Zeit

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Ich hab's gemacht. Ich hab spontan entschieden. Nach einem Bauchgefühl, welches ich noch nie hatte. Es war so eindeutig, wie noch nie. Ich habe meine Welt geändert so, wie ich sie haben wollte. Lächelnd sah ich auf das Navi, welches vorne auf meinem Armaturenbrett stand. Es war das erste Mal, dass ich wieder Auto fuhr. Eher gesagt, Omnibus fuhr.


Der Arzt erlaubte mir mittlerweile immer mehr. Schon seit einer Woche brauchte ich meine Krücken nicht mehr benutzen. Dadurch humpelte ich zwar, aber es störte mich nicht. Der Arzt war von meinen Besserungen positiv überrascht. Er hätte noch nicht mal halb so viele Fortschritte erwartet. Anscheinend steckte in mir doch ein Kämpfer. Und so dumm es klang, es überraschte mich selber. Doch trotzdem standen meine Chancen, je wieder surfen zu gehen, sehr gering.


Die Chancen, je wieder mit Carter etwas zu nehmen, waren genauso groß. Vielleicht sogar größer. Nämlich 0.


Es war mittlerweile etwas mehr als einen Monat her, dass ich ihn gesehen habe. Naja, besser gesagt, persönlich gesehen hab. Anscheinend tauschten sich Carters und meine Welten. Ich wurde immer langweiliger für die Presse und Carter immer spannender. Aber nicht nur er. Die anderen Jungs auch. Kurz nach dem Abschluss fing es an. Sie fingen an, kurze Videos auf eine Internetplattform zu stellen. Den Leuten gefiel es so sehr, dass es immer mehr wurden. Und das alles in nur EINEM Monat. So lange es ihm gefiel, war auch ich zu frieden.


Ja, dieser Satz verdeutlichte meine Gefühlswelt, welche immer noch die Gleiche ist. Mein Kopf hang immer noch an Carter, und mein Herz hatte mich verlassen. Carter hatte es mit nach Malibu genommen.


Zu dem Ort, zu dem ich fuhr.
Doch nicht wegen ihm.
Bei diesem Gedanken schnaubte ich verächtlich.
Wenn er mich nicht mehr will, dann hat er seine Chance verspielt.
Doch dieses Mantra, wirkte, egal wie oft ich es in meinem Kopf wiederholte, nicht.
Egal, wie streng ich das Mantra versuchte durchzusetzen, es funktionierte nicht. Nie.
War das ein Zeichen?


Das Zeichen, dass mir sagte, das ich Carter nicht so schnell aufgeben sollte? Das Zeichen, welches mir Hoffnung auf eine Gemeinsame Zukunft, schenkte? Das Zeichen, das wahrscheinlich nur bei mir existierte? Doch es war egal, ob es bei uns beiden existierte oder nur bei einem von uns. Das wichtigste war, das es überhaupt existierte. Und wenn es um die Beziehung zwischen Carter und mir ging, dann war ich tot ernst.


Ich hatte den gesamten Monat ein dumpfes Gefühl im Kopf und im Bauch. Ich hatte das Gefühl, jemanden beweisen zu müssen, dass ich wirklich Gefühle für Carter hatte. Dass ich mir es beweisen musste. Musste ich das wirklich? Ich glaube nicht. Dieses Zeichen war Beweis genug.


Eigentlich gab es 3 Gründe für meine Fahrt nach Kalifornien.


Der erste war, dass ich endlich diese Geschichte mit Carter aus der Welt schaffen musste. Positiv oder negativ.
Die zweite war, dass es eine Gruppe von Menschen gab, die ein Musikvideo in Kais neuer Werkstatt drehen möchten.
Und der dritte Grund war der Entscheidende. Mein Motto war, schon vor dem Unfall mit meinem Bein, dort helfen, wo ich helfen kann. Und ich wusste, dass ich in Malibu helfen kann. Und zwar Kindern die den Traum vom Surfen haben, ihn aber aus verschiedenen Gründen nicht erfüllen können. Ja, Carters kleiner Bruder geriet in meinem Kopf nicht in Vergessenheit. Auch die Situation der beiden Brüder war in meinem Kopf, vor allem in meinem Herzen, verewigt worden.


Ich hoffte, durch Carters zunehmende Aufmerksamkeit hatte sie sich verbessert. Schon wieder schweifte ich mit meinen Gedanken ab. Um es doch noch kurz zu fassen , wollte ich eine Surfschule beziehungsweise ein Surfinternat errichten, bei dem es nur um Talent ging.
Nicht um irgendwelche Geldbeträge, die monatlich aufs Konto überwiesen werden.
Nicht um berühmte Persönlichkeiten, Kinder deren Eltern ein Standard in der Presse sind.


Ich bin extra nicht in L.A. gelandet, sondern in San Diego. Einfach, weil ich dieses Gefühl, frei sein und in einem Omnibus zu fahren, genießen wollte. Im Seitenspiegel checkte ich kurz mein Aussehen. Meine kurzen Haare waren etwas länger gewachsen. Genauer gesagt, gingen sie mir nun bis zu den Ohren. Doch trotzdem gefiel mir die aufgestellte Frisur besser.


Daher hatte ich vor, in der nächsten Zeit wieder zum Friseur zu gehen. Zu dem hatte ich seit langen wieder ein Lächeln im Gesicht, dass auch meine Augen erreichte. Das bekannte Funkeln meiner Augen hatte es wieder zurück geschafft. Im allgemeinen war ich fröhlicher. Doch auch nur, weil ich versucht habe, die schlechten Dinge zu verdrängen. Allerdings kommt man irgendwann an einen Punkt, an dem Verdrängen nicht mehr hilft. An diesen Punkt war ich angelangen.


Deshalb, um fast sorgenlos zu sein, war die Fahrt so wichtig für mich. Sie war nicht nur eine Fahrt. Sie war DIE Fahrt. Die Fahrt, die vielleicht nicht alles, aber vieles, aus den Weg schaffen wird. Die Fahrt von L.A. hätte nur eine dreiviertel Stunde gedauert, wogegen die Fahrt von San Diego nach Malibu dreieinhalb Stunden dauerte.


Seufzend rollte ich mit meinem Bus um dreiviertel fünf auf den privaten Parkplatz von Kai, welcher hinter der Werkstatt war. In der Werkstatt gab es einen Raum, der für kurze Aufenthalte gedacht war. Diesen würde ich hauptsächlich zum schlafen nutzen.


Obwohl diese Werkstatt die gleiche Innengestaltung hatte wie die anderen Werkstätten von Kai, fand ich mich nicht zurecht. Zu allem Überfluss, wurde ich auch noch angemeckert, dass ich auf den falschen Parkplatz stehen würde. Da ich mit meinen Nerven am Ende war, konnte der arme Typ sich ganz schön viel anhören. Wenn Kai Glück hatte, würde morgen keine Kündigung auf seinem Schreibtisch liegen.


Die Fahrt und der Flug zusammen waren anstrengender als ich dachte. Die ganze Fahrtzeit musste ich drauf achten, in den Kurven richtig rum zu fahren. Schließlich wollten wir ja die Leitplanke unversehrt stehen lassen.


Vielleicht lag es an dem Ort.
Vielleicht lag es an dem Gedanken Carter noch näher bei mir zu haben als sonst.
Theoretisch könnte man es auch einfach auf schlechtes Karma schieben.
Wofür ich Gründe suchte?
Ich hatte die Nacht kaum geschlafen, sondern wühlte die ganze Zeit nur in meinem Bett umher. Mal wurde es mir zu warm, mal zu kalt. Und wenn ich dann ab und zu einschlief, wachte ich nach einer halben Stunde wieder auf.


Diese Nacht prägte auch am Morgen mein Gesicht und meine Laune. Mufflig und mit hängenden Schultern saß ich vor meiner Müsli-Schale. Meinen Kopf stützte ich mit meiner Hand.
Auch wenn ich extrem müde war, wollte ich nicht mit meinem Kopf in der Schüssel landen.


"Miss Summers?"-kam der Typ von gestern in den Pausenraum der Mitarbeiter.
"Was?"-brummte ich und hob meinen Kopf.
Er zuckte bei dieser Kombination aus Tonlage und Aussehen zusammen.
"Sorry."-nuschelte ich.
"Die Leute von diesem Musikvideo sind da."-informierte er mich.

 Schon? Mit einem Blick auf die Uhr zuckte diesmal ich zusammen.
Mein "Morgen" war eigentlich 13Uhr.
"Schick sie zu mir. Wenn ich sie nicht verschrecke, haben sie sich die Werkstatt verdient."-gab ich von mir und löffelte eine Runde in meiner Schüssel. Mein Mund öffnete sich, sobald der Löffel in seine Richtung kam, automatisch.

Zum dritten Mal zuckte heute jemand zusammen. Schon wieder ich. Doch nicht alleine. Die Personen gegenüber von mir ebenfalls. Mein Mund schloss sich und mein Löffel fiel klirrend in die Schüssel.

"Du?"
"Ihr?"

Kam es im Chor.









Undercover in CaliforniaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt