Prolog: Fallende Sterne

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"Du musst laufen. Renn!"
Sie starrte fasziniert auf seine sehnige Hand. Eine rote dicke Flüssigkeit perlte über die kupferfarbene Haut.
"Hörst du? Schnell!"
Sie reckte ihre zitternde Hand der seinen entgegen. Die knisternde Magie zwischen ihnen ließ ihn kurz aufatmen, ein unerwartet schwaches und kraftloses Geräusch. Sie barg seine Hand in ihren. Du bleibst.
"Mach schon!"
Aus seinem sonst so rauen Tenor klang reine Furcht, alles durchdringende, tiefste Angst. Salzige Tränen, die ihr Gesicht tränkten, sandten winzige Tropfen auf seine Haut. Die kristallene Flüssigkeit malte helle Wirbel in das hoffnungslos dunkle Rot.
Sie spiegelten das donnernde Inferno um sie wieder.

In Flammen gehüllte Brocken aus benzingetränktem Leinen und Schotter prasselten zu Boden. Funken setzten sich wie winzige Feuerelfen auf die Reste dessen, was nach dem anfänglichen Anschlag noch übrig war. Tiefgraue, federleichte Aschepartikel schwebten stumm durch die Luft.
Panische Schreie durchbrachen die rauchverhangene, dicke Luft, zersplitterten den Moment, rissen Hoffnung in Fetzen. Überall war Bewegung, winzige schwarze Gestalten, vor dem Feuer nichts als unbedeutende Figuren. Einige schlossen sich zu einer wahllosen Gruppe zusammen, stolperten hustend durch das goldrote Flammenmeer.
Kein einziger schaffte es den Block hinunter.

Doch eine düstere Vorahnung hing in der trockenen Luft. Ein eisiger Gedanke, der Kopf um Kopf heimsuchte und die Menschen zu kreischenden Aschehäufen zerfallen ließ. Sie waren nichts. Nichts vor ihnen.

Sie griff abermals nach seiner Hand. "Du kannst es schaffen, komm mit mir!" Die nackte Verzweiflung sprach aus ihrer Stimme. Er verzerrte sein Gesicht für sie zum letzten Mal zu einem Lächeln. Dann schnappte er nach Luft und schloss gequält die Augen, bevor er hervorstieß: "Es lebe Holy City."
Sie hielt in ihren Schluchzern inne und starrte ihm ungläubig ins Gesicht. "Nein. Nein!" Als er aber keine Anstalten machte, seine Aussage in irgendeiner Weise unschädlich zu machen, ließ sie von ihm ab. Rasch rappelte sie sich hoch. Tränen spritzen unnütz über den trockenen Boden. "Ich vergesse dich nicht. Niemals."
Dieses letzte Geständnis hätte ihn beinahe zur Umkehr bewegt. Er wollte ihr das nicht antun...
Doch sie stolperte los. Zuerst mit dem Blick ihm zugewandt, doch dann fuhr sie mit einem letzten verzweifelten Aufschrei herum und stürzte sich in das Inferno. Bald war ihre schmale Gestalt nur noch eine Shilouette, die mit den goldenen Flammen um sie herum zu tanzen schien.
Dann wurden sie eins, die Flamme und das Mädchen, und er streckte das letzte Mal seine Hand aus. "Leb wohl, Prinzessin."
Um ihn herum begann die Dunkelheit, das Licht zu verdrängen.

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