Part 13 ~ Das "Für immer" besteht aus vielen "Jetzt"

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Newt pov

Es war schwarz um mich herum, fast vollständig undurchsichtig, nur durchbrochen von einzelnen Lichtstrahlen und Schemen, die nichts zu erkennen gaben. Dunkelheit und Geräusche, daran dass ich Geräusche hören konnte, würden sie sicherlich noch arbeiten. Fast fand ich es schade, dass ich es denken konnte. Alles wäre so viel einfacher, wenn ich einfach abgeschaltet worden wäre wie ein Automat, ganz einfach, ganz schnell. Stattdessen geisterten Wörter, Bilder und markerschütternde Schreie durch meinen Kopf ohne dass ich es verhindern konnte.
Meine lebhafteste Erinnerung war noch nicht lang her. Sie zeigte Thomas, wie er mitten im Raum stand, blutbefleckt und mit einem Ausdruck des Wahnsinns im Gesicht. Zwischen ihm und Ava Paige lag ein toter Crank quer auf dem Boden, er stand in gebeugter Haltung vor einem Plastikkorb voller Blutsprenkel. Ich konnte mich selbst nicht sehen, aber ich wusste, was ich getan hatte. Ich hatte mein Todesurteil unterschrieben, nur um Thomas Zeit zu geben, sich selbst verteidigen zu können. Dass er ihr gerade das Leben gerettet hatte, konnte ich ja nicht ahnen.
"Scheiße, Newt, was machst du denn hier?", fragte er mich völlig entgeistert; ich verstand nicht, was er meinte. Ich hatte ihm gerade das Leben gerettet! Unwillkürlich fühlte ich mich an den Abend unserer ersten Begegnung zurückversetzt. Was machst du denn noch hier, so spät? hatte er gefragt. Damals hatte ich ihm nicht geantwortet und auch jetzt brachte ich kein vernünftiges Wort heraus. "Thomas...", stammelte ich. "Ich hab dir gerade - wollte Ava Paige nicht..."
Dann sah ich ein plötzliches Erschrecken in seinen Augen, das mich in Panik versetzte. "Was ist los, Tommy!", schrie ich. "Was siehst du?" Ich drehte mich schnell herum und entdeckte am Ende des Ganges Gestalten mit Gewehren. Die Soldaten. Thomas erbleichte. "Wo kann ich mich verstecken?", fuhr ich ihn an, doch er machte keine Anstalten, mir zu antworten. Ich rannte auf ihn zu und verdrehte seinen Arm so, dass er vor Schmerz keuchte. "Wo?", brüllte ich in sein Ohr. Warum war ich schon wieder dem Tod so nah? Ich war fünfzehn, immer noch! "Es gibt doch einen Ausgang? Es muss einen Ausgang geben!" Ich merkte selbst, wie sehr ich mich nach einem Kitschroman anhörte, aber es war mir egal. Ich wollte nicht Thomas' Freundschaft, kein Dach über dem Kopf, ich wollte einfach nur leben.
Obgleich ich wusste, dass das Leben da draußen aus Blut und Tod, letztendlich aus Cranks bestand, was war die Alternative? Die Alternative bestand darin, dasselbe zu tun, was Thomas tat. Das konnte ich nicht. Das konnte ich unter keinen Umständen, auch nicht unter den gegebenen. Nicht so. Die Schritte der Soldaten kamen näher und mein Körper verkrampfte sich. "Hilf mir, Tommy", hörte ich mich noch flüstern.

Dann brach die Erinnerung ab.

Thomas pov

Sie waren fortgegangen ohne mich auch nur noch eines einzigen Blickes zu würdigen; vielleicht hatten sie mich auch einfach nur übersehen, aber das erachtete ich für ziemlich unwahrscheinlich. Wer übersah schon einen Jungen, den er kannte, der Blut spuckte, keuchte und sich vor Schmerzen wand? Jemand der den Jungen übersehen wollte. Ein paar Minuten lang schaute ich ihnen hinterher, dann brach ich auf dem verschmierten Boden direkt neben der Stelle, wo eben noch der Crank gelegen hatte, zusammen. Ein Glück dass sie ihn mitgenommen hatten.
Ava Paige hatte mir vor langer Zeit einmal Teile meiner Flucht vor dem Brand erzählt. Sie hatte gesagt, dass meine Mutter mich stark gefunden, dass sie mich für tapfer gehalten hatte. "Mein kleiner Held", hatte sie mich angeblich immer genannt und ich hatte das traurig gefunden. Selbst Ava, die von innen praktisch zu Stein erstarrt war, hatten Tränen in den Augen gestanden, aber das war ja jetzt auch schon ewig her.
Was jetzt zählte war das, was jetzt passierte. Was passiert war, war dass ich meine Mutter enttäuscht hätte, wenn sie noch gelebt hätte. Ich hatte wie ein Versager gehandelt, nicht wie der Held, den sie immer in mir gesehen hatte. Ich hatte die Wahl. In einer aussichtslosen Situation hatte ich doch eine Wahl.

"Scheiße, Newt, was machst du hier?", fragte ich ihn und überlegte fieberhaft nach einem Ausweg. Es musste doch möglich sein, ihn und trotzdem auch mich zu retten! Es gehörte nun einmal zum Menschsein dazu, einen Drang zum Überleben zu haben und meiner war besonders ausgeprägt. Ich war selbstsüchtig, selbstsüchtig und gemein. Ich müsste ihn schnell durch die Sicherheitsschranken lotsen, ihm den Weg nach draußen zeigen, ihn retten, mich opfern. Newt überlegte einen Augenblick und begann dann, etwas von Ava Paige zu faseln, aber ich hörte ihm gar nicht richtig zu. Aus dem Augenwinkel versuchte ich, den Gang zu beobachten ohne den Blick wirklich von ihm abzuwenden. Der alles verschluckende Nebel, der mich schon zu oft umgeben hatte, war wieder da. Meine Sicht wurde von ihm gedämpft, mein Verstand benebelt. Ich sah kaum etwas und konnte es nicht verarbeiten, aber was ich plötzlich sah, versetzte mich in Angst und Schrecken. Newt schien es zu merken und ich war wieder da. Ich war endlich wieder da.
Das Bild, das sich mir bot, zeigte Männer in schwarzen Kampfmonturen, auf denen blaue Reflektoren gedimmtes Licht ausstrahlten. Sie würden ihn holen und wenn ich ihm helfen würde, wäre ich verloren. Ich hatte also die Wahl. Wieder erinnerte ich mich an die den Tränen nahe Ava Paige, die mir erzählte, wie meine Mutter mich immer einen Helden genannt hatte. Vielleicht hatten Ava und sie sich nahe gestanden, das würde erklären, warum sie mich so mochte, aber genau wusste ich es ja nicht. Was hatte mich damals zum Helden gemacht wenn ich doch noch so klein gewesen war?
Ich machte meinen Job so, wie ich sollte, weil es draußen, wo es vor den ganzen Cranks nur so wimmelte, keinen gab. Zumindest keinen wie diesen, nicht jetzt. W.I.C.K.E.D war meine größte, meine einzige Chance. Ich durfte sie nicht gegen mich bringen. Konnte ich mich gegen mich selbst bringen? Durfte ich zulassen, wie mein Gewissen mich von innen zerfleischte, während ich nur immerfort versuchte, es abzuschalten? Ging das überhaupt, das Gewissen abschalten... meine Gedanken wurden jäh von einem Ausruf der Verzweiflung unterbrochen. "Was ist los, Tommy!", schrie er. Ich wünschte, er würde diesen Namen nicht immer wieder benutzen. Irgendwas war daran, das mich traurig und weich, das mich schwach machte. Ich schielte an ihm vorbei zu den näher kommenden Soldaten und schloss die Augen. "Was siehst du?"
Ich wollte ihn nicht hören.
Er sollte aufhören.
Ich wusste es doch. Er könnte es auch wissen, müsste sich nur ein einziges mal umdrehen, seine Fragen nervten mich. Jetzt drehte Newt sich um, ich konnte es an dem heftigen Einatmen erkennen. Selbst dass sein Körper sich versteifte konnte man irgendwie fühlen, selbst wenn nicht, es war sehr wahrscheinlich. Als ich die Augen aufschlug und die schattenartigen Gestalten näher kommen sah, wich mir das Blut aus dem Gesicht. Ich hatte die Wahl. Ich konnte der Held sein, den meine Mutter in mir gesehen hatte. Oder ich konnte... ich sein. Thomas ohne sein Gewissen. Was war ein Mensch ohne Gewissen? Er war kein Mensch. Er war - wenn überhaupt - ein Crank. Newt wurde hysterisch, lief auf mich zu, ich wusste, ich enttäuschte ihn, ich sollte ihn retten.
"Wo kann ich mich verstecken?", brüllte er. Ich antwortete nicht, überlegte noch fieberhaft, wer ich war. Bruchteile einer Sekunde später war er neben mir und drehte mir den Arm auf den Rücken, so viele Muskeln versteckten sich hinter der schlaksigen Gestalte des blonden Jungen mit den großen, angsterfüllten Knopfaugen, ich hätte es wissen müssen. Er hielt meinen Kopf nach unten und brüllte ein Wort, nur ein einziges Wort so laut in das Ohr, dass das Trommelfell zu platzen drohte. Ich konnte nichts mehr hören, doch ich konnte sehen. Auf die graue Tür hatte jemand mit Tape die Buchstaben T und N geklebt und obwohl ich wusste, dass sie für etwas ganz anderes standen, sah ich in ihnen nur unsere Namen: Thomas und Newt. Hinter dieser Tür hätte seine Freiheit gewartet, doch ich hatte sie ihm verwehrt.
Mein Gehör kam drei Sekunden zu früh zurück.
Newt hatte mich losgelassen, an seinen Schädel wurden fünf Pistolen gehalten und in seinen Augen spiegelte sich nackte Angst. "Hilf mir, Tommy", flüsterte er. Mein Körper bebte und erst jetzt erkannte ich, dass ich weinte. Ich durfte nicht weinen! Ich musste jetzt überzeugend sein. Ich schluckte, bevor ich mich mühsam in eine aufrechte Haltung brachte und einen der Soldaten zitternd eine Hand auf den Rücken legte.
Was ist mit deiner Mutter passiert?
Ich sagte mir, dass ich aufhören musste. Newt war nur ein Junge. Nur ein Junge. Er war mehr als nur ein Junge gewesen für mich. Er war mein Freund gewesen. Ich nahm die Hand vom Rücken des Soldaten, der sich nicht einmal umgedreht hatte. Ich machte ihn leiden, jetzt sollte ich auch leiden. Wenigstens ein bisschen. Wenigstens fast.

