Part 34 ~ Für den Moment

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Newt PoV

Die beiden Platten, die sich bei meiner ersten Ankunft hier quietschend geöffnet hatten, waren offen, als wir das erste Mal wieder Licht sahen und gegen den hellen, fast weiß leuchtenden Himmel setzten sich die drei Personen da oben auf der Umrandung, die einmal um die Box lief, fast schwarz ab. Ich konnte keinen von ihnen erkennen und machte mir die Mühe auch gar nicht, schließlich konnte ich durch die plötzliche Helligkeit sowieso nichts sehen. Wie spät es wohl war? Die Sonne schien unglaublich hell auf uns hinab, wie die Mittagssonne. Also war es Mittag. Stunden hatten wir in dem engen, quadratischen Raum verbracht, teilweise in Angst, teilweise in tiefer Trauer. Minho und ich hatten kaum ein Wort gewechselt auf unserer Reise wieder zurück nach oben. Beide waren wir näher an Hayley herangerückt, doch keiner von uns hatte sich getraut sie anzufassen. Wir wussten auch so, dass ihre Unterarme aufgerissen waren und auch sonst überall Wunden ihre Haut bedeckten. Da gab es nichts zu fühlen. Und um ganz ehrlich zu sein, ekelte ich mich davor, sie zu berühren. Ich konnte noch nie Blut sehen. Und erst recht nicht ihres.

„Newt", hörte ich den hölzernen Klang von Minhos Stimme in meiner Nähe. Ich blinzelte gegen den Schein der Sonne und konnte langsam wieder andere Konturen erkennen. Die Box von innen und der Rand da oben, wo die drei Gestalten - Alby, Chuck und Gally - noch immer unbeweglich standen, Minho, der sich über mich beugte, die Kiste, hinter der wir uns auf dem Weg nach unten versteckt hatten, ganz die ängstlichen Jungs, meine Hand, der Gitterboden, bald auch mein Arm, die gekreuzten Beine, die zitternden Knie. Ich sah wirklich alles an. Nur in die Richtung der Leiche wagte ich keinen Blick. Es kam mir vor, als würde jemand mit einer Peitsche auf mich einschlagen; ich krümmte meinen Rücken und vergrub das Gesicht in den rauen Handflächen voller Schlieren. Was die anderen dachten, war mir egal. Ich dachte nur an mich in diesem Moment. „Newt, komm. Wir können nichts mehr für sie tun." Durch einen Schleier von Tränen sah ich hinauf zu meinem neu gewonnen Freund und versuchte, die Feuchtigkeit aus meinen Augen zu vertreiben.

„Weißt du noch, was ich gesagt habe? Dass ich alles für sie tun würde? Alles?" Minho nickte langsam. Auch er hatte einen Knoten im Hals und würde am liebsten losheulen, das sah man ihm an. „Es ist, als hätte das Leben keinen Sinn mehr." Ich merkte, dass ich zu mir selbst sprach, es war gut, sich einmal alles von der Seele reden zu können. „Wenn ich nichts mehr für sie tun kann, dann gibt es nichts, für das ich mein Leben geben könnte. Wenn du niemanden hast, für den du das tun würdest - wenn du niemanden so sehr liebst -, dann hat dein Leben keinen Sinn mehr. Und seid mir nicht böse, aber ich würde für niemanden von euch sterben wollen. Ich kann nicht mehr leben. Nicht so."

„Scheiße", hörte ich jemanden fluchen, eher genervt als alles andere. Im ersten Moment dachte ich, Minho hätte geredet, doch dann merkte ich, dass das nicht zur Situation passte. So reagierte man einfach nicht, wenn jemand einem unterbreitete... ich dachte meinen Gedanken nicht zu Ende, sondern sprang auf, nur um mich sofort wieder fallen zu lassen, einen Meter weiter. Ich schlang meine Arme um sie und hielt sie ganz fest. „Waren das gerade Mordgedanken?", fragte sie mich, doch ich antwortete nicht. Mit meinen Augen war ich in ihren versunken, in diesem Sturmgrau.

„Okay." Hayley nickte ironisch, wobei sie vor Schmerzen zusammenzuckte. Fast hatte ich vergessen, wie verletzt sie war. Komischerweise schien sie verwundert über das, was sie sah. Neugierig fuhr sie mit dem Zeigefinger über ihren Unterarm, betrachtete mit argwöhnischem Blick ihre zerkratzten Beine und sog scharf die Luft ein, als sie das blutverschmierte Shirt an sich sah. Ihre Stirn lag in Falten, ein Gesichtszug, den ich noch nie an ihr gesehen hatte. Eine Stichflamme des heißen Verlangens flammte in mir auf. Ich wollte sie noch fester fassen, doch sie löste sich von mir und das konnte ich ihr nicht einmal verübeln. Ich war mehr als sadistisch gewesen ihr gegenüber.

„Das waren definitiv Mordgedanken", stellte sie fest und versuchte, aufzustehen. Als sie mit dem Bein einknickte, hielt ich sie fest. Es war so ziemlich das beste Gefühl, das ich mir vorstellen konnte. Doch sie befreite sich aus meinem Griff. In ihrem Blick lag kein Hass, keine Verachtung. Sie schien einfach nur verwirrt, wie sie da stand, auf zitternden Beinen, die Handflächen nach außen gedreht, sodass sie das Licht einfingen, den Blick nach oben in den makellosen Himmel gerichtet. Wie in Zeitlupe drehte sie sich im Kreis, jetzt betrachtete sie die Lichtung, ihr Zuhause. Ihr Mund öffnete sich beim Anblick des vertrauten grünen Quadrats, das von riesigen Mauern eingeschlossen war. Alle Blicke ruhten auf ihr, wir alle waren froh, doch sie betrachtete nur ihre Umgebung. Ich tauschte einen Blick mit Minho, der mir ein aufmunterndes Lächeln zuwarf. Er schien mich also tatsächlich zu mögen und er neidete mir nichts, nicht einmal das einzige Mädchen unter uns. Nicht, dass sie mir gehörte. Aber jetzt, da ich die Mauer zum Fallen gebracht hatte, war ich mir sicher, dass ich auch das schaffen würde.

Newt: Way Home Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt