Part I ~ Tanita

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Newt pov

Die Sonne strahlte unerträglich heiß auf das Straßengewirr New Yorks hinab, das sich weit vor mir erstreckte, unterbrochen von riesigen Wolkenkratzern und Neonreklamen. Das Grün war aus dieser Stadt so gut wie verschwunden und es kam mir dumm vor ausgerechnet mit einer Pflanze in der Hand durch die Gegend zu rennen. Es war ein Kraut, ein Heilkraut, mehr wusste ich darüber auch nicht. Ich sollte es zur Tonne bringen; zu dem Ort, an dem meine Tante Tatiana forschte. Die Menschheit war auf der Suche nach einem Heilmittel gegen den Brand.
Was, wenn sie keins fanden?
"Tatiana?", rief ich über den Lärm eines Lifts hinweg, der in Lichtgeschwindigkeit einige Gitterteile nach oben in das Bauunternehmen CYB beförderte. An dem Schall hatten sie noch zu arbeiten. Und das mit der Lichtgeschwindigkeit war wohl etwas übertrieben. Jedenfalls schneller als letztes Jahr noch oder als ich noch ein kleines Kind gewesen war. "Tatiana!", wiederholte ich, diesmal lauter. An der Mauer neben der Tonne lehnte ihre Tochter, meine Cousine Tanita. Manchmal fragte ich mich, wie Tante Tatiana so unkreativ hatte sein können. Ich meine Tatiana - Tanita. Einmal durch den Buchstabengenerator und es lief auf das gleiche hinaus. "Hey." Ich nickte ihr kurz zu, schwang mich am Seil zur Tonne hoch und schmiss meine Pflanze hinein. "Könntest du deiner Mum sagen, dass das die Letzte war?", erkundigte ich mich. Tanita nickte abwesend. Achselzuckend seilte ich mich ab und schlenderte zum Tor hinüber.
"Newt", sagte Tanita plötzlich. Überrascht drehte ich mich um. Meine Cousine und ich sprachen nicht viel miteinander, es sei denn es musste unbedingt sein. Insgeheim glaubte ich, dass sie noch immer wütend war auf das, was ich ihrem Freund angeblich angetan hatte, doch das lag schon so lange zurück und sie hatte immer wieder beteuert, dass es ihr nichts ausmache.
"Ja?" Skeptisch trat ich ein paar Schritte auf sie zu.
"Wenn du eine Möglichkeit hättest, dich vor dem Brand zu schützen, würdest du dafür deine Lieben verraten?", fragte sie mit zittriger Stimme. Verwirrt legte ich den Kopf schief und dachte einen Moment über das nach, was Tanita gerade gesagt hatte. "Selbst wenn es eine Möglichkeit gäbe, mich davor zu schützen... nein. Nein, würde ich nicht."
Auf einmal wurde Tanita wütend. "Lüg mich nicht an!", brüllte sie fast hysterisch. Entsetzt starrte ich sie an. Na ja, nicht sie, wenn dann indirekt. Meine Aufmerksamkeit war von einer hässlichen Wunde gefesselt, die ihre gesamte rechte Seite bedeckte. Sie war infiziert. Es musste so sein. Meine Gedanken überschlugen sich. Der Brand war noch nicht in New York. Sie konnte nicht infiziert sein. Es war nicht möglich. Es war nicht möglich... hastig wandte ich mich ab, riss das Tor auf und rannte. "Newt!", rief sie hinter mir. Ich wusste, das sie mir folgte, drehte mich aber nicht um. "Newt!" Ihr Brüllen klang hysterisch, entsetzlich, markerschütternd. Schnell bog ich in die tenth Avenue ein und klopfte an der Tür. Sie öffnete sich und Enja stand vor mir. Scheiße, schoss es mir durch den Kopf. Ich schlüpfte durch den Spalt, knallte die Tür zur und lehnte mich schwer atmend dagegen. Cranks waren erstaunlich schnell, selbst wenn sie erst im ersten Stadium waren. Zumindest nahm ich das an. Vielleicht war es aber auch bald so weit. Vielleicht sah meine eigene Cousine bald so aus wie die Cranks, die ich aus dem Unterricht kannte. Aufgerissene Haut, blutleer und runzelig. Leere Augenhöhlen, Geschwüre an allen Körperteilen.
"Was ist los?", wollte Enja wissen. Ich drehte mich um und schloss die Tür ab. "Ist sonst überall alles zu?", fragte ich fordernd. "Newt..." Enja stellte sich auf die Zehenspitzen und wollte mich küssen, aber ich schob sie beiseite, durch alle Zimmer gehend um zu überprüfen, ob Fenster und Türen geschlossen waren. "Meine Cousine - Tanita - ist infiziert." Entsetzt schlug Enja sich eine Hand auf den Mund, dann die andere. Zitternd ließ sie sich auf einen Stuhl nieder. Sie drückte auf den Knopf, der Wärme brachte, stand auf und drückte mich auf diesen Stuhl. "Setz sich und sag mir, was du vor hast", forderte sie. Ich starrte in ihre Augen. "Mich - uns - vor dem Brand retten", meinte ich. "Was sonst könnte ich tun?"
"Du musste es ihnen sagen!", rief Enja. "Diese ganzen unschuldigen Menschen..."
"Es ist zu spät!", unterbrach ich sie. "Wir müssen nur sehen, dass wir hier rauskommen, das ist alles. Sie ist auf dem besten Weg, ein Crank zu werden und wir sind nicht immun gegen diesen... diese Krankheit. Wir sind viele, aber... ich weiß nicht, aber ich bin mir fast sicher, dass sie nicht die einzige ist. Wie könnte sie die Einzige sein? New York ist noch nicht infiziert. Sie ist Teil eines größeren Ganzen, dessen bin ich mir fast sich, En. Ich bringe uns hier raus. Wo ist das Kwam?" Mit zitternden Händen reichte das Mädchen mir das Gerät. Es dauerte nur eine Sekunde, dann hatte ich ein große Nummer Bilder zusammengestellt, die ich meiner Freundin zeigte. Es waren erschreckende Bilder, Bilder von Cranks, Menschen, die starben und andere Menschen, die gegen die Cranks angingen. "Zu denen müssen wir", bestimmte ich. "Sie kämpfen. Sie werden uns helfen." Ich brauchte eine ganze Weile, bis ich eine Seite von W.I.C.K.E.D gefunden hatte. Ein Video zeigte eine Frau mit blondem Haar, das zu einem strengen Knoten gebunden war,und einem weißen Kittel.
"Guten Tag. Ich bin Ava Paige, die Leiterin des Instituts W.I.C.K.E.D. und bin froh, dass ihr mich gefunden habt. Seid ihr gegen den Brand? Wir wollen ihn mit allen Mitteln aufhalten. Hier seht ihr Bilder, die die Besten von uns erstellt haben. So wird die Welt in nur fünf Jahren aussehen, wenn wir nicht aktiv dagegen vorgehen." Auf dem Bildschirm war nun ein Satellitenbild der Erde zu sehen. Der Kontinent, der einst Afrika geheißen hatte, bestand aus einer Grauen Masse, die langsam zerfiel. Automatisch warf ich einen Blick auf meine Heimat - und sprang entsetzt auf. Dort, wo sich New York befunden hatte, züngelten Flammen aus einem Berg von gummiartigem Kram, der in den Farben rot und Schwarz waberte. Unwillkürlich griff ich nach Enjas Hand. "Um dies zu verhindern, brauchen wir euch. Wir brauchen Immune. Ihr müsst nichts tun, absolut nichts. Wir werden euch verschiedenen harmlosen Tests unterziehen, aber - seid ehrlich - was sind schon ein paar Tests gegen eine gesunde, friedvolle Welt? Würdet ihr nicht alles dafür tun, eure Freunde, eure Familie zu retten? Meldet euch einfach. Wir werden euch schon finden." Dann glänzte der Bildschirm durch Dunkelheit.
"Newt", flüsterte Enja.
"Bei wem soll ich mich denn melden, verdammt noch mal?", ärgerte ich mich. "Scheiße." Dann drehte ich mich zu meiner Freundin um. "Bist du jetzt dafür, dich in Sicherheit zu bringen?"
"Newt!", stieß Enja unter Tränen hervor. Ich drückte sie an mich, den Blick fest auf die Gestalt gerichtet, die mit erhobenen Händen unnatürliche Bewegungen machte.




Newt: Way Home Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt