Somnus' Schritte waren nicht zu hören, als er den Raum ablief, immer und immer wieder.
Es fiel Aidan schwer, still zu bleiben, doch er hütete sich davor, als erster das Wort zu ergreifen. Er kannte seinen Adoptivvater. Aidan selbst war der Grund für viele Probleme, die ihn im Moment bedrängten, und als solcher stand es ihm nicht zu, noch weiteren Schaden anzurichten."Warum?" Somnus war stehen geblieben. Er hatte den Anzug, den er auf der SciGala getragen hatte, wieder abgelegt. Stattdessen hatte er die schwarze Bundfaltenhose mit den breiten Hosenträgern gewählt, darunter trug er ein weißes Hemd, das ein wenig zerknittert war. Aidan fiel auf, dass er ihn, wenn nicht gerade im Anzug, noch nie mit einer anders gearteten Hose gesehen hatte. In seinem Schrank hingen hunderte davon.
"Warum musstest du gleich zu einem so drastischen Schritt greifen? Du hast sie restlos verwirrt. Ansonsten wäre sie nie gegen den Roboter gestoßen. Himmel, Aidan, du kannst jemandem doch keinen Antrag machen, von dessen tiefsten Ängsten du noch nicht einmal das Geringste weißt!"
Er senkte den Kopf. "Ich weiß, dass es überstürzt war, aber-"
"Nein, das tust du nicht." Somnus trat dicht an ihn heran und hob sein Kinn mit dem Zeigefinger an, bis er ihm direkt in die Augen blicken konnte. Er war einige wenige Zentimeter kleiner als Aidan, aber diesen Umstand machte er mit seiner Haltung und der scharfen Miene wett.
"Ich sehe es in deinen Augen. Du glaubst, dass das, was du getan hast, gerechtfertigt war."
"Du wolltest, dass ich sie in dein Büro bringe, nicht ich."
"Das tut nichts zur Sache!" Somnus' Stimme wurde unangenehm laut. "Ich habe den Fehler gemacht, dir zu glauben, dass du sie komplett unter Kontrolle hättest! Darum habe ich dir diesen Anstoß gegeben."
"Ich hatte die Situation unter Kontrolle!"
"Dem war nicht so!" Unbewusst verlagerte er das Gewicht auf die Zehenspitzen und hob die Ferse leicht vom Boden, was ihn größer erscheinen ließ- wie immer, wenn er aufgebracht war. "Du hast ihre Blutphobie nicht bemerkt. Du hast zugelassen, dass sie sich mit ihrem Manager unterhalten hat, als sie aus unserem Labor kam. Du hast sie nicht in dich verliebt gemacht, Aidan. Wenn du sie lenken willst, musst du sie in irgendeiner Art von dir abhängig machen."Er hätte zu argumentieren beginnen können, ihm verständlich machen, dass das mit ihr nicht funktioniert hätte- dass sie dazu zu gut ausgebildet gewesen war. Aber es war sinnlos. Er hatte versagt.
"Ich weiß."
Mit diesen zwei Worten schien alle Luft aus Somnus zu weichen. Er trat einen Schritt zurück und zog einen Hosenträger enger, die schmalen Schultern plötzlich eingesunken. Gedankenverloren sah er aus der gewaltigen Glaswand des Pressesaals auf die erwachende Stadt.
Aidan durchfuhr eine Welle der Verzweiflung. Er hatte einen Fehler gemacht. Er. Ausgerechnet er, nach alledem, was er schon geschafft hatte. Aber Fehler passierten. Er war nicht der erste in Morpheus, der Schaden durch eine Kleinigkeit verursachte, und er würde nicht der letzte sein.
Somnus hatte ihm bereits vergeben, er fühlte es. Auch er wäre bei solchen Gehirnstrukturen schwach geworden... so etwas Raffiniertes hatte er noch nie gesehen, und er wusste, auch für seinen Adoptivvater würden sie eine Seltenheit darstellen. Er hatte die Bilder- das war das einzige, was noch zählte.Für sie zählten wahrscheinlich andere Dinge. Ein Schauder ließ seinen Rücken erzittern, als er sich an die letzten Bilder erinnerte, die der Scurio, den sie mit dem Virus zerstört hatte, gesendet hatte. Die eleganten, aber zum Laufen so ungeeigneten Kleider, die eng an ihrem Körper klebten, die bronzefarbenen Augen, das nasse Haar. Sie hatte noch immer dasselbe getragen, als der letzte Scurio sie am anderen Ende der Barriere verloren hatte.
"Ist sie noch am Leben?" Die Worte entfuhren ihm unkontrolliert, doch der leise Angstschleier, der sie begleitete, alarmierte ihn.
Somnus wandte sich nur langsam um. "Vor einer halben Stunde war sie es noch."Aidan strich einmal über den Projektor in seinem Arm, um das Hologramm aufzurufen, und berührte leicht einen Punkt am unteren rechten Ende. Die Tür des Pressesaals öffnete sich, ein Scurio trat neben ihn.
"Ich brauche den Cube von Levia Elizabeth Pernal."
Es dauerte keine knappe Minute, bis der Scurio mit dem weißen, makellosen Würfel zurückkehrte und ihn Aidan mit einer beängstigend flüssigen menschlichen Bewegung überreichte. Dieser nahm ihn kommentarlos entgegen und stellte ihn in einem im Boden eingelassenen Kreis aus schwarzen Schienen ab, der direkt hinter dem wuchtigen Tisch lag.
"Daten angeben", ordnete er mit fester Stimme an, und die schwarzen Linien im Boden begannen zu flackern. Die Oberflächen des Cubes leuchteten hell auf, und ein Schwarm von Hologrammen erhob sich aus dem Projektor.
Aidan trat in den Kreis und drehte sich einmal um die eigene Achse.
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Morpheus
Science FictionLondon, 2102. Alle Welt schläft, seit Morpheus den iQaster auf den Markt gebracht hat: ein Gerät, in dem das Bewusstsein des Menschen gespeichert wird und es ihm ermöglicht, jahrelang zu überdauern. Die Entwicklung trifft auf eine Welle ungezähmter...