Part 14 ~ Ein zweifelhaftes Versprechen

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Für alle die, die Es gibt immer ein Grund zum Leben (Thomas Sangster FF) gelesen haben.

Thomas pov

Natürlich dauerte es nicht lange, bis Ärzte kamen, mich mit pseudoberuhigenden Worten benebelten und mir erklärten, dass Ava auf ihrer Liste nun einmal ganz oben stand und ihre Behandlung sie mehrere Stunden gekostet hatte. Ich machte keine sarkastische Bemerkung wie ich es sonst manchmal tat, sondern schloss einfach die Augen und ließ mich in einen unruhigen Schlaf fallen. Die Ärzte trugen mich weg von diesem verhängnisvollen Ort, dann dröhnte es in meinen Ohren, mein Kopf drohte zu platzen, alles drehte sich...
"Ist alles in Ordnung mit dir, Thomas?", fragte eine besorgte Stimme, die ihren kalten Klang jedoch nicht abgelegt hatte, dafür herrschte diese Kälte schon zu lang in ihrem Innern. Ich stöhnte bei diesem Klang. Natürlich war es Ava, jemand anderes hätte mich gar nicht angesprochen, vielleicht.
"Ja. Klar", murmelte und setzte mich in einem kalten, weißleuchtenden Raum auf. Man hatte mich in weiße Kleidung gesteckt und auf einen Operationstisch gelegt. Vorsichtig tastete ich meinen Körper nach frischen Narben, Verletzungen ab. Hatte der Crank mich gebissen? Ich wusste, wie eine vom Brand verursachte Wunde aussah, hatte das Bild genau und haarscharf vor Augen. Das letzte Mal, dass ich einen Crank gesehen hatte war nicht lang genug her um die Bilder mit kalter Routine zu verscheuchen, sich davon abzuschotten, was einen irgendwann einholen würde, wenn einen selbst nicht, dann die Kinder, die Kinder der Kinder...
"Thomas!" Ava stand in der Tür, halb an den Rahmen gelehnt, kalt lächelnd wie immer. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie gar kein Mensch war, nur ein Eiszapfen in einer gefrorenen Winterlandschaft. Sie war bleich, weizenblond und trug weiß. Wie immer. Sie schien generell so gesund und gefasst wie immer, von einem Schock - falls er jemals vorhanden gewesen war - war nichts mehr übrig geblieben. Vorsichtig angelte ich mit den in weiße Socken gesteckten Füßen nach meinen ausgetretenen Schuhen und schnürte sie. Langsam, wie in Zeitlupe richtete ich mich auf und sah Ava verunsichert ins Gesicht. "Alles okay", versicherte ich ihr. "Bei Ihnen auch?" Ava nickte nüchtern und trat einen Schritt vor. "Der Infirmos Contagiosis hat mich nicht erwischt. Dank dir, Thomas." Innerlich stöhnte ich auf. Infirmos Contagiosis war einfach nur ein anderes Wort für Crank, aber natürlich musste die Paige mal wieder die Wissenschaftlerin raushängen, die alles besser wusste. Hinterher, dessen war ich mir sicher, würde sie sich allein mit dem Heilmittel rühmen, nicht die, die die Welt eigentlich gerettet hatten. Die Jugendlichen. Newt zum Beispiel.
Newt.
"Kein Ding", sagte ich und stand auf. "Kann ich gleich anfangen?" Den Schein wahren. So tun als ob es mir noch immer Spaß machte. Sie musste mir glauben, sie musste einfach.
"Genau darüber wollte ich mit dir sprechen, Thomas. Streng vertraulich." Klonk. Das ging doch nicht! Sie konnte mich doch nicht einfach da rausschicken! Ich war so sicher gewesen. Streng vertraulich. Bedeutete das, dass es niemand wissen sollte? Wie wollte sie Teresa mein plötzliches Verschwinden erklären? Wollte sie mich umbringen oder mich da raus schicken, durch die Tür, durch die Newt hätte gehen können? Ich wollte es doch gar nicht wissen! Ich wollte mir schon die Ohren zuhalten, als Ava auf einmal ihre kühle Hand auf meinen Arm legte. An dieser Stelle breitete sich eine Gänsehaut aus, die nicht von der Kälte rührte. Ich hoffte inständig, sie würde nichts bemerken.
"Hättest du etwas dagegen, wenn ich dich befördern würde?" Jetzt war ihr Lächeln fast freundlich, als sie hinzufügte: "Ich habe nur eine einzige Bedingung."

Newt pov

Es war wieder dunkel und die Neppdeppen ließen sich auch nicht mehr blicken. Einmal hatte ich kurz und unter Aufbietung aller meiner Kräfte meine Augen geöffnet und einen riesigen Raum gesehen. Mir gegenüber hing ein Mädchen, mit Schläuchen an ein Gerät angeschlossen, von der Deck hinab. Einen Blick auf mich selbst hatte ich nicht werfen können, doch ich hatte die Ahnung, dass ich ziemlich so ähnlich aussehen musste wie das Mädchen. Hier zu hängen war komisch. Ohne Halt hing ich hier und am Schlimmsten war, dass dieser nicht vorhandener Halt sich auch noch abbaute. Eben hatte ich daran gedacht, wie ich meinen Hund immer gefüttert hatte und ich war fast froh gewesen, jetzt war er mir gleichgültig. Ein Hund konnte mich aus diesem Elend auch nicht herausholen, auch nicht so ein knuffiger wie... wie hieß er noch gleich? Der Name war weg und der Halt verringert. Er musste mir doch einfallen! Ich musste doch noch wissen, wie er hieß. Dann war es plötzlich weg. Ein neuer Gedanke passierte die Schranke meines Gedächtnisses. Wo sind sie? Wo ist wer? Enja. Ich wusste, dass all diese Gedanken, die ganze Situation, etwas mit Enja zu tun hatten. Enja war meine Freundin. Tanita war meine Cousine. Wie hieß meine Mutter? Wie hieß mein Vater? Er hieß nicht Thomas. Thomas war jemand anderes. Thomas war jemand, der mich verraten hatte, genau das hatte meine Erinnerung gezeigt. Thomas gehörte zu W.C.K.D und wenn ich noch die Möglichkeit dazu hätte, würde ich ihn sofort töten. Vielleicht mit einer Pistole, aber eigentlich hatte ich die alten Waffen immer lieber gemocht. Schwerter, Dolche, Speere. Auf einer Seite hatte ich einmal ein Bild einer ganz anderen Waffe gesehen. Sie hatte Machete geheißen.
Ich fragte mich, warum ich mich an das Bild einer Machete erinnern konnte, nicht aber an die Namen beispielsweise meiner Eltern. Die Antwort darauf war leicht. Sie wollten es nicht also ließen sie es nicht zu. Ich wusste, dass ich mich nicht bewegen konnte, trotzdem versuchte ich es. Einmal die Hand heben, winken vielleicht.
"Netter Versuch", sagte jemand, ich hörte ein reißendes Geräusch, dann war es plötzlich wieder hell um mich herum. Meine Augen brauchten einen Moment, um sich an die plötzliche Helligkeit zu gewöhnen, die um mich herum herrschte. In diesem Raum waren verschiedene Geräte aufgebaut, viele Röhren, in denen Schnecken schwammen, in manchen strampelten Mädchen und Jungen um ihr Leben. Ich wollte stehen bleiben, doch der Mann in grauen Kleidern zog mich vorwärts und er war stark. Ich stolperte, sah immer nach hinten, konnte es nicht fassen. Der Mann schleuste mich in einen leeren Raum mir grauen Wänden und einem kleinen Fenster, durch das rotes Licht hineinfiel. Ich fühlte mich komisch. Ich wusste, wer ich war, aber ich war nicht ich. Ich war Newt - aber Newt, der echte Newt hätte gewusst, wie seine Eltern hießen. Er hätte gewusst, wie seine Schwester aussah. Er hätte ein genaues Bild der Kette gehabt, die seine Freundin immer getragen hatte. Der neue Newt sah die Kette um Enjas Hals, doch sie war verschwommen, nur ein schwaches Leuchten wies darauf hin, dass sie überhaupt existierte. Im Gegensatz zu eben jedoch, wusste ich, wie mein Halt aussah. Ich hatte einen Halt und ich wusste, er war da.
Es war verwirrend.
Der Mann stellte sich als Janson vor und er sprach so freundlich. Es passte doch alles nicht zusammen. Ich starrte ihn mit wütendem Blick an und überlegte einfach weiter ohne zuzuhören. Es musste mir doch wieder einfallen! Ich müsste schon einen Gedächtnisschwund erlitten haben, oder... warte, da war noch etwas. Irgendwas. Gedächtnis, Gedächtnisverlust, Gedächtnis löschen. Gedächtnis löschen? Das ging doch nicht! Ging das?
Ohne groß nachzudenken sprang ich von meinem klapprigen Metallstuhl auf und konnte ich gerade noch beherrschen, Janson nicht mit der Faust ins Gesicht zu schlagen. "Löschen Sie mein Gedächtnis? Löschen Sie es? Sagen Sie es mir! Ich vergesse Dinge, Sie - ! Ich weiß nicht mehr, wie meine Mutter heißt! Ich weiß gar nichts mehr! Sagen Sie es mir, bin ich noch Newt? Was ist mit Enja?" Janson lächelte ein falsches Lächeln, stellte meinen umgefallenen Stuhl wieder auf und drückte mich mit sanftem, aber bestimmten Griff zurück auf das bröselige Metall. "Es ist interessant, an wie viel du dich tatsächlich noch erinnern kannst, Newt. Alby wusste nicht einmal mehr das Aussehen seiner Eltern, geschweige denn wie sie hießen..."
"Woher wissen Sie, dass ich weiß, wie meine Eltern aussehen? Und wer ist Alby?", unterbrach ich ihn mit aller meiner Wut in der Stimme. Vielleicht klang es ja ein kleines bisschen gefährlich.
"Immer mit der Ruhe, Junge. Du wirst wohl verstehen, dass ich dir auf deine Fragen keine gezielten Antworten geben darf. Nur eins: du bist Newt." Ein gehässiges Grinsen huschte über sein Gesicht, aus dem mich dunkelgraue Augen interessiert musterten. "Ich werde einen Spezialisten holen. Du bleibst hier." Ich sprang wieder auf, auch wenn es weh tat. Mein Körper fühlte sich ausgelaugt an, schwach, zu nichts wirklich fähig. "Einen Klonk werde ich tun, Sie Strunk!", schrie ich. "Wissen Sie eigentlich, was für ein verdammter Neppdepp Sie sind?" Aber Janson wandte sich nicht einmal mehr um. Der Schlüssel drehte sich im Schloss. Irgendwas war da auch mit einem Schlüssel in meiner Erinnerung, aber ich war zu müde, um noch darüber zu grübeln.
Die graue Tür öffnete sich und ein Junge trat ein. Er war ein kleines bisschen größer als Janson und viel sympathischer. Er kam mir bekannt vor, aber bei W.C.K.D war ich lang gewesen, ich könnte ihn auch nur einmal gesehen haben. Seine dunklen Augen schauten traurig drein; allgemein sah er traurig aus. Ich stolperte ein paar Schritte rückwärts und schnappte mir meinen Stuhl. Wütend richtete ich die Stuhlbeine auf den Jungen und wich weiter zurück, bis ich mit dem Rücken an die verputzte Wand stieß. Er lächelte nicht einmal. "Ich sollte dich das machen lassen", meinte er nur und deutete mit dem Kinn auf den Stuhl in meinen zitternden Händen. "Aber es geht nicht. Ich bin ein Angsthase, Newt, das gebe ich auch zu. Sie würden mich töten. Ich will das nicht."
Wovon redete er?, dachte ich, nickte aber nur. "Du solltest mich das machen lassen. Wer immer du auch bist..."
"Du erinnerst dich nicht mehr?", fragte der Junge und die Art und Weise wie er die Augenbrauen hob, spülte meine Erinnerungen an ihn dicht an die Oberfläche. Sie erreichten mich fast, nicht ganz. Ich sah eine Szene in einem dunklen Raum, ich stand in der Tür, dann rannte ich auf ihn zu. Ich nannte ihn Tommy. "Thomas", zischte ich und erkannte, wie der Junge die Hoffnung aufgab. "Du darfst nicht falsch von mir denken, Newt", sagte er ungerührt und ich dachte so falsch von ihm wie ich nur konnte. Sagte mir, dass er es nicht besser verdiente. Worum ich ihn gebeten hatte war einfach gewesen. "Hilf mir, Tommy", hatte ich gesagt.
"Du hast mir nicht geholfen." Ich unterdrückte den Drang, zu schreien, ihn zu schlagen. Das würde es nicht besser machen.
"Dafür helfe ich dir jetzt", beschwichtigte er mich. "Ich kriege schon irgendwas hin, damit du deine Erinnerungen behalten kannst." Thomas klang verzweifelt. "Ich darf nur nichts auf die Beine stellen, das mich verraten könnte. Aber ich versuche es. Versprochen."
"Wie viel zählt dein Versprechen?", fragte ich. Dann ließ ich den Stuhl langsam sinken. "Also gut. Was sollst du mit mir machen?" Tommy zuckte die Achseln. "Ein paar Tests um zu kontrollieren, welche Masse an Erinnerungen du noch besitzt. Siehst du das hier?" Er hielt mir ein vibrierendes Gerät, auf dem mein Gesicht abgebildet war; blondes Haar, dunkle Augen, es interessierte mich nicht. "Hier sind deine Erinnerungen aufgezeichnet. Ich sage dir jetzt, was dir passiert. Das tue ich sonst nicht, ja? Du bist vorbereitet."

Die Welle brach über mir zusammen und ich wurde mit ihr in die Tiefe gerissen. Am Boden wartete Dunkelheit auf mich, reinste Dunkelheit. Ich dachte an die Dinge eben. Ich hatte Menschen gesehen, eine riesige Menge, mitten unter ihnen ein Mädchen mit braunem Haar, das lächelte, sie strahlte wie die Sonne. Wer war noch mit in der Menge? Ich, Newt. Ich hielt ihre Hand, wer war sie? Sie trug eine Kette, doch ich konnte sie nicht sehen. Hinter uns war jemand, ich drehte mich um und hörte einen Namen in meinem Kopf: Tatiana. Das war also Tatiana. Wer war Tatiana?
Plötzlich war ich wieder im engen Raum, mir gegenüber stand Thomas mit gequältem Gesichtsausdruck. Er tat mir leid. "Das ist alles, woran du dich noch erinnern kannst, Newt. Was jetzt kommt... denk immer daran, dass es nur eine Simulation ist."
Das Mädchen hieß Enja. Sie war meine Freundin. Tatiana war meine Tante.
Dann war da Leere.

Es war ein zweifelhaftes Versprechen, das er mir gegeben hatte. Nicht nur zweifelhaft, sondern absolut unmöglich.


Ich habe genau 2015 Wörter! Nice!
Am Ende dieses Kapitels und gewissermaßen auch des W.C.K.D-Lebensabschnitts, möchte ich euch allen für alles danken. Ihr habt Kommentare geschrieben, gevotet, gelesen. Dafür danke ich euch. Es kommt ja auf die Qualität an, nicht auf die Quantität. Ich habe vielleicht nicht viele Leser, aber für diese Paar ist mein Buch anscheinend gut genug. Danke an euch alle:
Joan_1999
ally2907 (alias die wunderbare Macherin meines Covers)
_fxrever_free_
LoneGirl1
Ich bin so froh, dass es euch gibt und ich hoffe, ihr verzeiht mir auch, dass so lange nichts kam. Ich habe euch im letzten Kapitel Skogland empfohlen, heute ist ein anderes Buch dran. Genauer gesagt eine Fanfiction. Ihr könnt sie alles lesen, weil sie hier auf Wattpad ist! Sie heißt: Es gibt immer ein Grund zum Leben (Thomas Sangster FF) und ist von Joan_1999. Vielleicht ist sie ja auch so Thomas B-S verrückt wie ich. Wer weiß...:)
Euch allen einen schönen Tag noch!!

LG, DarcyNarcy



Newt: Way Home Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt