal für die Blume, mein Lieber. Die ist wirklich sehr schön und wird gleich beim Abendessen auf dem Tisch stehen."
Erstaunt sah Ardy zu Taddl, der sich jetzt wieder ganz verlegen am Kopf kratzte, sich bedankte und leicht rosa anlief.
Seine Mutter grinste sie beide nochmal breit an, bevor sie dann wieder ins Haus verschwand.
„Rucksack? Blume?", fragte Ardy und runzelte die Stirn.
„Ähm... naja. Also... die Blume. Ich bin ja nicht ganz so der Mütter-Experte, aber ich dachte sie würde sich vielleicht über eine Blume freuen, wenn ich sie schon so überfalle. Also habe ich ihr eine Herbstaster gepflückt und mitgebracht."
Am liebsten hätte Ardy sich jetzt gleichzeitig gegen die Stirn geschlagen und Taddl in eine beschützende Umarmung gezogen. Natürlich, wieso hatte er da nicht gleich dran gedacht. Beim Thema Mütter war Taddl wirklich mehr als sensibel, was kein Wunder war, wenn man von seiner eigenen so früh einfach im Stich gelassen worden war. Aber trotzdem war er hierhergekommen. In dem Wissen, dass Ardy bei seiner Mutter war und dass es vermutlich sie sein würde, die ihm die Tür öffnete, sobald er hier klingelte. Aber dennoch stand er jetzt hier vor ihm.
Ardy lächelte ihn leicht verlegen und ein bisschen stolz an, bevor er ihm erklärte:
„Sie liebt Blumen. Damit hast du voll ins Schwarze getroffen."
Zufrieden grinste Taddl zurück und schob beide Hände in die Hosentaschen.
„Und der Rucksack?", versuchte Ardy das Gespräch am Laufen zu halten und schob seine Brille wieder ein Stück nach oben.
„Naja... ich dachte, wenn ich dich schon besuche, dann bleibe ich bestimmt nicht nur ein paar Stunden, sondern länger. Also brauch ich natürlich auch Wechselklamotten. Außerdem hast du ein paar von deinen Lieblingsklamotten in der Waschmaschine vergessen."
Taddl sagte das mit so einer Selbstverständlichkeit, dass ihm schon wieder ganz warm ums Herz wurde. Warum genau Taddl jetzt eigentlich hier war, ob aus Freundschaft oder mehr, wusste er nicht. Aber das war ihm in diesem Moment einfach egal, so verdammt egal. Hauptsache er war hier bei ihm.
Während er überlegte, was er sagten sollte, grinste er Taddl einfach nur unsicher an. Der grinste genauso unsicher zurück und sah sich dann im Garten um.
„Soll ich dir vielleicht helfen?", nickte Taddl zu dem Laubhaufen hinüber, den er noch vor Kurzem zusammen getragen hatte.
Dankbar dafür, dass Taddl etwas vorschlug, wobei sie nicht sonderlich viel miteinander sprechen mussten, erklärte er ihm, dass er vielleicht die Nüsse des Haselnussbaums sammeln konnte, die herunter gefallen waren.
Ohne irgendetwas dazu zu sagen, nickte Taddl nur, machte sich an die Arbeit und sammelte die Nüsse in der Kiste ein, die seine Mutter schon bereitgestellt hatte.
Auch er machte sich wieder an die Arbeit und harkte weiter das Laub. Schweigend arbeitete jeder für sich, doch ab und zu tauschten sie ein paar Blicke aus oder Taddl warf mit ein paar Nüssen nach ihm, während er Taddl Laub auf den Kopf setzte. Irgendwie fühlte er sich noch nicht wirklich dazu bereit, wirklich mit Taddl zu reden. Er musste erst einmal damit klar kommen, dass er hier bei ihm war. Danach konnte er sich Gedanken über irgendwelche Gespräche machen.
Als seine Mutter das nächste Mal auf die Terrasse kam, schickte sie sie beide unter die Dusche, damit sie rechtzeitig zum Abendessen fertig waren. Ardy ließ Taddl zuerst duschen und nachdem sie fertig waren und ihre Haare einigermaßen trocken gerubbelt hatten, sahen sie beide sich immer noch schrecklich ähnlich. Die Haare waren nicht gemacht, sie trugen immer noch ihre Brillen und keine Kontaktlinsen und beide hatten einen Kapuzenpullover an. Doch Ardy mochte das, es war so wie zu Hause in ihrer Wohnung. Nur redeten sie da mehr miteinander. Aber das würde schon noch kommen.
Unten in der Küche angekommen schlug ihnen sofort der Duft frischer Pizza entgegen und Ardy ließ Taddl auf seinem Lieblingsplatz auf der Bank sitzen. Als er sah, dass er jedoch in der Gegenwart seiner Mutter tatsächlich irgendwie sehr nervös wirkte, setzte er sich neben ihn und war sogar mutig genug, ihn mit seinem Knie unter dem Tisch anzustupsen.
Taddl sah auf ihre Knie und grinste ihn dann wieder an. Und es war genau dieses verdammte Grinsen, bei dem sein Herz am meisten durchdrehte. Und dieses dämliche Kribbeln in seiner Magengegend konnte sich ruhig auch mal wieder etwas zurück nehmen.
Seine Mutter stellte ein großes Backblech voller selbst gemachter Pizza auf den Tisch und Ardy sah sofort, dass die Pizza durch ihre unterschiedlichen Zutaten quasi in drei Teile geteilt war. Mit einem Messer schnitt sie den Pizzateig genau an den imaginären Linien entlang auseinander und gab ein großes Stück davon auf Taddls Teller.
„Ich hoffe, du magst alles, was da drauf ist", erklärte sie Taddl.
„Ardian hat erzählt, dass du keinen Broccoli magst, aber Tomaten schon. Habe ich mir das richtig gemerkt?", grinste sie seinen besten Freund jetzt an.
Ardy sah sie schockiert an, doch sie ignorierte ihn einfach. Das hatte sie doch jetzt nicht wirklich gesagt, oder? Sie konnte doch Taddl nicht einfach erzählen, was er alles über ihn zu Hause erzählt hatte! Sogar, was er gerne aß und was nicht. Ging es eigentlich noch peinlicher?
In so einer Situation konnte er definitiv nicht vermeiden, dass er furchtbar rot anlief. Schnell versuchte er so zu tun, als würde er sein Stück Pizza besonders arbeitsintensiv auf seinen Teller manövrieren, wobei er bei seinem Geschick nicht einmal so tun musste, als ob. Doch aus dem Augenwinkel sah er, dass Taddls Augen kurz aufblitzten, als er zu ihm herüber sah, dann wieder zu seiner Mutter und ihr erklärte: „Alles genau richtig. Vielen vielen Dank."
„Aber gerne, mein Junge. Wenn du schon endlich mal zu Besuch kommst, sollst du doch auch genau das bekommen, was du gerne magst." War das tatsächlich ein zufriedenes Grinsen auf ihrem Gesicht? Oh Mama... was tust du denn da?
Während sie sich ihr eigenes Stück Pizza auf den Teller legte, sah Ardy zu Taddl hinüber, der scheinbar schon auf seinen Blick gewartet hatte, da er ihn kurz abschätzend ansah und ihn dann einfach nur glücklich anlächelte. Etwas unsicher lächelte Ardy zurück und spürte, dass seine Wangen immer noch leicht rosa angelaufen waren. Aber vielleicht würde seine große Brille ja auch einen Großteil davon verdecken.
Nachdem sie sich alle einen guten Appetit gewünscht und zu Essen angefangen hatten, dauerte es nicht lange, bis Taddl bemerkte:
„Mhm, riiichtig lecker!"
Seine Mutter grinste nur vor sich hin und warf ihm irgendwie einen seltsamen Blick zu, den er nicht ganz zuordnen konnte.
Aber ehrlich gesagt war ihm das gerade ziemlich egal. Denn Taddl war hier, bei ihm zu Hause, saß neben ihm, ihm ging es gut und theoretisch sprachen sie auch wieder miteinander. Besser konnte es ehrlich gesagt gerade gar nicht sein.

T zu dem ArdyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt