Part 39 ~ Wachspapier, Codewörter und Andeutungen

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Newt PoV

Ich versuchte, nicht allzu verblüfft auszusehen, als die Griewer mit ihrer Beute abzogen, doch meinen Mund bekam ich trotzdem nicht zu. Verwirrt? Nein, verwirrt war, wenn man morgens aufwachte, orientierungslos. Panisch? Panisch war, aufzuwachen ohne überhaupt zu wissen, was Orientierung war. Panisch war damals gewesen, als ich in der Box aufgewacht war, ganz allein. Perplex? Ja, das traf es ganz gut, irgendwie. Perplex war, wenn man nicht glauben konnte, was man sah. Und das konnte ich definitiv nicht. Ich starrte noch zum Tor hinüber, als der Himmel sich langsam aufhellte, erst mitternachtsblau und schließlich rauchgrau wurde, unbewegt saß ich im Gras und starrte und starrte. Es dauerte länger als ich gedacht hatte, bis ich endlich Schritte hörte. Ich legte meine Hand auf den Boden und spürte die Vibration der Erde. Es waren leichtfüßige, schnelle Schritte, die schnell in meine Richtung rannten, völlig ungebremst. Ich musste mich nicht umdrehen, um zu wissen, wer da angerannt kam. Ich wusste es einfach.

„Newt", wisperte sie atemlos. Der Boden schien einen Moment lang aus den Angeln zu geraten, als sie sich neben mir niederließ, dann stand er wieder bombenfest. Ich schlug meine Finger ins Gras und riss ein paar Halme aus. Warum ich Hayley so lange auf die Folter spannte, wusste ich selbst nicht. Vielleicht war doch mehr von dem Sadisten in mir, als ich immer gedacht hatte. Vielleicht waren nicht alle meine Handlungen von Enjas Bosheit gesteuert gewesen, sondern auch von meiner eigenen. Aber darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Jetzt wollte ich nur eins. Sofort. Also streckte ich meine Finger aus und schob sie über das Gras hinüber zu Hayleys Hand. Mit meinen Fingerkuppen strich ich über die raue Haut an ihren Knöcheln und umfasste ihre kleine Hand schließlich mit meiner Faust. Ich drückte sie und sie drückte zurück, und ich drückte noch einmal und sie auch und das Lächeln auf meinem Gesicht war nicht mehr länger zu verstecken. Nicht, dass ich das gewollt hätte. Trotzdem. Auch auf ihr Gesicht stahl sich ein Lächeln, und als ich sie ansah, ging die Sonne auf. Ihre grauen Augen leuchteten auf und zum ersten Mal überlegte ich, ob sie nicht vielleicht doch blau waren, ganz leicht nur, aber jetzt, wo sie jeden einzelnen Strahl meiner persönlichen Sonne reflektierten, war da ein farbiges Glitzern, das mir vorher noch nie aufgefallen war.

„Du bist hübsch, wenn du lächelst", sagte ich lächelnd. Hayley verdrehte die Augen und schnaubte.

„Schleimer." Sie lachte und ich sah sie nur an, ihr leuchtendes Gesicht und das breite Grinsen wich einem verträumten Lächeln. Ich überlegte kurz, wann wir uns das letzte Mal geküsst hatten, aber im Grunde war das ja egal. Wir taten es jetzt, und obwohl unsere Lippen uns nur kurz berührten, fühlte ich mich unter Strom gesetzt, stark genug, um den Tag zu überstehen. Ich grinste und sie grinste und wir hatten alles vergessen. So lange unsere Welt perfekt war, war es egal, ob die Welt um uns herum zerbrach.

„Für immer, okay?", fragte ich.

„Für immer", schwor Hayley und ihr Lächeln breitete sich wieder auf dem schmalen, bleichen Gesicht aus. So lange unsere Welt nur perfekt war...

„Die Sonne geht nicht auf", flüsterte sie in den Himmel. Das stimmte. Die Wolkendecke über uns war dunkelgrau und das Licht, das unsere Gesichter erhellte, trüb. Die Lichtung war langsam zum Leben erwacht, ich hatte Thomas und Minho beobachtet, Hayleys Hand in meiner hatte ich da gelegen, auf den Bauch gedreht, und hatte beobachtet, wie das Leben um uns herum weiterging, während wir uns einfach gegen den Strom stellten und mit dem Leben mal kurz Pause machten. Das Privileg der Verliebten. Unser Glück.

„Na und", murmelte ich schläfrig. „So lange meine Sonne scheint, ist es mir egal was mit ihrer großen Schwester da oben im Himmel passiert." Ich drehte mich auf die Seite und rupfte etwas Gras aus dem Boden, das ich dann wiederrum auf Hayleys Rücken feuerte. Es machte Spaß, einfach mal Pause zu machen. Ich könnte mich daran gewöhnen. Nur für Hayley schien das anscheinend nicht zu funktionieren. Als sie sich zu mir umdrehte, war das Lächeln erloschen und ihre Augen funkelten zwar, aber sie waren definitiv grau, sturmgrau. Ich verzog das Gesicht und wappnete mich gegen den Sturm, den sie mir gleich entgegenschleudern würde. Doch erstaunlicherweise passierte nichts davon. Stattdessen erschien ein halbes Lächeln auf ihrem Gesicht und sie stützte sich auf ihren Arm auf.

Newt: Way Home Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt