"Junge, du sollst mich festhalten. Nicht dumm da stehen. Kommt noch das ich hier bei abkratze."-meinte ich mit einer dezenten Prise Panik in meiner Stimme. Hier waren wir nun. Im größten Skaterpark Malibus. Bei unserem zweiten Date. Seufzend rappelte ich mich wieder hoch. Die Jogginghose, die ich an hatte, war an manchen Stellen schon zerrissen und befleckt durch Mutter Natur.
Wir waren schon seit 2 Stunden hier. Seit 2 Stunden versuchte Carter mir Longboard fahren bei zu bringen. Seit 2 Stunden fiel ich regelmäßig hin. Und seit 2 Stunden sah Carter mich mit einem Funkeln in den Augen, und einem amüsierten Grinsen auf den Lippen, an. "Die Eleganz, die du beim surfen hast, fehlt hier."-stellte er fest, fasste sich ans Kinn und tat so, als würde er nachdenken. Natürlich tat er es nicht. Carter konnte nicht nachdenken. Wahrscheinlich bestand sein Gehirn aus einem einzigen Vakuum.
Vielleicht lag es an meine unzähligen Stürze, an die provozierende Haltung von dem Jungen gegen über von mir, das ich solche Gedanken hatte. Es sollte mir nicht zu stehen so über ihn zu denken und doch tat ich es. Meine Wut ließ sich an meinem Kopf, an meinen Gedanken aus. Und ich konnte nichts dagegen tun. Meine Wut auf diese Niederlagen fraß sich in meine Seele. Natürlich war ich an Niederlagen gewöhnt, doch hatte ich sonst relativ schnell Fortschritte gemacht. Jetzt, in diesem Moment habe ich mit 0 angefangen und war bei -100.
Aber wenigstens lenkten sich meine Gedanken ab. Seit der letzten Woche dachte ich in jeder erdenklicher Situation an ihn. Wenn ich duschte, in meinem Traum, wenn ich Schokolade aß. Jedes Mal frustrierte es mich mehr, wenn ich den Fernseher anschaltete, bei den Nachrichten stehen blieb und dort irgendwelche Sportler sah. Wenn ich wieder in Australien bin, wird das zu meiner Realität, zu meinem Leben und ich zweifle, das Carter so einen Lebensstil gut findet. Diese Gedanken gab es schon am ersten Tag, an dem ich Carter traf. Sie waren leise, schnell wegwerfbar doch jetzt nisteten sie sich in meinem Kopf und blieben hängen. So lange, bis das Problem aus der Welt geschafft wurde. Und das könnte in meinem Fall noch etwas dauern. Doch je weiter ich es nah hinten schieben würde , desto größer werden die Reaktionen. Die Enttäuschung, die Wut, die Angst, der Vertrauensmissbruch. Malibu blieb mein Traum. Melbourne, Australien, die gesamte restliche Welt meine Realität.
Ich schüttelte meinen Kopf.
Ich wollte mich nicht jetzt mit solchen Gedanken rumschlagen. Nicht jetzt. Jetzt war unser zweites Date und nicht's sollte dies ändern. Carter schien ebenfalls in Gedanken gewesen zu sein, denn er löste sich aus seiner Starre und kam auf mich zu. Er stellte sich direkt hinter mich und legte das Board vor meine Füße. Zum x-ten Mal zeigte er mir wie ich mich richtig hin stellen sollte. Die Grundstellung konnte ich mittlerweile auswendig, so dass er mich kaum korrigieren brauchte. "Stell dir vor, das hier ist dein Surfboard und du fährst auf dem Wasser. Die Rampe dort ist eine Welle. Lass dich fallen."-versuchte Carter mir zu helfen. Ich stellte mir vor wie ich über dem Wasser gleite und tatsächlich schaffte ich es, ein paar Meter zu rollen, bevor ich stolperte. Dieses Mal schaffte ich es nicht hin zu fallen. Ein sarkastisches Klatschen ertönte hinter mir und als ich mich zum Geräusch umdrehte, erblickte ich Carter. Idiot. Doch mein Ärger wurde von der Freude übertrumpft. "Ich bin gerollt."- rief ich freudig in seine Richtung. Er hielt den Daumen nach oben.
Mit neuem Mut versuchte ich zu Carter zurück zu rollen. Ich nahm recht viel Schwung, das Risiko vorne rüber zu fallen eingehend, stellte mich aufs Board und rollte auf Carter zu. Immer näher. Und näher. Und näher. "Lilo. Du musst anhalten."-schrie er mich an. Jaa, das Problem war, ich wusste nicht wie ich anhalten soll. "Ich weiß nicht wie."-schrie ich zurück. Doch bevor er antworten und ausweichen konnte, raste ich volle Kanne in ihn rein. "Uff. Geht's dir gut? "- fragte ich mit zusammen gekniffenen Augen. Langsam machte ich meine Augen auf, nur um dann in braune Augen zu versinken. Sie konnten so viele Gefühle zeigen, aber auch verborgen. Sie waren ein Rätsel. Genauso wie der Junge, dem diese Augen gehörten.
"Ähm.."-räusperte ich mich und rappelte mich langsam auf. Meine Wangen glühten, genauso wie Carters. "Ich glaube das war ein Zeichen. Fahrstunde vorbei. Ich muss mich jetzt abkühlen. Was hälst du von Eis?"-plapperte ich auch schon drauf los. Ehrlich gesagt, erwartete ich keine Antwort, doch Carter antwortete, "Mango und Zitrone?" Wow. Er hatte sich Tatsache meine Lieblingssorten gemerkt. Anerkennend sah ich ihn an und nickte. Gemeinsam verließen wir den Skaterpark und machten uns auf die Suche nach einer guten Eisdiele. Als wir eine gefunden hatten, holten wir uns unser Eis und schlenderten dann einfach durch die Straßen.
"Sag mal, was willst du eigentlich werden?"- fragend sah ich Carter an. "Ich weiß es nicht. Ich mag es Videos zu drehen, Momente festzuhalten. Vielleicht wird daraus ja etwas berufliches. Oder ich mach ne Ausbildung zum Automechaniker. Und du?"-meinte er, und zuckte die Schultern. "Ich weiß es auch nicht. Mir ist es noch egal. Ich weiß nur eins: Das ich in der Zukunft glücklich sein will."-sagte ich und blickte zum Sonnenuntergang. Wir hatten ganz schön lange vom Skaterpark zur Eisdiele gebraucht. "Wie steht's so mit Familie?"- fragte diesmal Carter. "Hmm. Sicher 3-4 Kinder. Willst du Kinder?" Er nickte, sagte jedoch keine genaue Zahl. "Bist du eigentlich am Wochenende zu Hause?"-fragte er nah einer kurzen Stille. Misstrauisch sah ich ihn an. Warum fragte er das?
"Nein. Ich besuche wahrscheinlich meinen Bruder."-log ich. Dean hatte mich die letzten Tage angerufen und gemeint ein Veranstalter hätte Interesse daran, mich in der Jury eines Wettbewerbs sitzen zu shen. Ich konnte nur hoffen, das der Wettbewerb nur in dem Land ausgestrahlt wird. Nicht in America. Nicht in Californien. Nickend sah er mich an und blickte nachdenklich in der Gegend umher. Seine Gedanken hatten ihn anscheinend voll im Griff.
"Jetzt hab ich mal ne ganz wichtige Frage?"-sagte ich und machte auf geheimnisvoll. Er erwachte quasi aus seiner Trance und sah mich an. "Was"-fing ich an und ratterte den Rest des Satzes runter. "ist deine Lieblingsfarbe?"-grinsend sah ich ihn an. "Die Fragen aus dem Kindergarten?"-meinte er schmunzelnd. "Ja. Warum nicht?"-zur Bestätigung nickte ich zusätzlich. Den gesamten restlichen Abend stellten wir uns Fragen. Von rhetorischen, über dumme, zu den einfachsten.
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Undercover in California
Novela JuvenilLilo ist eine der besten Profisurfer. In Australien sogar die momentan Jüngste. Sie hat alles, was sie fürs Leben braucht. Geld. Familie. Freunde. Steigernde Karriere. Doch keinen Schulabschluss. Dafür will das Management sorgen und schickt sie...