19. Interrogation

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"Schatz, wer war heut Morgen eigentlich an der Tür?", fragte meine Ma mich mittags am Esstisch.

"Ein Junge aus meiner Klasse. Er ist auch neu.", erklärte ich desinteressiert.

Ich wollte dieses Gespräch so schnell wie möglich beenden, aber ich kannte meine Ma. Sie würde es auf keinen Fall dabei belassen. Zumal auch May recht hibbelig schien, seit sie ihn gesehen hatte.

"Uh! Wie heißt er? Seit wann ist er in der Klasse?", bohrte sie weiter nach.

Da ging es auch schon los. Zum Glück war diese Frage noch relativ harmlos.

Ich schluckte mein Essen herunter und antwortete: "Seit Dienstag. Komisch, ich weiß. Frag mich aber nicht warum. Er ist nicht gerade sehr aufgeschlossen."

"Er heißt Kieran.", fügte ich noch hinzu.

"Also redet ihr nicht besonders viel?", wollte sie wissen.

"Nja, doch schon. Aber er umgeht die persönlicheren Themen irgendwie."

Es war schwer zu erklären, stellte ich nun auch fest, aber es war im Grunde genauso. Er hatte eine Grenze gezogen und ließ einen diese nur selten überschreiten.

"Das ist wirklich Schade.", sagte sie und schob ihren Teller von sich, wie sie es immer machte, wenn sie fertig war.

Langsam beugte sie sich vor und stützte sich auf die Ellenbogen.

"Nun kommen wir zu der interessantesten Frage.", vielsagend wackelte sie mit den Augenbrauen, so dass ich mir ein Lachen verkneifen musste, "Sieht er gut aus?"

Mein Vater, der sich bis eben aus dem Gespräch rausgehalten hatte, sah mich nun gebannt an. Auch May kicherte vor sich hin, sie hatte ihn ja schließlich gesehen.

Ich schob mir das Essen betont langsam in den Mund, in der Hoffnung noch etwas Zeit zu gewinnen.

Er war heiß, definitiv, schließlich war ich nicht blind. Konnte ich das hier aber einfach so sagen?
Nein.

Meine Mutter würde ausflippen und ihn schnellstmöglich herbestellen oder zumindest ein Foto verlangen.

Meinem Vater würde alles aus dem Gesicht fallen und ich dürfte nicht mehr aus dem Haus bis ... ich verheiratet bin?

Wie May reagieren würde aufstehen, um den Tisch rennen und schreien: "Winter ist verknallt!" Da war ich sicher.

Da mir all dies nicht ganz so recht war. Suchte ich verzweifelt nach einem Ausweg. Ich schluckte mein Essen hinter, noch immer waren alle Augen auf mich gerichtet.

"Er sieht schon gut aus.", begann ich, ", aber ist nicht mein Typ."

Gelogen. Hey, das war eine ausweglose Situation gewesen. Verurteilt mich nicht!

Ich stocherte mit der Gabel in meinem Essen herum, um dem Blick meiner Ma zu entkommen. Sie würde es sehen, an meinem Blick, wie sie es immer tat.

"Hast du denn ein Bild?", fragt sie nach.

Es war so klar gewesen worauf dieses Gespräch hinausläuft. Ich kannte meine Ma. Manchmal mischte sie sich zu sehr ein.

"Nein, und ich werde ihn sicher nicht heimlich fotografieren"

"Wer sagt hier etwas von heimlich?", meinte sie unschuldig, "Frag ihn doch einfach nach einem... Selfie? Oder wie ihr jungen Leute das heutzutage nennt."

Das war jetzt nicht ihr Ernst. Na sicher, welch eine brillante Idee. Als wäre er irgendein Promisternchen nach dessen Foto ich schon Jahrelang lechze. Alles nur das nicht. Das würde sein immenses Ego nur noch unterstützen.

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