Ich hatte die Wahl gehabt. Ich hatte den Schlüssel gehabt, den Schlüssel in seine Freiheit, doch ich hatte ihn ihm nicht gegeben. Ich hatte die falsche Entscheidung getroffen. Ich hatte mich gegen seine jetzige, jetzt wichtig gewesene Rettung entschieden und stattdessen ein Leben in Sicherheit für mich gewählt, für immer, wenn auch für immer bei W.I.C.K.E.D. Erst viel zu spät hatte ich begriffen, dass es die vielen Jetzt waren, aus denen unser Für Immer bestand.
Ich war Avas Liebling. War sie auch meiner? Mein Liebling war Newt. Sie würde mir verzeihen, würde ich ihr verzeihen, ihr verzeihen, was sie meinem Freund angetan hatte?


Auf diese Fragen werdet ihr wohl leider erst eine Antwort finden, wenn meine Schreibblockade sich wieder verzogen hat. Leider tut sie das nämlich nicht. Ich habe jetzt sehr viele Versuche gestartet, dieses Kapitel zu schreiben, weil mein Computer es nie gespeichert hat, deshalb habe ich mich heute erstmal an eine Rohfassung gemacht. Ich bin nicht sehr zufrieden, aber nachdem ich  1500 Wörter geschrieben habe, kann ich jetzt ja beruhigt sterben.
Lasst einen Kommentar da, wenn ihr wollt und lest Skogland von Kirsten Boie! Es lohnt sich echt und ist mein allerliebstes Lieblingsbuch!

Schöne Ferien falls ihr welche habt und bis dann!

#DarcyNarcy :)




Newt: Way Home Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt